Die Österreicherin Sabine Seymour leitet das Fashionable Technology Lab an der Parsons New School for Design in New York. Ihre Firma Moondial forscht im Berteich "Wearable Technologies".

Foto: Fashionable Technology Lab

STANDARD: Im technologischen Bereich überschlagen sich die Neuerungen, bei der Integration von Technik in Kleidung tut sich allerdings recht wenig. Woran liegt das?

Sabine Seymour: Als Konsument nimmt man Entwicklungen im technologischen Bereich viel stärker wahr. Dabei dauern die Vorbereitungszeiten oft Jahre, wenn nicht Dekaden. Das andere ist der Nutzen für die Kunden, angenommen werden nur Funktionalitäten, die wirklich gebraucht werden.

STANDARD: Im Sportbereich sind intelligente Materialien bereits gang und gäbe.

Seymour: Weil die Preiselastizität bei Sportbekleidung höher ist, kann die Industrie anders kalkulieren und Entwicklungskosten schneller amortisieren. Außerdem ist der konkrete Nutzen leichter vermarktbar und daher für den Konsumenten besser wahrnehmbar.

STANDARD: Trotzdem ist der Sportbereich ein Pionier. Warum funktioniert der Sprung in die Modewelt kaum?

Seymour: Das hat viel mit der Wahrnehmung von Modehäusern zu tun, die dem Sportbereich wenig ästhetische Kompetenz zugestehen. Im technologischen Bereich hat man dagegen wenig Ahnung von Mode. Da prallen Welten aufeinander, die sich nur langsam annähern. Das ist eines der großen Probleme. Es geht weniger darum, ob der Konsument gewisse Produkte annimmt oder nicht, die Schwierigkeiten gibt es bereits davor. Man müsste neue Produktionswege schaffen, neue Kostenkalkulationen usw.

STANDARD: Ist die Integration von Technik wirklich von Nutzen?

Seymour: Ich bin ohne Internet aufgewachsen, ich hätte mir nicht vorstellen können, warum ich diese Technologie brauchen würde. Mein Job heute wäre ohne Internet nicht mehr vorstellbar. So wird es auch mit gewissen "Wearable Technologies" sein. Es geht nicht darum, ob es der Konsument will oder nicht. Wir sind heute mit einem Rohstoffproblem konfrontiert, die Reinigung von Kleidung ist zu aufwändig, es gibt immer mehr Frauen in der Arbeitswelt: Das sind Herausforderungen, auf die die herkömmliche Mode keine Antworten hat.

STANDARD: Und da hat die Integration von Technik eine Antwort?

Seymour: Sie wird nicht auf alles sofort eine Antwort haben, aber ich bin überzeugt, dass wir nicht drum herum kommen. Nehmen wir das Problem mit begrenzten Ressourcen wie Baumwolle oder Öl. Die Frage ist, gibt es die Möglichkeit, diese Ressourcen so zu verarbeiten, dass sie länger verwendbar sind. Ein Billigshirt aus Baumwolle, das bei der Herstellung unsere Umwelt belastet und das nur ein paar Mal getragen wird: Das werden wir uns irgendwann nicht mehr leisten können.

STANDARD: Was ist die Alternative?

Seymour: Dass wir Produkte kaufen, mit denen wir uns als Konsumenten identifizieren, die veränderbar sind und die wir deshalb auch länger tragen wollen. Zum Beispiel Produkte aus einem Material, das wir oder andere bespielen.

STANDARD: Was kann man sich darunter vorstellen?

Seymour: Ein T-Shirt zum Beispiel, wo die Intelligenz in der Faser selbst sitzt. Je nach Lust und Laune kann ich das Shirt visuell verändern, vielleicht sogar den Schnitt. Dies passiert durch den Träger selbst oder automatisch durch Sensorik angepasst vielleicht durch Umweltfaktoren wie Kälte, die das T-Shirt "erhitzen".

STANDARD: Das hört sich wie Zukunftsmusik an.

Seymour: Nein, in zehn Jahren wird das Wirklichkeit sein. Ich selbst arbeite an einem diesbezüglichen Projekt, dabei geht es um auf Zellulose basierende Fasern, die intelligent gestaltet werden und so ihre Farbe ändern können. Chemiker hatten bisher kaum Verständnis dafür, welche Möglichkeiten das für die Mode bietet.

STANDARD: Ist das Interesse der Modewelt an solchen Möglichkeiten unbedingt größer?

Seymour: Das kommt darauf an, mit wem man spricht. Wie die Mode derzeit funktioniert, ist sie ein Overkill für den Konsumenten, gleichzeitig geht sie zu wenig auf die Bedürfnisse der Kunden ein. Jeder Kunde hat seine eigene Vorstellung von einem bestimmten Kleidungsstück, jetzt geht es darum, auf sie auch einzugehen.

STANDARD: Bei Nike kann man selbst einen Turnschuh designen, das ist aber doch nicht mehr als eine Spielerei.

Seymour: Aber die Menschen lieben es. In der Mode stellt sich immer die Frage, wo der Nutzen aufhört und die Spielerei anfängt. Sonst gäbe es keine Mode.

STANDARD: Was waren die wichtigsten technischen Erfindungen in der Mode in den vergangenen Jahren?

Seymour: Nike plus, also der intelligente Turnschuh, die Konsumenten haben das sofort angenommen. Wichtig war auch der Vorstoß von Burton, auf der eigenen Jacke Bedienelemente für technische Gadgets zu integrieren. Adidas 1, der den Druck auf den Turnschuh gemessen hat. Das waren die Anfänge der großen Firmen, Adidas hat das mit MyCoach weiterentwickelt.

STANDARD: An der Zahl der Unternehmen gemessen, die sich mit Mode beschäftigen, ist das alles sehr überschaubar.

Seymour: Ja, diese Entwicklungen kommen alle nicht aus der Mode. Hier war das Airplane und Remote Control Dress von Hussein Chalayan aus dem Jahre 2000 ein Meilenschritt. Lagerfeld hat in Chalayans Windschatten einiges umgesetzt, auch Calvin Klein. Jimmy Choo brachte LED-Schuhe auf den Markt, Diane von Fürstenberg ihre Solar-Bags. Viele probierten was aus, aber wir sind noch immer Teenager. Lange waren wir Babys. (Stephan Hilpold, Rondo, DER STANDARD, 15.2.2013)