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Jede Scheidung, jede Trennung funktioniert nach ihren eigenen Gesetzen. Gemeinsam getrennt und aufgeteilt. Der eine geht in die- se Richtung, die andere geht in jene. Schluss.

Irgendwo an dieser Weggabelung stehen die Kinder. Sie werden den schwierigsten Weg zu gehen haben. Sie sind die Letzten, die entscheiden dürfen, wohin die Reise geht: Was für Mutter und Vater Neubeginn sein mag, ist für sie erst einmal der Abschied vom Vertrauten.

Medium Kind

Eltern, die eine möglichst konfliktarme und - im besten Sinne des Wortes - liebevolle Trennung zustande bringen, sind rare Ausnahmen. Die Methodik ist bekannt, Aversionen werden über das Medium Kind abgewickelt, im schlimmsten Fall wird es vor die Entscheidung zwischen Papa und Mama und damit vor unlösbare Loyalitätsfragen gestellt.

In den vergangenen Jahren hat ein Schlagwort die Runde gemacht, das in Obsorgefragen gerne vor den Gerichten hervorgekramt und als Druckmittel zur Anwendung gebracht wird: PAS - das steht für "Parental Alienation Syndrom" und bedeutet die bewusste, von einem Elternteil gesteuerte und gezielt eingesetzte Entfremdung des Kindes vom anderen, sozusagen gegnerischen Elternteil.

Missbrauch

Der Wiener Kinderpsychoanalytiker Max H. Friedrich (siehe Interview) bestätigt, dass eine solche Entfremdung - gerade bei jüngeren Kindern - ganz leicht herstellbar ist und in gewissen Abstufungen wahrscheinlich sogar die meisten Scheidungskinder betrifft. Er steht dem Begriff dennoch mit großer Skepsis gegenüber, weil damit, wie er meint, gerne Missbrauch getrieben würde.

Tatsächlich wird dieses Syndrom medial so gut wie ausschließlich nur in den krassesten Fällen und dann lediglich von der einen Seite beleuchtet: Meist sind es Väter, die ihr - natürlich tatsächlich empfundenes und nachvollziehbares - Leid über den emotionalen Verlust ihres Kindes beklagen.

Doch zu einem ausgewachsenen Zwist gehören immer mindestens zwei - auch wenn sie daran zweifellos ungleich beteiligt sein können.

Verbrannte Erde

Susanne M. ist als Mutter eine Ausnahme, weil sie sich in der Rolle wiederfindet, die meist die Väter zu spielen haben. Sie hat eine mittlerweile 14-jährige Tochter. Das Mädchen lebt seit etwa drei Jahren bei ihrem Vater. Mutter und Tochter haben so gut wie keinen Kontakt. Bei einem der wenigen Treffen äußerte das Mädchen krasse Ablehnung: "Auch wenn du stirbst, Mama, ist mir das egal." Böse Worte. Verbrannte Erde.

Für die fassungslose und mittlerweile unter ärztlich behandelten Depressionen leidende Frau steht fest, dass sich der Ex-Mann das Kind auf raffinierte Weise angeeignet, ja dass er es "gekauft" und ihr entfremdet hat. Sie selbst lebt bescheiden, der Mann hat Karriere gemacht, kann Handyrechnungen und Reitstunden bezahlen, bietet Urlaubsreisen.

Für Susanne M. ist der Zustand, das eigene Kind kaum je zu sehen, zu sprechen, zu halten, kaum erträglich: "Meine Tochter ist nicht gestorben, aber sie war von heute auf morgen weg, und diesen Trauerprozess kann ich nicht zum Abschluss bringen."

Kein Besuch mehr

In der kleinen Wohnung der Frau liegt heute das Kinderzimmer des Mädchens genau so da wie vor drei Jahren, als die Kleine beschloss, für eine Weile zum Vater zu ziehen, um, wie die Mutter sagt, "auch seine Welt kennen zu lernen". Auf einer Kinderzeichnung an der Wand steht: "Du bist die beste Mama der Welt." Doch besucht wird die Mama nicht mehr.

Susanne M. kann überhaupt nicht nachvollziehen, wie sich das erst liebevolle und vertrauensvolle Verhältnis zu ihrer Tochter in eine regelrechte Hassbeziehung umwandeln konnte. Sie macht allein den Vater des Mädchens dafür verantwortlich, doch der zeichnet ein in der Faktenlage zwar völlig deckungsgleiches, emotional jedoch ganz anderes Bild.

Verzweiflung

Seine Tochter, so meint er, würde sich selbstverständlich wieder eine halbwegs normalisierte Beziehung zu ihrer Mutter wünschen. Auch er würde diese befürworten. Doch sei dem Kind die psychische Berg- und Talfahrt seiner Exfrau nicht zuzumuten. Auf Sturheiten des Mädchens werde mit unterschwelligen Drohungen reagiert. Die Mutter, die mittlerweile die Nerven völlig weggeworfen hat, spricht von Auswandern oder Selbstmord und bringt damit das Kind in Situationen, mit denen es selbstverständlich nicht umgehen kann und auf die es mit Hass und Verzweiflung reagiert.

Wenn eine Eltern-Kind-Beziehung - aus welchen Gründen und Schuldigkeiten auch immer - einmal derart zerrüttet sei, erklärt der Psychiater Friedrich, müsse man sich vom Gedanken verabschieden, den einstigen Zustand des Vertrauens je wieder herstellen zu können.

Wer seine Kinder also getrennt großziehen will, sollte sich sehr genau überlegen, welche Prioritäten gesetzt werden: Auch wenn sich die Wege der Eltern trennen - über ihre Kinder werden sie immer miteinander verbunden bleiben. Egoismen lassen sich ganz leicht auf dem Rücken der Sprösslinge abladen - doch die Kinder müssen die dann tragen, und zwar ihr Leben lang.

Wenig Beratung

In Österreich gibt es derzeit erst wenige Beratungs- und Anlaufstellen für Eltern, die eine gedeihliche Kommunikation im Dienste des Kindes nicht aus eigener Kraft schaffen. Eine davon ist der Verein Rainbows , der für "Kinder und Jugendliche in stürmischen Zeiten" da ist. Er versucht nicht nur, den Kindern bei der Verarbeitung von Trennung und Scheidung zu helfen, sondern bietet auch Seminare für Eltern und nahe Bezugspersonen. Das Problem dabei: Es müssen auch beide dazu bereit sein, sich dieser Persönlichkeitsarbeit zu stellen. Und das ist leider nur selten der Fall. (Ute Woltron, DER STANDARD Printausgabe, 10./11.12.2005)