Der Rathausplatz in Valencia.

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Die "Stadt der Kunst und Wissenschaft" von Santiago Calatrava.

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Octavio Moreno wird jeden Nachmittag um kurz nach fünf zu einem Spielertyp, muss pokern, zocken, zehn Minuten lang diese Rolle leben. Der Mann ist hochkonzentriert und darauf angewiesen, in Sekundenbruchteilen die richtige Entscheidung zu treffen. Danach ist er wieder er selbst, lacht, plaudert, ist jovial: Señor Moreno pokert um die größten, schönsten, schwersten Hummer bei der allnachmittäglichen Fischauktion am Hafen von Denia. Er gewinnt dabei fast immer.

In der Auktionshalle ist der Küchenchef mit den silbergrauen Haaren und der Lücke neben dem rechten Schneidezahn Legende. Octavio Moreno ist Denias bester Hummer-Zocker. Er bekommt jeden, den er will – und er will immer den größten, auf den auch alle Besitzer der anderen Top-Restaurants scharf sind. 55 Euro zahlt er diesen Nachmittag für einen fangfrischen Zwei-Kilo-Hummer, knapp 95 Euro für eine Kiste erstklassige Gambas Rojas, die ein paar Stunden später als Meeresfrüchte-Carpaccio mit angewärmter Balsamico-Soße auf der Zunge zergehen werden. Gesteigert wird abwärts, begonnen mit dem Höchstpreis auf einer rückwärts laufenden Anzeigetafel: 120, 119, 118 Euro die Kiste. Ein Klick, und sie ist weg. Eine Zuckung zu spät, und der Hummer ist in andere Hände gewandert – eine zu früh, und die Sache rechnet sich nicht. Über Fernbedienung bieten die Küchenchefs, wenn der Fang ihrer Wahl aufgerufen wird, lassen sich von Urlaubern dabei von einer Tribüne aus über die Schultern schauen. "Du greifst nur zu, wenn der Preis für dich okay ist – und dann sofort. Dabei ist es nicht wichtig, dass du zu Auktionsbeginn um Punkt 17 Uhr da bist", sagt Octavio. "Aber es ist bedeutsam, den Fischer zu kennen." Er kennt sie alle und inspiziert vorab hinter den Kulissen immer zuerst den Fang von Jaime Llorca Zaragoza, denn der weiß, wo er in 800 Meter Tiefe momentan die besten Gambas in der Bahia de Denia finden kann.

Lange Zeit stand die spanische Costa Blanca nicht für kulinarische Höhepunkte, schon gar nicht für Luxusurlaub. Doch die Lage hat sich geändert: Gerade die nördliche Costa Blanca zwischen Oliva und Denia, zwischen Javea, Calpe und Altea schickt sich mit ihren Villen, ihren Yachthäfen, ihren Stränden und mit ihren ambitionierten Küchenchefs an, so etwas wie eine zweite, eine spanische Côte d'Azur zu werden.

Mehr als 300 Sonnentage weist die Statistik für diese Küste aus, die sich im weiten Bogen über mehr als 200 Kilometer erstreckt, irgendwo auf der Höhe von Oliva südlich von Valencia beginnt und bei San Pedro südlich von Alicante endet. Nur zwei Jahreszeiten kennt man hier: den Sommer von Juni bis September und den achtmonatigen Frühling zwischen Oktober und Mai. Selbst im Jänner, dem kältesten Monat, beträgt die durchschnittliche Tagestemperatur in Alicante milde 16 Grad. Keine schlechten Aussichten. Saison ist deshalb inzwischen fast rund ums Jahr, und nur im Jänner oder Februar machen viele Restaurants zwei, drei Wochen Betriebsferien.

Sandkisten zum Spielen, Toben, Träumen, zum Baden, Sonnen oder Flanieren hat diese Küste natürlich auch. Der schönste ist etwa fünf Kilometer lang, zwischen 50 und 100 Meter breit, gen Westen von einem schmalen Dünengürtel gesäumt und erstreckt sich zwischen Oliva und dem Nordrand der Ortschaft Els Poblets. Geformt hat ihn der liebe Gott damals, als er Spanien geformt hat. Die Namen der schönsten Strandabschnitte dort haben sich Menschen überlegt: Aigua Morta und Les Deveses. Weiter südlich unterbrechen Klippen die Küste, sind die Strände schmaler, kürzer – und manche Buchten nur von der See aus zu erreichen.

