In einem Punkt ist der Vatikan überhaupt nicht konservativ: Wie Kardinal Joseph Ratzinger mit Unterstützung der Zeremoniäre das Fernsehen genützt hat, um sich (bewusst oder unbewusst) der Weltöffentlichkeit als die dominante personelle Kontinuität des römischen Papsttums zu präsentieren, das war aller erste Klasse. Und als der "Glaubenshüter" dann noch den zweiten Teil einer bewegenden Predigt kurz vor Beginn des Konklaves in eine programmatische Rede verwandelte, war klar: Dieser Mann will tatsächlich Papst werden. Dieser Mann will die Weltkirche führen.

Als Papstkandidat hatte Ratzinger immer gegolten, aber am Montag wuchs die Möglichkeit, dass nach 483 Jahren erstmals wieder ein Deutscher der Pontifex wird. Die Kardinäle haben die Botschaft seiner Rede verstanden und den ehemaligen Erzbischof von München bereits im vierten Wahlgang zum Nachfolger des Wojtyla-Papstes gewählt. Das verleiht ihm Autorität in den Ortskirchen und bedeutet einen gewaltigen Vorschuss an Vertrauen.

Die andere Seite der Medaille ist jenes Ausmaß des Misstrauens und der Kritik, das Ratzinger seit vielen Jahren entgegen schlägt und ihm den Beinamen "Panzerkardinal" eingetragen hat. Über die deutschen Nebenklänge dieses Ausdrucks hat sich Ratzinger öfter missbilligend geäußert.

Er ist kein Inquisitor, aber der ehemalige, theologisch dem Tübinger Professor Hans Küng durchaus nahe Konzilsberater des Kölner Kardinal Frings, hat Schritt für Schritt seine ehemals sehr liberalen Ansichten aufgegeben und seit den 80er Jahren als "Glaubenshüter" Abweichungen von der "reinen Lehre" mit Härte bestraft. Es traf Küng selbst, den "Protestanten" unter den Theologen oder Leonardo Boff, den Befreiungstheologen unter Marxismusverdacht.

Sollte der im Umgang distanziert-freundliche Bayer mit der Moshammer-Intonation diese Härte beibehalten, wird er schnell auf Widerstand stoßen. Den er nur äußerlich brechen kann. In Europa ist die innere Emigration vieler, der kurzen Tradition des II. Vaticanums verpflichteten Gläubigen so stark, dass Starrheit und Festhalten an teils inhumanen Moralpositionen die katholische Kirche vor allem in Europa marginalisieren könnte.

Ratzinger steht seit langem vor allem mit Erzbischof Christoph Schönborn, aber auch mit dem Grazer Diözesanbischof Egon Kapellari in einem engen Gesprächskontakt. Deshalb wird – wohl erst nach einiger Zeit – erkennbar sein, welche Rolle Benedikt XVI. dem österreichischen Episkopat zumisst. Ob er beispielsweise Schönborn in den Vatikan holt.

Überhaupt wird seine Linie an zwei Punkten erkennbar werden. Erstens an den Personalentscheidungen. Denn rein formal kann er den Posten des Kardinal-Staatsekretärs und der Präfekten (Minister) der Kongregationen neu besetzen und dadurch eine andere Linie signalisieren. Zweitens wird an seiner ersten Enzyklika ablesbar sein, welchen Trend er seinem Pontifikat gibt.

Obwohl Ratzinger für Kontinuität nach "einem so großen Papst" eintritt und sich demutsvoll als "einfacher Arbeiter im Weingarten Gottes" sieht, sollte man sich ein paar Unterschiede zum verstorbenen Papst vergegenwärtigen. Drei Hinweise:

1. Er hat sich nicht Johannes Paul III. genannt. Das könnte bedeuten, dass er andere Akzente setzen möchte.

2. Johannes Paul II. wurde eine "marianische" Orientierung nachgesagt, dem neuen Papst die "christologische" Ausrichtung seiner Theologie.

3. Der Wojtyla-Papst war gleichzeitig Politiker, eine Fähigkeit, die sich sein Nachfolger erst erwerben müsste.

Ein Charakteristikum des neuen Papstes ist seine Festigkeit im Glauben, seine oft als Fundamentalismus verstandene Prinzipientreue. Was sich für Dissidenten bis zur Berufs- und Existenzbedrohung entwickeln kann. Dass er daraus zu einer für ihn vielleicht ungewöhnlichen Toleranz findet, wäre freilich eine ziemlich große Überraschung.