Hubert Millonig (60) ist Nationaltrainer Lauf des Österreichischen Leichtathletikverbandes. In den vergangenen Jahren war der gebürtige Kärntner bei Olympischen Spielen, Welt- und Europameisterschaften, sowie zahlreichen internationalen Wettkämpfen auf der Bahn und im Marathonlauf als Betreuer tätig. Der VCM-Trainingsexperte ist selbst ehemaliger Österreichischer Meister im 5000m-Lauf und seit 1987 Trainer des erfolgreichen Marathonläufers Michael Buchleitner.

Foto: Millionig
derStandard.at: Wie viel darf ein Ausdauersportler essen um seine Energie ausgeglichen zu bilanzieren?

Millonig: Der Kalorienbedarf beträgt bei Männern, die nicht sportlich aktiv sind, circa 2500 kcal täglich, bei Frauen 2000 kcal/Tag. Läuft man eine Stunde, dann verbrauchen Männer, je nach Tempo, zwischen 600-1200 kcal, Frauen zwischen 400 und 900 kcal. Neben dem erhöhten Kalorienbedarf hat ein Sportler auch einen höheren Bedarf an Vitaminen, Mineralstoffen und Spurenelementen. Trinken sollte er auch mehr.

derStandard.at: Wie ernährt man sich in den Wochen und Monaten vor einem Marathon?

Millonig: Generell muss man, wenn man einen Marathon plant, sich Zeit nehmen seine Ernährung zu überdenken, vor allem dann wenn man übergewichtig ist. Ein Ausdauersportler muss nicht hungern. Essen muss schon Spaß machen. Wichtig sind die richtige Menge und die richtige Zusammensetzung. Eine einfache Regel: immer darauf achten, dass etwas Buntes, sprich Gemüse, beim Essen dabei ist und zwischendurch Obst essen.

derStandard.at: Also am besten ist ein Ernährungsplan für Marathonläufer?

Millonig: Nein. Die meisten Leute begreifen das und brauchen keinen Ernährungsplan dazu. Sogar bei den Leistungsathleten gibt es nur ganz wenige, die einen Ernährungsplan haben. Im Grunde ist es nicht kompliziert. Jeder Hobbyathlet kommt normalerweise mit einer vernünftigen zusammengesetzten Mischkost aus. Nahrungsergänzungsmittel sind nicht notwendig.

derStandard.at: Was versteht man unter Carboloading?

Millonig: Die letzten drei bis vier Tage vor dem Marathon werden vermehrt Kohlenhydrate gegessen und ausreichend getrunken um den Kohlenhydratspeicher optimal aufzufüllen. Das Training selbst wird in dieser Zeit stark reduziert.

derStandard.at: Wie ernährt man sich unmittelbar vor dem Marathon?

Millonig: Am Abend davor ist das Essen nicht mehr so entscheidend. Kaiserschmarrnparty muss es nicht unbedingt sein. Am besten man isst ein bisschen weniger, damit man schlafen kann. Am Wettkampftag selbst frühstückt man am besten drei Stunden vor dem Start weniger hochwertige, dafür leicht verdauliche Kohlenhydrate. Das wären zum Beispiel zwei Scheiben Weißbrot mit etwas Margarine und Marmelade oder Honig. Das oft beliebte Müsli mit Milch eignet sich als Marathonfrühstück nicht. Es ist zu schwer verdaulich.

derStandard.at: Wann und wie viel soll man in den letzten Stunden vor dem Start trinken?

Millonig: Nach dem Frühstück kann man alle fünfzehn bis zwanzig Minuten noch ein paar Schluck von einem Kohlenhydratgetränk zu sich nehmen, das man auch im Training schon getrunken hat. Im Normalfall hört man eine Stunde vor dem Wettkampf mit dem Trinken auf und dann trinkt man 40 bis 45 Minuten gar nichts. Dann wärmt man auf und versucht mehrmals die Blase zu entleeren. Zehn bis zwölf Minuten vor dem Start trinkt man noch einmal zwei Deziliter.

derStandard.at: Und während dem Wettkampf?

Millonig: Vom Start weg alle fünf Klometer beziehungsweise 20 Minuten zwei Deziliter eines kohlenhydratreichen Getränks, wie zum Beispiel Maltodextrin, trinken. Das ist sehr wichtig, denn diese Kohlenhydrate werden erst ab Kilometer 25 bis 30 wirksam. Wer zu spät oder gar nicht trinkt, geht ein Flüssigkeitsdefizit und ein Kohlenhydratdefizit ein und raubt sich selbst eine Chance. Darum ist es wichtig, dass man von Anfang an regelmäßig trinkt.

derStandard.at: Soll man während dem Marathon auch essen?

Millonig: Der Spitzenläufer wird das nicht tun, ihm fehlt die Zeit. Dem Hobbyläufer empfehle ich aber immer sich Zeit für das Trinken zu nehmen und er kann ohne weiteres auch ein Stück Banane oder ein Stück Kohlenhydratriegel essen.

derStandard.at: Was macht Kohlenhydrate für den Ausdauersportler so wichtig?

