Der unverbaubare Panoramablick über Lissabons Altstadt aus der Suite "Padre Himalaya".

Foto: Sebastian Balzter
24 Millionen Dollar hat es gekostet, Egas Moniz zu seinem Recht zu verhelfen. Denn was anderes als das gute Recht des Hoflehrers ist es, den Einzug seines Zöglings, König Alfons' I., in Lissabon mit eigenen Augen zu sehen? Doch ein Jahr zu früh ist er gestorben – zu früh, um die blutige Belagerung der von den Mauren beherrschten Stadt am Tejo und ihre Einnahme durch die Portugiesen zu erleben. Als er stirbt, schreiben die christlichen Kalender das Jahr 1146, und der Palácio Belmonte ist noch nicht gebaut.

Ein Eckturm auf römischen Fundamenten und ein fünfeckiger Turm im Westen des Geländes im Schatten der trutzigen Burg hoch über der Stadt allerdings stehen schon – sie gehören zu dem Bollwerk, das Alfons’ Truppen so lange standhält. 300 Jahre später lässt sich der Adlige Bras Afonso Correia zwischen diesen beiden Türmen einen Palast bauen. Und wieder ein halbes Jahrtausend danach kauft ein französischer Geschäftsmann das verwinkelte, mittlerweile verfallende Gemäuer, um aus ihm eines der exklusivsten Hotels in Lissabon zu machen. Er gibt 24 Millionen Dollar dafür aus – und benennt eine der elf Suiten nach Egas Moniz, dem Hauslehrer des Königs.

Traumland

Das Hotel ist ein Traumland aus weitläufigen Korridoren und Sälen, Wandteppichen und Wendeltreppen, Balkonen und Kaminen. Die festen weißen Mauern und Ziegel halten die Räume wohltemperiert, auf technischen Schnickschnack wurde beim Umbau verzichtet – es gibt weder Klimaanlage noch Fernseher. So ist das Hotel zugleich ein 3000 Quadratmeter großer Hort der Ruhe – durch den Innenhof strömen zwar die Touristen zum Burgberg hinauf, doch im Garten des Palácio Belmonte ist von ihnen nichts zu sehen. Von den Terrassen geht der Blick weit über das Häusergewirr von Lissabons ältestem Stadtviertel, der Alfama, bis zum Tejo, der breit und träge wie ein Haff ist.

Spürbares Mikroklima

Al-hama nannten die Mauren das Viertel, der Name erinnert an die heißen Quellen, die es hier einst gab. Wie in einer mittelalterlichen Maurenstadt winden sich noch heute labyrinthische Gassen und Treppen – für Autos viel zu eng und zu steil, im Verteidigungsfall und für das Mikroklima aber äußerst sinnvoll – durch die Alfama. Verloren gehen kann man nicht in ihr, sie ist ein Dorf in der Stadt; verirren wird man sich zwangsläufig, keine Karte verzeichnet alle ihre Winkel. Auf den kleinen Plätzen kicken Kinder, Frauen verkaufen aus Holzkisten ihre selbst geernteten Orangen, die Werkstätten der Schuster sind weit geöffnet, in den gefliesten Kneipen, den Tascas, entstand vor Jahrhunderten der Fado, die Musik der Wirte, Matrosen und Prostituierten. Die handtuchschmalen Häuser der Alfama stehen auf dem selben felsigen Grund wie die Burg, das Castelo de São Jorge. So haben beide das Erdbeben überlebt, das 1755 weite Teile Lissabons zerstörte.

Historisches Futter für die Fantasie

In der Burg selbst residierten von der Einnahme der Stadt durch die Christen vor gut 850 Jahren bis 1521 die portugiesischen Könige. Die Herren des Palácio Belmonte gehörten zu ihren nächsten Nachbarn auf dem Königshügel. Die drei Euro Eintritt für das Castelo können sich Belmonte-Gäste allerdings sparen, im Übernachtungspreis ist genug historisches Futter für die Fantasie inbegriffen. Die blauen Kacheln an den Wänden – 250 Jahre alte Originale –, die massiven Schränke, die hinter Glas ausgestellten Briefe mit königlichem Siegel, die Winkel und Ecken – die frühere Hauskapelle hier, der Eingang zu einem unterirdischen Gang zum Fluss dort –, all das und der Duft der Jahrhunderte weben unweigerlich eine Atmosphäre, als sei jener zähe Kampf um Lissabon erst gestern zu Ende gegangen.

Vor Wim Wenders' filmischer Ode "Lisbon Story" hat bereits der portugiesische Nobelpreisträger José Saramago in seinem Roman "Die Geschichte der Belagerung von Lissabon" dem Haus ein literarisches Denkmal gesetzt. An einer Stelle darin steht der Verlags-Korrektor Raimundo Silva im Erker seiner Wohnung am Burgberg und sucht beim Anblick der wie Stufen bis zum Fluss hinabsteigenden Dächer die alte maurische Stadtmauer. Er geht sie ab, sein Weg durch die Alfama führt ihn rund um den Palácio Belmonte herum – Saramago ersetzt den Stadtplan: Von den Escadinhas de São Crispim über den Largo de Santo António da Sé in die Rua dos Bacalhoeiros und zum Chafariz da Preguiça, dem Springbrunnen des Müßiggangs, der "vielen Menschen den Durst und den Hunger nach Arbeit stillte, bis zum heutigen Tag".

Unantastbarer Patio

Schließlich tritt der Korrektor "in den Patio des Dom Fradique, die Zeit öffnet sich in zwei Äste, um diese auf Felsen gewachsene Siedlung nicht zu berühren" – es ist der Innenhof des Palácio Belmonte, in dem Raimundo Silva nun steht. "Geschwungene Arme, fest ineinandergelegte Finger, als hielte eine Schwangere ihren fülligen Bauch umfangen", so beschreibt Saramago den einstigen Befestigungsring. Nicht jeder wird die Worte und Bilder des Nobelpreisträgers finden, aber den Spuren der Vergangenheit kann im Palácio Belmonte niemand entgehen, genauso wenig wie der Perfektion des Personals und dem informellen Luxus des Hauses, in dem jeder Gast sein opulentes Frühstück einnimmt, wo und wann er will.

Egas Moniz wusste nichts von diesen späteren Annehmlichkeiten, als er seine Augen für immer schloss. Und auch der Korrektor Raimundo Silva, gegen seinen Willen und die Wahrscheinlichkeit unheilbar verliebt in die Verlagschefin Maria Sara, ahnt davon nichts; zum Frühstück begnügt er sich mit einem Buttertoast. Aber José Saramago hat auf den Patio des Palácio Belmonte die schönste Ode geschrieben, die ein Innenhof sich wünschen kann: "Nachts, in diesem Raum zwischen den niederen Häusern, erinnern sich die drei Gespenster, die des Gewesenen, des Hättseinsollen und des Hättgewesen-seinkönnen, sie reden nicht, sie schauen einander an wie Blinde und schweigen." (Sebastian Balzter/DER STANDARD, Printausgabe, 10.11.3.2007)