Die Türkei ist Signatarstaat der europäischen Menschenrechtskonvention. Damit hat sich das Land unter anderem zu dem Recht aller Menschen auf ein faires Verfahren vor einem Gericht, zum Rechtsgrundsatz nulla poena sine lege (keine Strafe ohne Gesetz) sowie zu einem umfassenden Folterverbot verpflichtet. Die Konvention verpflichtet die Türkei darüber hinaus, das Recht auf Meinungs- sowie Versammlungsfreiheit zu wahren.

Artikel 15 der Konvention gestattet es den Signatarstaaten, die Konvention "im Falle eines Krieges oder eines anderen öffentlichen Notstandes, der das Leben der Nation bedroht […]" teilweise außer Kraft zu setzen. Nicht jedoch Rechtsgrundsätze wie das Gesetzlichkeitsprinzip bei Verurteilungen oder das Folterverbot.

Folter an der Tagesordnung

Bereits im Dezember 2016 hat der Europarat gemeinsam mit den Vereinten Nationen gerügt, dass Folter in den türkischen Institutionen wieder gang und gäbe ist. Seit dem erfolglosen Putschversuch wurden systematisch alle regierungskritischen Fernsehstationen und Zeitungen ausgeschaltet, sowie Journalisten massenweise und rechtsgrundlos inhaftiert. Der Europarat spricht inzwischen von einem Abdriften des Landes in die offene Autokratie, sprich Diktatur.

Selbst wenn man davon ausgeht, dass die teilweise Suspendierung der Menschenrechtskonvention in der Türkei rechtens wäre: Die Türkei verstößt seit Monaten massiv gegen zahlreiche Rechtsgrundsätze der europäischen Menschenrechtskonvention wie das Folterverbot und das Gesetzlichkeitsprinzip, die von den Signatarstaaten auch in Notständen nicht außer Kraft gesetzt werden können.

Diktatorische Wende

In solchen Umständen möchte Erdoğan nun ein Referendum abhalten, welches die diktatorische Wende der Türkei durch Plebiszit absegnen soll. Um sich die Zustimmung der Bevölkerung für dieses Referendum im Land zu sichern, wurden zuerst die Medien gleichgeschaltet, danach alle kritischen Stimmen im Land durch Inhaftierung zum Verstummen gebracht. Gleichzeitig scheut die Regierung keinen Aufwand, um für das Referendum zu werben.

Währenddessen versucht Erdoğan die EU mit der Androhung erneuter Grenzöffnungen für Flüchtlinge in Schach zu halten – bislang weitgehend erfolgreich.

Erdogan lässt die Türkei in eine Diktatur abdriften.
Foto: APA/AFP/Greg Baker

Referendum ohne Meinungsfreiheit eine Farce

Solange die Menschenrechtskonvention in der Türkei weiterhin außer Kraft bleibt, ist eine freie Meinungsbildung in der Bevölkerung nicht möglich. Unter solchen Umständen ein Referendum abzuhalten gleicht zwar einer Farce; das große Risiko für den demokratisch gesinnten Bevölkerungsteil in der Türkei sowie für Europa liegt jedoch in dem Momentum, welches ein positiver Ausgang den autokratischen Bestrebungen Erdoğans verleihen würde. Denn dadurch wäre der Wandel der Türkei in eine de facto Diktatur durch das Volk bestätigt, und könnte – trotz aller Mängel in Bezug auf das Referendum selbst – praktisch nicht mehr rückgängig gemacht werden.

Europa ist eine demokratische Wertegemeinschaft. Als solche können wir nicht tatenlos zusehen, wie einer unserer wichtigsten Nachbarstaaten und eine große Nation wie die Türkei durch Gewalt und Unterdrückung in eine Diktatur abdriftet. Europa muss daher das Vakuum der kritischen Stimmen in der Türkei durch Parteinahme zugunsten der Demokratie füllen.

Eine Doktrin der Nichteinmischung ist in Bezug auf die Türkei vollkommen fehl am Platz. Nur Europa kann der türkischen Bevölkerung noch aufzeigen, dass ein Schwenk in die Diktatur mittelfristig noch weit schwerere Konsequenzen für die Reisefreiheit und in Bezug auf die türkische Wirtschaft hat, als sie jetzt schon sichtbar sind.

Diplomatie fehl am Platz

Die EU und ihre Mitgliedsländer müssen dabei Stärke zeigen. Denn Stärke ist die einzige Sprache, die Politiker wie Recep Tayyip Erdoğan verstehen. Nur durch Sanktionen kann es der EU gelingen, die europäische Menschenrechtskonvention in der Türkei wieder in Kraft zu setzen. Nur durch ein Ende der griechischen Totsparpolitik und durch den Aufbau einer schlagkräftigen europäischen Militärpräsenz vor den griechischen Inseln können wir ein Zeichen der Einigkeit und der Stärke setzen, welches auch in der Türkei als solches verstanden wird.

Das Referendum wird zu einer Feuerprobe für die EU und ihre Zukunft. Europa ist diesmal auf sich alleine gestellt, Hilfe aus den USA wird es nicht geben. Es ist richtig, dass unsere Politiker nun beginnen, die Dinge in der Türkei beim Namen zu nennen. Es wird noch wichtiger, diesen Worten auch Taten folgen zu lassen.

Der 16. April wird zeigen, wie erpressbar Europa ist, und welchen Wert unsere demokratischen Prinzipien in der Praxis tatsächlich genießen. (Michael Radhuber, 7.3.2017)

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