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Die Turbulenzen an den Finanzmärkten erreichen ungeahnte Ausmaße. Mit dem Verfall diverser Wertpapiere wackeln auch die Sicherheiten für Kredite. Nun droht eine Welle von Notverkäufen.

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New York – Die Finanzkrise erweist sich als Spirale nach unten. Der Verfall der verbrieften Wertpapiere und Anleihen beunruhigt die Banken, denen die Instrumente als Kreditbesicherung dienen. Sie verlangen von Kunden Nachschüsse ("Margin Calls", siehe Wissen). Die Kreditnehmer müssen nun Notverkäufe tätigen, um die Fälligstellung der Ausleihungen zu vermeiden. Das drückt die ohnehin gebeutelten Kurse zusätzlich nach unten.

Die Spielsummen, um die es geht, sind ziemlich bedrohlich: 325 Milliarden Dollar (211 Mrd. Euro) könnten solche Nachschusspflichten ausmachen, schätzt JPMorgan. Alleine auf dem US-Hypothekenfinanzierer Thornburg lasten entsprechende Forderungen in der Höhe von 610 Millionen Dollar, was die verfügbare Liquidität des Unternehmens beträchtlich übersteigt und das Überleben des Konzerns gefährdet.

Von diesen Nachzahlungen betroffen ist auch ein Hypotheken-Fonds der US-Carlyle-Group, das als international größtes Beteiligungshaus gilt. Mehr als 400 Millionen Dollar an Nachforderungen und Kreditausfällen lasteten zuletzt auf Carlyle. Jetzt will die Carlyle Capital Corp. mit ihren Kreditgebern verhandeln, um eine Verschnaufpause zu erreichen. Der gesamte Markt für Kredit-Derivate ist durch die Turbulenzen in Mitleidenschaft gezogen worden. Die Kosten für die Versicherung von Unternehmensanleihen gegen Zahlungsausfälle sind in den vergangenen Monaten dramatisch gestiegen. Der Index iTraxx-Europe-125 ist seit Jahresbeginn von 50 auf 150 Basispunkte geklettert. Damit haben sich die Kosten für den Schutz gegen Zahlungsausfälle verdreifacht.

Ein Ende der Unsicherheit ist noch lange nicht in Sicht. Die Kreditkrise werde sich nach den schlechten US-Arbeitsmarktdaten ausweiten, heißt es bei JPMorgan. Diese seien "ein definitives Signal für eine Rezession".

Geldvernichtung

140 Milliarden Euro haben die Finanz-Turbulenzen weltweit bereits verschlungen. 55 Prozent der bisherigen Verluste oder umgerechnet 77 Milliarden Euro seien bei US-Instituten angefallen, geht aus einer Schätzung der japanischen Börsenaufsicht hervor. In Europa beliefen sich die Verluste aus Fehlspekulationen mit US-Ramsch-Hypotheken auf 51 Milliarden Euro. In Asien und Kanada mussten die Finanzinstitute zusammen rund neun Milliarden Euro abschreiben.

Die negativen Auswirkungen der Krise sind längst nicht mehr auf den Finanzsektor beschränkt. In den USA, wo die Krise durch schlecht besicherte Hypotheken (Subprimes) ausgelöst wurde, sind Zwangsvollstreckungen im kriselnden US-Immobilienmarkt derzeit auf einem Höchststand. "Die Krise hat sich auf die Autokredite, die Gemeindekredite und ganz allgemein den Markt für Handelskredite ausgebreitet", sagte John Thain, neuer Konzernchef von Merrill Lynch. Auch die Kreditkarten-Branche leidet darunter, dass Kredite nicht mehr bedient werden können. Die Sorgen gehen sogar so weit, dass der US-Bundesstaat Michigan die Vergabe einiger Studentenkredite stoppte.

Die US-Notenbank Fed hat bisher mit mehreren Zinssenkungen auf die Finanzkrise reagiert, in der Hoffnung, eine US-Rezession abfangen zu können. Nun rechnen Experten mit neuen Schritten. Die Investmentbank Goldman Sachs schrieb in einer Mitteilung an ihre Kunden, sie könne eine außerplanmäßige Zinssenkung der Fed vor ihrer nächsten geldpolitischen Sitzung am Dienstag kommender Woche nicht ausschließen. Gerechnet wird mit einer Reduktion des Zinssatzes um 0,75 Prozentpunkte.

Börsengang abgeblasen

Wegen der schlechten Stimmung an den Börsen hat die deutsche HSH Nordbank ihren für 2008 geplanten Börsengang auf unbestimmte Zeit verschoben. Stattdessen sollen die Eigentümer (Hamburg, Schleswig-Holstein, Sparkassen) zur Kasse gebeten werden, um Deutschlands fünftgrößter Landesbank rund eine Mrd. Euro für Wachstum zu verschaffen. Diese Maßnahmen seien im Rahmen des Börsengangs ohnehin vorgesehen gewesen, sagte Bankchef Hans Berger am Montag in Hamburg. Sie würden nun vorgezogen. (bpf, Reuters, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 11.03.2008)