Die Gärten in Jersey sind liebevoll gepflegte Kostbarkeiten.

Foto: Mirjam Harmtodt
Manchmal sehen wir den Weg vor lauter Blumen nicht. Wir bleiben stehen und suchen, wo es in dieser Winterlandschaft weitergeht. In diesem Meer von Blue Bells, roten Grasnelken, weißem Leimkraut und gelbem Ginster. Eine Farbenlehre, die sich steile Hänge hinabzieht und zwischen bizarren Klippen in der Tiefe verliert. Zwischen ihnen tost weiß gischtend das Wasser des Ärmelkanals.

Der Wanderweg über die Höhen bei La Pulante nahe St. Helier, der Inselhauptstadt von Jersey, ist nur eine von unzähligen Möglichkeiten, die abwechslungsreiche Naturlandschaft der größten Kanalinsel kennen zu lernen. Mit diesem Reichtum, mit diesen Möglichkeiten des Wanderns durch Blumenwiesen und an kleinen Bächen entlang, über die Klippen mit dem immer wieder faszinierenden Ausblick aufs Meer hinaus, werben die Kanalinseln. Und bleiben dennoch zwischen der Südküste Englands und der Normandie gut versteckt.

Das gilt nicht nur für die kleinen Kanalinseln wie Alderney, Sark, Herm und Jethou, sondern auch für die beiden großen, Jersey und Guernsey. Der Golfstrom, der als wundersame Zentralheizung die Inseln umspült, beschert Jersey ein Klima, das mit statistischen 2000 Sonnenstunden im Jahr dem der Bermudas entspricht. Winter ist hier eine weit gehend unbekannte Erscheinung. Im Jänner beginnt bereits das Blühen um die Dörfer, die zwar französische Namen tragen, wo aber neben Englisch nur noch selten Jersey-French gesprochen wird.

St. Helier, die Inselhauptstadt von Jersey und größte Stadt der Kanalinseln, entpuppt sich als überraschend urban. Schicke Boutiquen, reichhaltig sortierte Warenhäuser, natürlich auch traditionsbewusste Pubs und die eine oder andere Diskothek prägen das Bild der Straßen.

Das in einem mehr als 200 Jahre alten Hafenspeicher untergebrachte Seefahrtsmuseum erinnert an die großen seemännischen Leistungen: Jersey galt als wahres Zentrum der Seeräuberei. Dabei wurde allerdings sorgsam unterschieden zwischen der gemeinen Piraterie, die mit der Todesstrafe geahndet wurde und der Freibeuterei - also königlich privilegierter Piraterie, bei der die Krone einfach die Hälfte der Beute bekam.

Vornehme Freiheiten

Jersey, wie auch die anderen Kanalinseln, gehört im Gegensatz zum englischen Festland nicht zur EU. Der Besucher bemerkt das zu allererst an den vielen Möglichkeiten des weit gehend steuerfreien Einkaufens. Gleich darauf an den vornehmen Häusern, die zumeist das Messingschild einer Versicherung, eines Maklers oder einer Firma tragen, die möglicherweise nur aus diesem Schild besteht.

Jersey ist zwar Schutzgebiet der britischen Krone, hat aber seit den Zeiten von Wilhelm dem Eroberer einen unübersehbaren Sonderstatus. Die 53 gewählten Mitglieder des Parlaments gehören nicht einmal einer bestimmten Fraktion an, weil es auf Jersey gar keine Parteien gibt. Neben dem Jersey Pound wird mittlerweile auch das britische Pfund und teilweise der Euro als Zahlungsmittel akzeptiert.

Eigenwillig sind auch die kilometerlangen Sandstrände an der Küste von Jersey. Denn trotz der passablen Wassertemperatur macht der Gezeitenwechsel das Baden zu einem gefährlichen Unterfangen, läuft doch die Flut hier mit gnadenloser Geschwindigkeit bis zu 14 Meter hoch auf. Surfer fühlen sich hier zu Hause, für sie gelten die Gewässer um die Kanalinseln als eines der besten Reviere überhaupt. Sogar von Australien kommen sie an die Küsten Jerseys.

Die Klippen an der Nordküste sind nicht nur das bevorzugte Ziel der Wanderer, sondern auch Heimat unzähliger Schalentiere. Jedenfalls so lange, bis ihr Weg in die zahlreichen Feinschmecker-Restaurants der Kanalinseln führt. Mit stattlichen Hummerportionen, frischen Langusten und Krabben holt man sich das Panorama der Nordküste ganz einfach auf den Teller.

Am Rebstock gehen

Im Norden präsentiert Jersey eine weitere Überraschung. Hier wandert man an Rebstöcken vorbei, die die Kanalinsel Jersey zu den europäischen Weinbauregionen gehören lässt, auch wenn die Weine vom einzigen Gut "La Mare" die Insel kaum verlassen.

Autofahren auf Jersey hat den Reiz des Unwägbaren. Nicht wegen des wie überall in Großbritannien herrschenden Linksverkehrs. Diese Vorschrift ist auf Jersey illusorisch, weil die Straßen ohnehin so schmal sind, dass gerade ein Wagen Platz hat. Während man sich von Kuppe zu Kuppe vorwärtstastet, bleiben die Augen ständig auf der Suche nach der nächsten Ausweichstelle für den Gegenverkehr. Dennoch wird man das mit 570 Kilometern beachtlich dichte Straßennetz nutzen wollen, um alle Inselteile zu erreichen - möglich ist dies auch mit öffentlichen Bussen.

Burgen wie Gorey Castle und alte Dorfkirchen, die noch aus normannischer Zeit stammen, überraschen zunächst mit kostbaren Glasfenstern und mittelalterlichen Fresken. Ob man sich dann in die Geschichte der Insel auf einem der prächtigen Landsitze vertieft oder im mehrfach ausgezeichneten "Jersey Museum", wird wohl auch davon abhängen, ob sich vielleicht doch ein Regentag in die sonnige Statistik geschummelt hat. (Christoph Wendt/Der Standard/Printausgabe/17.18.2.2007)