"Der österreichische Rechtsstaat hat die Jagd auf Journalisten freigegeben." Das schrieb Rubina Möhring im September 2010 (aus Anlass einer – knapp drei Monate später vom OGH aufgehobenen – Gerichtsentscheidung zum Redaktionsgeheimnis).

Doch die JournalistInnen erwiesen sich offenbar als zäh. Denn eineinhalb Jahre später geht die Jagd weiter, wenn auch mit differenzierten Methoden: Von einer "Lebendfalle für Journalisten" schreibt Rubina Möhring jetzt (wieder geht es um das Redaktionsgeheimnis).

Möhring ist mir ihrem Alarmismus nicht allein und schon gar nicht die Erste. Da die geplante Änderung auch andere Berufsgruppen mit besonderen Verschwiegenheitsrechten (oder -pflichten) – z. B. RechtsanwältInnen und WirtschaftstreuhänderInnen – trifft, haben sich diese Berufsgruppen natürlich kritisch zu Wort gemeldet (OTS ÖRAK, OTS KWT) und in ihrem Gefolge Vertreter aller Parteien (SPÖ, ÖVP, Grüne, FPÖ, BZÖ, nochmals BZÖ).

Zunächst zum Inhalt

§ 112 der Strafprozessordnung (StPO) regelt den Widerspruch gegen die Sicherstellung von schriftlichen Aufzeichnungen oder Datenträgern im Zuge des Ermittlungsverfahrens. Wenn von der Sicherstellung Betroffene – egal ob sie Beschuldigte sind oder ob sie nur zufällig im Besitz von Unterlagen sind – der Sicherstellung "unter Berufung auf eine gesetzlich anerkannte Pflicht zur Verschwiegenheit" (nach der Rechtsprechung auch, wenn es keine Pflicht, sondern bloß ein Recht auf Verschwiegenheit ist, wie insbesondere beim "Redaktionsgeheimnis") widersprechen, dann werden die Unterlagen versiegelt und dem Gericht vorgelegt, das zu entscheiden hat, ob und in welchem Umfang sie zu beschlagnahmen oder den Betroffenen zurückzustellen sind. Ein Rechtsmittel hat aufschiebende Wirkung.

Das hat in letzter Zeit zu Kritik geführt, weil die Auswertung durch das Gericht (samt Rechtsmittelverfahren) recht lange dauern konnte, vor allem wenn in komplexen Wirtschaftscausen umfangreiche Unterlagen sichergestellt wurden und beteiligte Steuerberater oder Anwälte sich auf die berufliche Verschwiegenheitspflicht beriefen, und zwar auch dann, wenn Ermittlungen (auch) gegen sie geführt wurden. Kurt Kuch von "News" etwa hat sich in der Vergangenheit auch einmal kritisch geäußert, wenn ein Verfahren gegen einen Anwalt seiner Ansicht nach nicht rasch und hartnäckig genug geführt wurde (siehe z. B. diesen Kommentar), was – unter anderem – wohl auch daran lag, dass der Betroffene sich auf sein Berufsgeheimnis berufen hat.

In der nun diskutierten Regierungsvorlage (1677 BlgNR 24. GP; siehe auch die Erläuterungen dazu: RV 1677 BlgNR 24. GP) wurde dafür eine andere Lösung gefunden: Im Fall eines Widerspruchs ist zunächst zu versiegeln und der Betroffene muss innerhalb von maximal 14 Tagen jene Teile der Aufzeichnungen oder Datenträger konkret bezeichnen, deren Offenlegung eine Umgehung seiner Verschwiegenheit bedeuten würde. Tut er das nicht, kann alles ausgewertet werden. Bezeichnet er die Unterlagen konkret, kann die Staatsanwaltschaft "gegebenenfalls unter Beiziehung geeigneter Hilfskräfte oder eines Sachverständigen und des Betroffenen" die Unterlagen sichten und anordnen, ob und in welchem Umfang sie zum Akt genommen werden dürfen. Dagegen kann der Betroffene weiterhin Einspruch erheben, über den des Gericht zu entscheiden hat; bis zur Entscheidung dürfen die Unterlagen nicht eingesehen werden. Auch einer Beschwerde gegen den Beschluss des Gerichts kommt weiterhin aufschiebende Wirkung zu.

Das alles scheint mir noch kein großes Drama, sondern schlicht der Versuch, das Verfahren etwas zu fokussieren, unter verstärkter Mitwirkungspflicht des Betroffenen (die im Ergebnis wohl nicht allzu viel bringen wird, da gerade in kritischen Fällen damit zu rechnen ist, dass eben alle Unterlagen "konkret bezeichnet" würden und es nach dem routinemäßig eingelegten Widerspruch wieder zu einer Überprüfung aller Unterlagen kommen müsste).