Millonig: In jeder Trainingseinheit und bei jedem Wettkampf werden je nach Dauer und Intensität vorrangig Kohlenhydrate verbrannt. Ohne kohlenhydratreiches Essen erbringt ein Ausdauersportler keine optimale Leistung. Angenommen ein Athlet trainiert sehr intensiv und erholt sich nicht ausreichend zwischen den Trainingseinheiten, dann gerät er möglicherweise in ein Kohlenhydratdefizit. Außerdem besteht für ihn die Gefahr eines Übertrainings.

Wichtig für den Läufer ist daher, dass er seine optimale individuelle Marathonwettkampfgeschwindigkeit kennt. Läuft er zu schnell, dann gerät er frühzeitig in ein Kohlenhydratdefizit und in weiterer Folge werden dann neben den Fetten auch Proteine verstoffwechselt. Proteine sind aber kein effizienter Brennstoff, sondern ein Grundbaustoff für Muskelzellen. Die hohe Belastung verursacht Schäden an den Muskelzellen. Regeneration nach dem Marathon ist daher sehr wichtig.

derStandard.at: Kohlenhydratfreie Kost würde beim Ausdauersportler demnach Muskelabbau bedeuten?

Millonig: Natürlich. Jede Form von Bewegung verbraucht Energie. Eine alleinige Fettverbrennung existiert nicht. Es ist immer eine Kombination aus Fett- und Kohlenhydratverbrennung.

derStandard.at: Wie sollten Kohlenhydrate, Fette und Proteine in der Nahrung des Ausdauersportlers prozentuell verteilt sein?

Millonig: Beim Ausdauersportler müssen die Kohlenhydrate auf circa 60 Prozent ansteigen, die Fette auf ein Viertel reduziert werden und Proteine sollten ungefähr 15 Prozent ausmachen.

derStandard.at: Wie sieht im Vergleich dazu die Verteilung beim Normalverbraucher aus?

Millonig: Der Österreicher hat in seinem Speiseplan ungefähr 35 Prozent Kohlenhydrate, 42 Prozent Fette und 13 Prozent Proteine. Dazu kommt dann noch zusätzlich ein Zehntel Alkohol. Der muss beim Ausdauersportler auf ein Minimum reduziert werden. Gegen ein Glas Bier oder Wein gelegentlich ist aber nichts zu sagen.

derStandard.at: Ist es egal welche Kohlenhydrate man zu sich nimmt?

Millonig: Man unterscheidet gute und weniger gute Kohlenhydrate. Polysaccharide zählen zu den hochwertigen, Monosaccharide zu den weniger guten. Ein guter Indikator ist der glykämische Index.

derStandard.at: Was versteht man darunter?

Millonig: Der glykämische Index (GI) bewertet die Kohlenhydrate sozusagen. Vollkornbrot oder Naturreis beispielsweise haben einen niedrigen Glykämischen Index und zählen daher zu den guten Kohlenhydraten. Weißbrot, Zucker oder Honig haben besitzen einen hohen GI. Das bedeutet zwar, dass der Blutzuckerspiegel schnell ansteigt, aber durch die Insulinausschüttung fällt er auch schnell wieder ab. Bei Produkten mit einem hohen GI kommt daher bald die nächste Heißhungerattacke.

derStandard.at: Aber die Banane hat doch auch einen relativ hohen glykämischen Index - wird den Ausdauersportlern aber immer empfohlen?

Millonig: Das stimmt. Die Banane ist aus der Ernährung des Ausdauersportlers nicht wegzudenken. Aber gerade nach einem Training ist es wichtig, dass man hochwertige Kohlenhydrate isst oder trinkt, denn dann hat der Organismus die Fähigkeit diese besonders rasch wieder im körpereigenen Speicher, als Glykogen in der Muskulatur einzulagern. In die Trainingstasche jedes Läufers gehört daher ein Kohlenhydratgetränk, eine Banane oder ein Apfel. Je früher nach dem Training der Ausdauersportler Kohlenhydrate zu sich nimmt, desto früher ist er wieder leistungsfähig.

derStandard.at: Wie geht es mit der Ernährung nach dem Marathon weiter?

Millonig: Die meisten Läufer sind im Ziel so erschöpft, dass sie kaum trinken können. Trotzdem sollte man es eigentlich sofort tun. Ein paar Minuten später sollte man bereits ein Stück Banane essen. Die nächsten Stunden hindurch empfiehlt es sich immer wieder ein paar Schlucke zu trinken und ein paar Bissen zu essen. Bei vielen Marathonläufern kommt der Appetit erst Stunden später.

Je rascher jedoch Kohlenhydrate zugeführt werden, desto früher wird man sich von der Anstrengung erholen. Viel größer ist das Problem des Proteinabbaus. Wie schon erwähnt, reichen die vorhandenen Kohlenhydrate nicht für den ganzen Marathon, vor allem wenn man ihn etwas zu schnell begonnen hat. Dann wird Eiweiß abgebaut und es kann zur Schädigung von Muskelzellen kommen, die dann wesentlich länger brauchen, um sich zu regenerieren. Das kann Tage oder auch Wochen dauern. (Regina Philipp)