Plassnik und Gusenbauer mit dem Fax von EU-Kommissionspräsident Barroso.

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Wien/Brüssel – Dienstagnacht, sagte Alfred Gusenbauer, sei ihm das quasi erlösende Schreiben aus Brüssel zugegangen. EU-Kommissionschef José Manuel Barroso stellt dem „sehr geehrten Herrn Bundeskanzler“ darin in Aussicht, das Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich wegen des beschränkten Uni-Zuganges in den kommenden Wochen auf fünf Jahre auszusetzen. Damit sei zeitweilig Rechtssicherheit gewonnen, betonte der Kanzler am Mittwoch in Wien. Auch habe die Kommission dadurch die österreichische Argumentation anerkannt, dass ohne Uni-Quoten ein Notstand in der österreichischen Ärzteausbildung entstehen könne. Beim EU-Gipfel ab Donnerstag in Lissabon werde er dies noch einmal offiziell zu Protokoll geben.

Barroso erklärte die Sache in Brüssel indes so: „Wir wollen Österreich mehr Zeit geben, um Daten über die Lage an den Universitäten zur Verfügung zu stellen.“ Auf die Frage, ob das Verfahren gegen Österreich auch eingestellt werden könnte, sagte Barroso: „Ja natürlich, wenn wir die Daten haben. Bisher haben wir die Daten noch nicht.“ Dies sei eine juristische Frage, die von der Kommission nicht einfach politisch entschieden werden könne. Er habe es für „nicht angemessen“ gehalten, dieses Thema mit dem EU-Reformvertrag zu verknüpfen, sagte Barroso. Von österreichischer Seite gebe es aber nun keine Absicht mehr, den Uni-Zugang in einem Protokoll des Vertrages zu regeln.

In Kommissionskreisen war zu hören, dass der Brief_Barrosos „ein Kraftakt“ des Präsidenten gewesen sei, der auch viel Kritik in der EU-Behörde ausgelöst habe. Vor allem der zuständige Bildungskommissar Ján Figel’ hätte gesagt, dass Österreichs Argumentation, derzufolge ein offener Zugang zum Medizinstudium einen Ärztemangel zur Folge hätte, schon gescheitert sei. „Warum sollen wir dann die Frist verlängern?“, wird er in der Kommission zitiert. Barrosos Alleingang sei dem Umstand geschuldet, dass er die Diskussion vom Gipfel fernhalten wollte.

Gute Chancen, das Verfahren trotz des Briefs Barrosos doch vor den Europäischen Gerichtshof zu bringen, hätte Rechtsexperten der Kommission zufolge jeder deutsche Student, der Klage vor einem österreichischen Gericht einbringt. Die österreichischen Gerichte müssten dann dem EuGH die Sache zur Entscheidung vorlegen. „Und der EuGH hat sich nur an geltendes Recht zu halten, der Brief Barrosos ist dann nichts wert“, heißt es in der Kommission. Wissenschaftsminister Johannes Hahn ließ offiziell wissen, dass er mit der Lösung leben könne. Der Kanzler müsse diese in Lissabon aber „noch nachschärfen“. Im Bundeskanzleramt löste dies „Verwunderung“ aus.

Hinter den Kulissen war auch im Wissenschaftsministerium Unmut zu vernehmen. Eine vorübergehende Aussetzung des Verfahrens war von Hahn immer nur als „drittbeste Lösung“ – nach Verankerung im EU-Reformvertrag oder einer Schließung des Verfahrens – bezeichnet worden. Vor allem, weil mit der Aussetzung die drohende Pönale-Zahlung noch immer über Österreich schwebt. Gusenbauer wurde unausgesprochen vorgeworfen, die österreichische Verhandlungsposition in der Frage weit hinter den bereits erreichten Stand katapultiert zu haben. Vor allem der Ton von Barrosos Schreiben, in dem „zusätzliche Fakten“ von Österreich verlangt werden, stieß den Zuständigen sauer auf. Immerhin wurden bereits 500 Seiten Dokumentation an Brüssel übermittelt. (Michael Moravec, Lisa Nimmervoll und Christoph Prantner/DER STANDARD Printausgabe, 18. Oktober 2007)