Eine wesentliche Änderung ist allerdings, dass das gesamte Widerspruchsverfahren nur mehr für Betroffene, die nicht selbst der Tat beschuldigt sind, Platz greifen soll. Mit anderen Worten: Ein Anwalt, eine Journalistin, eine Wirtschaftstreuhänderin oder ein Priester, der/die selbst einer Straftat beschuldigt ist, soll der Sicherstellung von schriftlichen Aufzeichnungen und Datenträgern nicht mehr widersprechen können. "Einfach, wenn jemand jemanden nicht mag", wie dies Alarmjournalistin Rubina Möhring schreibt, wird man natürlich nicht "Beschuldigter" – Beschuldigter ist nämlich "eine Person, die auf Grund bestimmter Tatsachen konkret verdächtig ist, eine strafbare Handlung begangen zu haben, sobald gegen sie wegen dieses Verdachts ermittelt oder Zwang ausgeübt wird" (§ 48 Abs 1 Z 1 StPO;). Damit eine Durchsuchung bei einem "Geheimnisträger" überhaupt zulässig ist, bedarf es übrigens nach § 144 Abs 3 StPO weiterhin nicht bloß eines konkreten, sondern eines dringenden Tatverdachts.

Damit ist man an einem heiklen Punkt: Denn natürlich gibt es auch unter den genannten Berufsgruppen gelegentlich Personen, die Straftaten begehen, und es besteht ein öffentliches Interesse an der Aufklärung und Sanktionierung solcher Straftaten. Manchmal ist der Eingriff in Geheimnisse sogar verlangt, um den Schutz anderer gewährleisten zu können (siehe zum Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall K.U. gegen Finnland hier). Um ein extremes Beispiel zu nehmen: Sollte sich ein Journalist, Anwalt oder Priester, der aufgrund bestimmter Tatsachen konkret verdächtig wäre, Kinderpornos auf einer Festplatte zu horten, auf das Redaktionsgeheimnis, die anwaltliche Verschwiegenheit oder das Beichtgeheimnis berufen können?

Man mag mit gutem Grund besorgt sein, dass die nun vorgeschlagene Regelung – die Beschuldigten das Recht nimmt, der Sicherstellung unter Berufung auf Verschwiegenheitspflichten zu widersprechen – missbraucht werden könnte. Dass man Investigativjournalisten mit dem Vorwurf der Beitragstäterschaft zum Amtsmissbrauch zu Beschuldigten machen könnte, um dadurch die Quellen zu knacken, sollen manche ja schon überlegt und auch versucht haben. Ähnliches ist bei AnwältInnen und SteuerberaterInnen denkbar, wo die Grenze zwischen umfassender Beratung und Betreuung der MandantInnen und Beitragstäterschaft z. B. zu Steuerhinterziehung oder Korruptionsdelikten nicht immer ganz so schwarz-weiß klar erkennbar ist, wie man sich das vielleicht wünschen würde.

Ein derartiger Missbrauchsversuch ist nie auszuschließen, und wie der Fall "Am Schauplatz" gezeigt hat, kann man auch bei der aktuell noch geltenden Rechtslage nicht ausschließen, dass einzelne Gerichtsentscheidungen unzulässig weit in das Redaktionsgeheimnis eingreifen. Gerade der Fall "Am Schauplatz" hat aber auch gezeigt, dass die Fehlentscheidung eines Gerichts binnen kurzer Zeit auf Grund von Rechtsmitteln sowohl der Generalprokuratur als auch des betroffenen Mediums vom OGH korrigiert wurde. Ich verstehe die journalistische Lust an der Zuspitzung, aber so wie nicht jede Übertretung des Mediengesetzes durch ein Medium ein Generalangriff von JournalistInnen auf den Rechtsstaat ist, so kann bei einer einzelnen gerichtlichen Fehlentscheidung noch keine Rede davon sein, dass der Rechtsstaat "die Jagd auf Journalisten freigegeben" habe.

Zusammenfassend

würde ich (auch) bei der vorgeschlagenen Neuregelung

  • erstens nicht ausschließen, dass eine Umgehung des Berufsgeheimnisschutzes in Einzelfällen versucht werden könnte, aber
  • zweitens darauf vertrauen, dass die Rechtsprechung grundsätzlich gefestigt und klar genug ist, um solche allfälligen Ausrutscher abzustellen; ich kann mir nicht vorstellen, dass es der OGH akzeptieren würde, wenn etwa InvestigativjournalistInnen, die unter Anwendung der erforderlichen journalistischen Sorgfalt aus vertraulichen Akten oder Mails zitieren, deshalb als BestimmungstäterInnen zum Amtsmissbrauch als Beschuldigte geführt würden, um so die Datenträger sicherstellen und auswerten zu können.