Fürs Image kommt gerade recht, welchen mondänen Zauber in den vergangenen Wochen das Spektakel rund um die Regatten des America's Cup vor Valencia keine 100 Kilometer nördlich von Denia entfachte. Nicht nur die Sportwelt blickte nun auf diese Küste. Prominente kamen in Scharen, das Fernsehen trug die Bilder in alle Welt, Sponsoren gaben Partys wie sonst nur bei den Filmfestspielen in Cannes. Und Luxusmarken eröffnen immer neue Boutiquen. Denn Valencia als drittgrößte Stadt Spaniens und Tor zur Costa Blanca hat sich hübsch gemacht für das Großereignis, ist mit dem Event in die erste Liga europäischer Städte aufgestiegen.

Die Costa profitiert davon – und ist doch schon weiter als die Metropole: Die Schiffe an den Kais sind bereits über die vergangenen Jahre einige Meter länger, breiter und in der Anschaffung manche Million teurer geworden, neue Yachthäfen sind entstanden. Die Costa ist in die erste Reihe der Urlaubsziele aufgerückt – gerade bei Gästen mit Geld. Erstklassige Golfplätze sind eröffnet, Boutique-Hotels in alten Villen und Kontorhäusern eingeweiht worden – und edle Restaurants. Die Zahl der Porsches in den Straßen der Küstenstädte, der Mercedes-Limousinen und BMW-Roadsters hat rasant zugenommen.

Dabei fußt der Tourismus an der Costa Blanca kaum auf Hotels. Die meisten Urlauber mieten sich Ferienvillen – oder bauen kurzerhand eine, obwohl sich die Immobilien- und Grundstückspreise im Schnitt alle fünf bis zehn Jahre verdoppeln.

In immer neuen Villenvierteln, in Urbanisationen an den Stränden oder bewusst weit abseits davon entstehen kleine Schlösser in Weiß, mit Bögen, Veranden, die großen mit Atrium, fast jedes ganz unabhängig von der Dimension mit eigenem Pool. Die Käufer: Engländer, Österreicher, Deutsche, Schweizer, neuerdings auch Russen – wie an der Côte d'Azur. Nur die reichen Araber fehlen hier noch. Sie siedeln ein paar hundert Kilometer weiter südlich in Marbella.

Die kleineren Häuser sind 100 Quadratmeter groß, die stattlichsten bringen es auf das Fünffache an Wohnfläche. Besten Meerblick gibt es als Zugabe, und zur Miete stehen tausende dieser Häuser bereit – die besten in der Hochsaison zu Preisen von oft mehr als 2000 Euro pro Woche.

Weil die meisten Urlauber Selbstversorger und entsprechend nicht auf die mitgebuchte Verpflegung irgendeines Hotels festgelegt sind, ist die Restaurant-Szene so vielfältig wie kaum irgendwo anders an Spaniens Küsten. Und mit der neuen Generation jüngerer Küchenchefs kommt immer mehr Pfiff ins Spiel, mit Quique Dacosta zum Beispiel, mit José Miguel Ruiz – und mit Octavio Morenos Schwiegersohn Ignacio Arrojo. Der hat die Herrschaft am Herd im "Octavio's" weit gehend übernommen, zaubert dort Rote-Rüben-Gazpacho mit zerlassenem Käse vom Merinoschaf, bereitet gegrillte Doraden mit Tatar von schwarzen Oliven, während der Senior sich um die Gäste kümmert – und für die Einkäufe in der Fischauktionshalle zuständig bleibt.

"Unsere Speisekarte dient nur als Ideensammlung. Nicht immer ist alles da, und manchmal gibt es etwas völlig anderes: Fasan und Hase aus dem Hinterland zum Beispiel, dazu Pilze aus Léon – was immer der Einkauf des Tages an Besonderem hergegeben hat", erzählt Octavio: "Ich frage die Gäste am Tisch, worauf sie Lust haben, spreche mit Ignacio, und wir schlagen ihnen dann etwas vor."

Irgendwo im Gebälk hoch über kalter Knoblauchsuppe mit Rotwein-Sorbet, Paella mit Safran-Reis, Petersfisch und gebratenen Gambas Rojas hängt eine Lautsprecherbox, aus der an diesem Abend Frank Sinatra singt: "Oh, darling, unforgettable". Recht hat er. (Helge Sobik/Der Standard/RONDO/20.07.2007)