Harte Worte musste Heinrich Mis, ORF-Fernsehfilmchef Donnerstag, bei der "Diagonale"-Diskussion in Graz zum Thema "Der österreichische Film und der ORF" stellvertretend für das gesamte Unternehmen einstecken. Besonders umstritten war die Nicht-Ausstrahlung der Ortstafel-Dokumentation "Artikel 7 - Unser Recht".

"Wir haben ja keine Nachrichtensendung gemacht"

Der vom ORF in Auftrag gegebene Film entspreche nicht dem Rundfunkgesetz, die Dokumentation sei nicht objektiv. "Wir haben ja keine Nachrichtensendung gemacht", konterte Regisseurin Eva Simmler, die aus dem Publikum sprach. "Natürlich sind wir subjektiv!" Hubert Sauper, dessen preisgekrönter Dokumentarfilm "Darwin's Nightmare" bald im ORF laufen soll, solidarisierte sich mit den Filmemachern und bot dem ORF an, seine Arbeit wieder aus dem Programm zu nehmen: "Dann müssen Sie aber meinen subjektiven Autorenfilm auch absagen!"

Zu sehen war "Artikel 7" dann Freitag Vormittag bei freiem Eintritt im Schubertkino. Eva Simmler erklärte Donnerstag weiters, dass es von Seiten des ORF gar die Androhung gebe, die komplette Förderung zurück zu zahlen. Der ORF verstecke sich hinter dem Gesetz-Argument, um die Bundesregierung zu schützen, so Filmemacherin Andrea Dusl. "Ich darf so etwas sagen, ich bin nicht angreifbar."

"Laufender Gesetzesverstoß"

Weiteres Thema der Diskussion war auch die derzeitige Positionierung des ORF: In einer "bedenklichen Übergangssituation von einer öffentlich rechtlichen zur kommerziellen Anstalt" befinde sich der ORF derzeit, konstatierte Kurt Mayer, Vorsitzender des Dachverbandes der Filmschaffenden. Einen "laufenden Gesetzesverstoß" sah gar Trautl Brandstaller, die als langjährige "Prisma"-Moderatorin als ORF-Insiderin geladen war.

Ein Problem sei auch der Umgang mit den Gebührenzahlern. Hubert Sauper sieht das ORF-Publikum in der Situation eines 12-jährigen Buben, dem man "nichts zumuten will". Diese "arrogante Haltung im ORF" führe dazu, dass "der Bub blöd wird." Dusl rief symbolisch zur Revolution auf: "Wir müssen uns diese Maschine zurück erobern!" Sie wisse auf Grund der Berichterstattung mehr Bescheid über Markus Rogans nackten Oberkörper oder Formel 1-Trainings als über den österreichischen Film. Durch die Programmauswahl des ORF gebe es Menschen, die "gar nicht wissen, dass sie etwas anderes sehen wollen, weil sie nichts anderes kennen."

Begründung für späte Sendezeiten von "anspruchsvollen" Formaten

Mis verwies auf die Bestrebungen des ORF, mit seinem Programm 40 bis 50 Prozent Marktanteil zu erreichen. Außerdem habe man sehr wohl probiert, sich mit problematischen Themen auseinander zu setzen, so habe man beispielsweise im Hauptabendprogramm eine Sendung über weibliche Beschneidung ausgestrahlt. Auch der österreichische Film sei kein Publikumsmagnet: "Als wir den Diagonale-Eröffnungsfilm 'Gebürtig' im Hauptabendprogramm gesendet haben, verloren wir in den ersten 20 Minuten die Hälfte der Seher", argumentierte Mis die späte Sendezeit von "anspruchsvollen" Formaten. Er sei der Meinung, dass das kunstinteressierte Zielpublikum zur Primetime gar nicht ans Fernsehen denke, vielmehr sei man erst zu späterer Stunde bereit, das TV-Gerät einzuschalten.

Die Diskussionen im Rahmen der Diagonale gehen auch Freitag weiter, um 14 Uhr treffen im Kunsthaus Graz etwa Peter Rommel (ex picturis), Dieter Pochlatko (epofilm) und Nina Kusturica (Filmemacherin) aufeinander.

Freitag findet im Festivalzentrum der "Diagonale" um 16.30 Uhr im Space04 eine spontan angesetzte Diskussion rund um den Themenbereich "Objektivität" bzw. "Inszenierte Realität" im Dokumentarfilm statt: Diskussion "Objektive Alpträume" mit Hubert Sauper zur Realität seines Films "Darwins Nightmare" und Eva Simmler und Thomas Korschil zu ihrem Film "Artikel 7 - Unser Recht!" (APA)