Integration bedeutet, soziale Konflikte anzusprechen und zu lösen, sagte Talal Asad.

Foto: Andy Urban
Im Vordergrund beschleunigt oder bremst alle paar Minuten – je nach Fahrtrichtung – die U1 auf ihrer Trasse, dahinter ragen die Blöcke der UNO-City in den blitzblauen Himmel: Der Platz vor dem Eingang zu den Vereinten Nationen in Wien ist der Prototyp einer zweckdienlichen, architektonischen Moderne. Wer die Repräsentanz der internationalen Staatengemeinschaften betreten will, muss ihn überqueren.

Dieser Platz sei "wie kein zweiter geeignet, um Muhammad Asad zu ehren. Einen Weltenbürger, der überall auf der Welt, insbesondere aber im Orient, zu Hause war und seine Spuren hinterlassen hat", sagte am Montag der Wiener Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny (SPÖ). Er sagte es vor Ort und vor den Ohren weiterer feierlicher Redner wie Anas Shakfeh, Präsidenten der Islamischen Glaubengemeinschaft und Norbert Scheed, dem Donaustädter Bezirksvorsteher (SPÖ): Das nüchterne Stück Rasen und Beton vor der Pforte zum VIC wurde am Montag in Muhammad-Asad-Platz benannt, wie es auch das neue, blaue Straßenschild verkündet: Die erste Straßenbenennung nach einem Muslim in Österreich, wie Ideengeber Omar Al-Rawi, SP-Gemeinderat in Wien, stolz herausstreicht.

Muslimischer Aufklärer

Muhammad Asads wurde im Jahr 1900 als Leopold Weiss in Galizien geboren. Der Sohn jüdischer Eltern wuchs in Wien auf. Sein erwachsenes Leben startete er in den Literatenkaffees der k. u. k. Metropole und als Journalist. Aber nach einer Reise nach Jerusalem konvertierte er mit 26 Jahren zum Islam und änderte seinen Namen. In den folgenden Jahrzehnten wurde Muhammad Asad zu einem der wichtigsten muslimischen Aufklärer des 20. Jahrhunderts, verfasste Bücher, schrieb die Verfassung des Königreichs Saudi-Arabien und der Republik Pakistan mit. Als pakistanischer Gesandter saß er in der UNO-Vollversammlung in New York, doch im zusehends politischer werdenden Islam gab es für den Vertreter einer strikten Trennung von Staat und Religion immer weniger Platz. Als er 1992 in südspanischen Granada starb, galt er vielen muslimischen Repräsentanten als Ketzer.

Dieser Mann sei für die Muslime, die heute in Europa leben "vielleicht nicht repräsentativ" – passen würde die Benennung aber allemal, meint Talal Asad, Sohn des Geehrten. "Der kulturelle Hintergrund der Muslime ist vielfältig, vielfältig wie der Islam", sagt der Spross aus einer Ehe Muhammad Asads mit der Angehörigen einer führenden saudiarabischen Familie, der selbst Muslim ist.

Bisher kein Bezug zu Wien

Zur feierlichen Platzbenennung war der in Pakistan aufgewachsene 63-Jährige, der es zu einem der bekanntesten religionsvergleichenden Ethnologen in den USA gebracht hat, "zum allerersten Mal in meinem Leben" nach Wien gekommen. Zur Geburtsstadt seines Vaters habe er "bisher keinerlei Bezug gehabt", ebenso wenig wie zu dessen ursprünglicher Religion, dem Judentum: Talal Asads Forschungen an der City University of New York haben sich bisher ausschließlich mit Christen und Muslimen beschäftigt.

"Sehr eingenommen" sei er von Österreich, seit er erfahren habe, "dass der Islam hier zu den staatlich anerkannten Religionen gehört", betont Talal Asad im STANDARD-Gespräch. "Das ist eine große Chance, ja vorbildlich." Die Integration muslimischer (oder anderer) Einwanderer nämlich könne nur "auf Augenhöhe" geschehen.

Und tunlichst ohne Vorannahmen, wie etwa über den "gefährlichen Islam", meint der Mann, der in seinen Schriften Verhärtungen nicht ausschließt. Soziale Konflikte habe es in Europa immer wieder gegeben: "Denken Sie nur, wie heftig im 19. Jahrhundert hier die Auseinandersetzungen mit der Arbeiterklasse waren". Auch bei diesem Konflikt habe die Antwort im Grunde in "Integrationsbestrebungen" gelegen, in Österreich etwa durch die Sozialdemokratie: "Ich bin kein Prophet", sagt Talal Asad, "aber was der Islam in Europa braucht, ist glaube ich etwas in dieser Art." (Irene Brickner/DER STANDARD-Printausgabe, 14.4.2008)