Jede Gehirnregion hat ihre Aufgabe, bei Schizophrenie sind Betroffene von Eindrücken überfordert.

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Schizophrene Menschen hören Stimmen, fühlen sich beobachtet und verfolgt. Die Wahnideen seien typischerweise sehr obskur, berichtet Wolfgang Fleischhacker, Leiter der Psychiatrie an der Medizinischen Universität Innsbruck. Beispielsweise habe ein Patient erzählt, dass die Mafia, der KGB und der Vatikan gleichzeitig Geheiminformationen an ihn senden. Und zwar verschlüsselt über das Weltall. Mit zunehmender Technisierung spielen Computer oder Handys eine immer größere Rolle in den Wahnvorstellungen seiner Patienten, manche bannen Dämonen mit dem Handy, andere vermuten ein Computerchip-Implantat hinterm Ohr.

Emotional überfordert

Nicht alle schizophrenen Patienten haben Wahnsymptome. Manche leiden an rein affektiven Störungen: Die Gefühle verflachen, Freude oder Trauer können nicht mehr gedeutet werden, man wird misstrauisch und zieht sich zurück.

Krankheit der Reizüberflutung

In Österreich gibt es etwa 80.000 Betroffene. Meist bricht die Krankheit im Alter zwischen 15 und 35 Jahren aus, die Ursachen sind unklar. Forscher vermuten eine gewisse Empfindlichkeit des Gehirns, Stressfaktoren lassen die Erkrankung akut werden. Sowohl negative Ereignisse, etwa der Verlust eines Angehörigen, als auch positive Gefühlszustände wie das Verliebtsein können zu Überlastung führen.

In akuten Phasen können Schizophrene nicht mehr zwischen wichtig und unwichtig unterscheiden, und alles, was sie sehen und hören, prasselt ungefiltert auf sie ein. Die Folge: Reizüberflutung.

Viele Mythen

Um die Schizophrenie ranken sich viele Mythen: Ein weit verbreiteter Irrtum ist, dass schizophrene Menschen verschiedene Identitäten hätten. Dabei wird Schizophrenie mit Persönlichkeitsspaltung verwechselt. Ein anderer Irrtum ist der eines "Verrückten", der gewalttätig und hoffnungslos in seiner Welt verloren ist. "All das sind Vorurteile", erklärt Michaela Amering, Professorin an der Universitätsklinik für Psychiatrie der Medizinischen Universität Wien. Schizophrenie verläuft unterschiedlich, viele Betroffene werden wieder gesund oder können gut mit ihrer Krankheit leben.

Studie zu den Vorurteilen

Doch die Vorurteile halten sich hartnäckig, wie eine soeben veröffentlichten Studie von Alfred Grausgruber am Soziologie-Institut der Universität Linz ergeben hat. Jeder zweite hält Schizophrene für gefährlich, glaubt, die Krankheit ist nicht heilbar. "Das schafft große soziale Distanz, die für Betroffene ein enormes Problem ist. Vor allem haben auch manche Psychiater diese Vorstellung. All das beeinflusst Betroffene", erklärt Amering.

Selbsthilfe gegen schlechtes Image

Doch da sei aber gerade viel in Bewegung, sagt sie. Ausgehend vom angloamerikanischen Raum, hat sich in den vergangenen Jahren eine starke Betroffenenbewegung etabliert: Selbsthilfegruppen kämpfen gegen das schlechte Image der Krankheit. Schizophrene Menschen gehen an die Öffentlichkeit, akzeptieren die Krankheit als Teil ihrer Identität und sprechen offen und ehrlich darüber.

Stimmenhörer sind nicht verrückt

Besonders aktiv sind die so genannten Stimmenhörer. Sie hören zwar Stimmen, mit denen sie dann auch kommunizieren, doch Betroffene können ihren Alltag trotzdem gut bewältigen; als verrückt wollen sie keinesfalls gelten.

Die Psychiaterin Amering unterstützt die aufkeimende Betroffenenbewegung ganz aktiv. Anfang des Jahres hat sie ein Buch mit dem Titel "Recovery. Das Ende der Unheilbarkeit" veröffentlicht. Worum es geht? Um Empowerment: Betroffene formulieren Bedürfnisse und wollen den Behandlungsprozess mitgestalten und fordern ein Umdenken hinsichtlich der Prognose.

Neubetrachtung in der Psychiatrie

Ihr Engagement hat auch bereits Folgen: Schizophrenie wird in der Psychiatrie seit Kurzem neu betrachtet. So haben führende europäische Psychiater 2006 den Vorstoß von US-Psychiatern unterstützt und die Festlegung von Heilungskriterien gefordert. Für Depressionen gibt es solche schon seit Langem. Die Revolution für Schizophrene hingegen ist, dass die Möglichkeit einer Genesung erstmals überhaupt in Betracht gezogen worden ist. (Natasa Konopitzky/MEDSTANDARD/02.04.2007)