Berlin/Washington - Knapp neun Stunden Transatlantikflugzeit hat Condoleezza Rice den Europäern gegeben, um eine unerwartet harsche wie - auf den ersten Blick - eindeutige Erklärung zu verdauen. Kurz vor ihrem Abflug von der Andrews Air Force Base im US-Bundesstaat Maryland nach Berlin am Montag nahm die amerikanische Außenministerin erstmals lange zum Vorwurf der Europäer Stellung, der US-Geheimdienst fliege gefangen genommene Terrorverdächtige quer durch Europa und bringe sie in verdeckte Gefängnisse, in denen sie unter Umständen gefoltert würden. Die USA, so Rice, erlaubten und tolerierten unter keinen Umständen Folter.

"Die Vereinigten Staaten nutzen nicht den Luftraum oder den Flughafen irgendeines Landes, um einen Gefangenen zu transportieren, wenn wir glauben, dass sie oder er gefoltert werden", fuhr die Außenministerin fort. Die US-Regierung halte sich in der Gefangenenfrage an Gesetze, die Verfassung und internationale Verträge. Die Souveränität anderer Staaten sei in diesen Angelegenheiten geachtet worden, meinte Rice und ließ damit die Möglichkeit offen, dass europäische Regierungen sehr wohl von Gefangenentransporten der CIA Kenntnis hatten und sie genehmigten.

Verantwortung an Europa abgeschoben

Rice selbst erwähnte nur die Praxis von "Auslieferungen", die seit Jahrzehnten in Zusammenarbeit mit Partnerstaaten gepflegt würde. Über die Existenz angeblicher Geheimgefängnisse der CIA in Osteuropa sprach sie nicht. Stattdessen delegierte sie die Verantwortung an die Europäer: "Deren Regierungen und Bürger müssen entscheiden, ob sie mit uns zusammenarbeiten wollen, um terroristische Angriffe gegen ihr eigenes Land oder andere Länder zu verhindern, und sie müssen entscheiden, wie viele heikle Informationen sie öffentlich machen können."

Die britische Regierung hatte zuletzt in ihrer Funktion als derzeitige EU-Ratspräsidentschaft in einem Brief an die US-Regierung Aufklärung über die angeblichen CIA-Flüge und die Gefängnisse gefordert. Rice sollte am Montagabend in Berlin eintreffen.

In Deutschland ist der frühere Innenminister Otto Schily (SPD) unter Druck geraten. Er soll nach einem Bericht der Washington Post gewusst haben, dass die USA den deutschen Staatsbürger Khaled al-Masri am 31. Dezember 2003 in Mazedonien widerrechtlich inhaftiert und dann fünf Monate lang in Afghanistan verhört hatten, weil sie ihn für einen Terroristen gehalten hatten. Im Mai 2004 habe der damalige US-Botschafter in Deutschland, Daniel Coats, Schily gesagt, die CIA habe sich bei der Festnahme von Khaled al-Masiri jedoch geirrt. Die deutsche Regierung sei um Stillschweigen gebeten worden. Die FDP will nun einen Untersuchungsausschuss. (mab, bau/DER STANDARD, Printausgabe, 6.12.2005)