Vor zehn Jahren fand in der Wiener Secession eine von Hans-Ulrich Obrist und Hou Hanru kuratierte Ausstellung mit dem Titel „Cities on the Move“ statt, die die Veränderungen asiatischer Metropolen veranschaulichte. Angesichts des explosionsartigen Wachstums der Städte wirkte die westliche Idee einer geregelten, auf den Ausgleich öffentlicher und privater Interessen abzielenden Stadtplanung anachronistisch. Während in dieser Ausstellung auch Künstler aus dem vietnamesischen Hanoi oder dem indonesischen Jakarta eingeladen waren, richtete sich die westliche Wahrnehmung in den folgenden Jahren auf China. Das kommunistische Land mit neoliberaler Wirtschaftspolitik wurde zur Projektionsfläche westlicher Sehnsüchte nach Veränderung und Modernisierung, aber auch für die Angst vor billiger Konkurrenz, ökologischen Katastrophen und politischer Unfreiheit. Auch in der zeitgenössischen Kunst konzentrierte sich das Interesse auf dieses gigantische Laboratorium der Globalisierung. Allein im heurigen Jahr fanden in Österreich bereits drei große Ausstellungen über chinesische Kunst statt. Die Ausstellung „China – Facing Reality“, die nun im Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien zu sehen ist, geht auf einen künstlerischen Austausch mit chinesischen Museen zurück.Vor drei Jahren machte eine Ausstellung abstrakter Maler aus Österreich in vier chinesischen Städten Station. Auch die gemeinsam mit dem National Art Museum of China (NAMOC) konzipierte MUMOK Ausstellung präsentiert nun in erster Linie Malerei. Sie rückt einen Aspekt in den Mittelpunkt, der an einen alten Antagonismus zwischen kapitalistischer und kommunistischer Welt erinnert, den Realismus. In der Ideologie des Kalten Krieges war die abstrakte Malerei Ausdruck gesellschaftlicher Freiheit, der Sozialistische Realismus dagegen wurde von Moskau und Peking als ästhetische Doktrin gegen den „bürgerlichen“, westlichen Formalismus propagiert. Dieses ästhetische Programm war paradox genug, griff der in Monumentalbildern oder Plakaten angewandte Stil doch auf die akademische Salonmalerei des bürgerlichen 19. Jahrhunderts zurück.Monumental im Format und ihrer propagandistischen Funktion entleert, wirken etwa die Bilder von Fang Lijun oder Yue Minjun wie Karikaturen traditioneller Parteikunst. In ihren grinsenden Glatzkopfmotiven spiegelt sich der Zeitgeist nach der blutig niedergeschlagenen Demokratiebewegung von 1989. Elfen und Puppen bevölkern die Bilder von Chen Ke.Von politischer Teilnahme ausgeschlossen, zieht sich der Einzelne in Fantasiewelten zurück. Die Ästhetik von Comic und Computerspielen bilden deren massenmediale Bezugspunkte. Realistisch im dokumentarischen Sinn zeigen Fotokünstler wie Miao Xiaochun oder die Videokünstlerin Cui Xiuwen das Leben in den Global Cities, nächtliche U-Bahn-Fahrten oder Menschenmassen, die sich um Hochhäuser winden. Als Abziehbild der realen Verhältnisse kann der geänderte Status der zeitgenössischen Kunst in China betrachtet werden. Liu Chunhuas Ölbild „Mao auf dem Weg nach Anyuan“, ein Klassiker der Kulturrevolution, wurde etwa 900 Millionen Mal reproduziert, 1995 dann um 600.000 Euro verkauft. Der damals durchstartende chinesische Kunstmarkt bewertete die kommunistische Ikone nach dem Gesetz von Angebot und Nachfrage neu. Heute erzielen Bilder von Fang Lijun oder dem ebenfall im MUMOK gezeigten Zhang Xiaogang bis zu zwei Millionen Euro. Ausstellung China Facing Reality 26.10.2007 – 10.2.2008