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Im Reagenzglas erzeugte Embryonen dürfen in Deutschland unter bestimmten Bedingungen auf Erbkrankheiten untersucht werden.

Foto: dapd

Steffen Bockhahn, Abgeordneter der Linken, hat am Donnerstagvormittag schon eine Weile im Plenarsaal des deutschen Bundestages gesprochen, da stockt er plötzlich und erzählt dann mit tränenerstickter Stimme von seiner Tochter: "Ich bin seit zwei Jahren der glücklichste Vater der Welt." Dieses Glück solle auch anderen Eltern ermöglicht werden, daher sei er für die Präimplantationsdiagnostik.

Präimplantationsdiagnostik, kurz PID genannt, beschäftigt den Bundestag an diesem Donnerstag intensiv. Nach jahrelanger Diskussion sind die Abgeordneten zusammengekommen, um zu entscheiden, ob in Deutschland künftig Gentests an künstlich erzeugten Embryonen erlaubt sind, bevor diese in die Gebärmutter eingepflanzt werden.

Stundenlange Debatte

Fünf Stunden lang diskutieren die Abgeordneten, es ist in vielerlei Hinsicht eine außergewöhnliche Debatte. Einerseits sehr ruhig und ernsthaft, andererseits auch sehr emotional. Immer wieder erwähnen Politiker ihre eigenen Kinder oder ihnen bekannte Schicksale, wenn sie für die Gentests werben oder davor warnen.

Vor Beginn der Sitzung um neun Uhr ist noch völlig unklar, wie die Entscheidung letztendlich ausfallen wird. Denn - auch dies ist ungewöhnlich - der Fraktionszwang für die Abstimmung wurde aufgehoben. Jedes Mitglied des Bundestags kann frei nach seinem Gewissen entscheiden. Und die Bruchlinien verlaufen auch nicht zwischen den Parteien. In allen Fraktionen gibt es Befürworter und Gegner der PID.

"Es gibt keinen perfekten Menschen"

Der Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Wolfgang Zöller (CSU), etwa warnt vor Zulassung der Tests: "PID bedeutet Selektion. Unter den künstlich hergestellten Embryonen werden die einen ausgewählt, die anderen verworfen." Auch Ilja Seifert, der behindertenpolitsche Sprecher der Linken, mahnt: "Es gibt keinen perfekten Menschen, niemand von uns ist das."

Für die PID macht sich die CDU-Abgeordnete Katherina Reiche stark, die auf das Leid verweist, das Eltern mit schwer behinderten Kindern erfahren können: "Ein totes Kind ist eine Lebenskatastrophe, die niemals heilt." FDP-Politikerin Ulrike Flach verweist darauf, dass es widersinnig sei, Abtreibung in Grenzen zu erlauben, das Vermeiden von Abtreibung (durch vorheriges Aussortieren) aber zu verbieten.

Eine deutliche Mehrheit

Ihr Antrag ist es dann auch, der am frühen Nachmittag eine doch überraschend deutliche Mehrheit findet. Künftig dürfen Paare die Präimplantationsdiagnostik nutzen, wenn aufgrund ihrer genetischen Veranlagung eine schwerwiegende Erbkrankheit beim Kind oder eine Tot- oder Fehlgeburt wahrscheinlich ist.

Eine ärztliche Beratung vor der Entscheidung zur PID ist Pflicht, die PID wird deutschlandweit auch nur an einigen wenigen, ausgewählten Kliniken durchgeführt. Für diesen Weg votierten 326 Abgeordnete, darunter auch die deutsche Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU), die in dieser Frage anders denkt als Kanzlerin und Parteichefin Angela Merkel.

Auch dritter Weg mit Minderheit

Merkel spricht sich bei der Abstimmung wie 259 andere Abgeordnete für ein Verbot von PID aus. Dieser Antrag bleibt jedoch ebenso in der Minderheit wie ein Kompromiss, den einige Abgeordnete als dritten Weg vorgelegt haben. Darin wird die PID nur in äußerst engen Grenzen erlaubt - etwa, wenn abzusehen ist, dass das Kind aufgrund einer schweren Erbkrankheit in den ersten Lebensjahren sterben wird. Dafür stimmen nur 54 Mandatare.

Im Reagenzglas erzeugte Embryonen auf Erbkrankheiten zu untersuchen ist in vielen europäischen Ländern (Belgien, Großbritannien, Dänemark) bereits erlaubt, ebenfalls in den USA. In Österreich ist sie verboten, es gibt auch kaum Debatte darüber. 2005 scheiterte die damalige Gesundheitsministerin Maria Rauch-Kallat (VP) mit dem Versuch, bei der Novelle des Fortpflanzungsmedizingesetzes die PID in eingeschränktem Umfang zuzulassen. (Birgit Baumann aus Berlin, DER STANDARD, Printausgabe, 8.7.2011)