Zum Prozeduralen

Heftigst kritisiert wurde auch, dass die Änderung "heimlich" erfolgt sei, oder in einem Gastkommentar in der Wiener Zeitung – "vermutlich auf Basis einer Täuschung des Ministerrats, dass dieser Entwurf positiv begutachtet sei". Besonders hervorzuheben ist ein Beitrag im Ö1-Mittagsjournal, in dem es wörtlich hieß: "Die Änderungen im Gesetzesvorschlag wurden nach der Begutachtung der Novelle eingefügt und so im Ministerrat unbemerkt durchgewunken. (...) die heikle Gesetzesänderung wurde nur per Zufall von einem aufmerksamen Mitarbeiter (der Rechtsanwaltskammer, Anm.) auf der Parlamentsseite entdeckt."

Dazu ist anzumerken, dass ein "unbemerktes Durchwinken" im Ministerrat ziemlich schwierig ist, wird doch das Ministerratsmaterial zuvor an alle Ministerien verteilt, wo es auf Kabinettsebene und in aller Regel auch auf Fachebene gründlich daraufhin durchgesehen wird, ob es aus der Sicht des jeweiligen Ministeriums – und auf politischer Ebene aus der Sicht der jeweiligen Minister-Partei – Einwendungen gibt.

Die politische Abstimmung, auch mit Klubvertretern, in der Ministerratsvorbesprechung stellt dann sicher, dass für alle zu behandelnden Vorlagen Einhelligkeit besteht. Einwendungen politischer oder fachlicher Natur, die in der Vorbesprechung nicht ausgeräumt werden können, führen in der Regel dazu, dass die jeweilige Vorlage von der Tagesordnung abgesetzt wird, da im Ministerrat nur einstimmige Entscheidungen möglich sind. Man kann also davon ausgehen, dass zwar nicht alle Regierungsmitglieder persönlich alle Vorlagen gelesen haben, dass aber in jedem Ministerium jemand geprüft hat, ob aus der Sicht des jeweiligen Ressorts zugestimmt werden kann.

Nach dem Ministerratsbeschluss geht die Regierungsvorlage an den Nationalrat und wird von der Parlamentsdirektion auf der Website des Parlaments veröffentlicht. Sehr heimlich und versteckt ist das nicht gerade, ganz abgesehen davon, dass es sich dabei noch nicht um eine Gesetzesänderung, sondern erst um den Vorschlag der Regierung für eine Gesetzesänderung handelt. Und auch wenn wieder nicht alle Abgeordneten alle Vorlagen lesen, die Abgeordneten des Justizausschusses (unterstützt von ihren parlamentarischen MitarbeiterInnen) wissen in der Regel schon, was sie beraten und worüber sie abstimmen.

Dass nach der Begutachtung – zwischen Ministerialentwurf und Regierungsvorlage – Änderungen vorgenommen werden, liegt in der Natur der Sache. Es ist ja gerade der Zweck des Begutachtungsverfahrens, dass Fehler und Verbesserungsmöglichkeiten erkannt werden können, um schließlich einen allen Einwänden möglichst gerecht werdenden und konsensfähigen Text ins Parlament schicken zu können. Die heftige Kritik daran, dass die Änderung "heimlich" und ohne Begutachtung in den Text hineingekommen sei, kann ich daher so nicht nachvollziehen.

Das Justizministerium schreibt in seiner Aussendung, dass sich "im Zuge der Begutachtung ... anhand der Stellungnahmen Änderungsbedarf gezeigt" habe; leider wird nicht mitgeteilt, wer konkret diese Änderungen vorgeschlagen hat.

Ob das Vorschlagen der Änderung im aktuellen Umfeld politisch-taktisch für die Justizministerin klug war, will ich nicht beurteilen. Angesichts der doch sehr vorhersehbaren Reaktionen der betroffenen Berufsgruppen verwundert es mich aber schon, dass nicht zuvor der Konsens gesucht oder zumindest umfassender konsultiert wurde, wie dies im BMJ sonst meist üblich ist. Auch die noch unter der Vorgängerin der aktuellen Justizministerin abgehaltene Fachtagung zum Redaktionsgeheimnis (dazu hier) hätte einen Ausgangspunkt für weitere Diskussionen bieten können.

So aber scheint es nicht unrealistisch, dass die geplanten Änderungen am kommenden Dienstag im Justizausschuss nicht die Zustimmung der Abgeordneten finden werden. Eine "Reparatur" wäre einfach möglich und wird dem Vernehmen nach auch schon vorbereitet, sodass auch dem Beschuldigten weiterhin die Möglichkeit zum Widerspruch gegen eine Sicherstellung offenstehen würde. (Hans Peter Lehofer, derStandard.at, 8.3.2012)