Wien – Ist die Flüchtlingssituation bereits dermaßen prekär, dass eine "Notverordnung" notwendig wird? Und soll Wien vom starken Flüchtlingszuzug aus den Ländern mit einer "Residenz- oder Wohnsitzpflicht" entlastet werden, damit anerkannte Flüchtlinge in den Bundesländern bleiben müssen? Über beide Fragen herrschen in der Bundeskoalition unterschiedliche Meinungen, sie spalten jetzt aber auch die SPÖ. Die Sozialdemokraten sind alles andere als einig in beiden Fragen.

Die Idee einer Wohnsitzpflicht geistert schon länger herum, in Deutschland wurde sie teilweise realisiert. Die Idee: Asylberechtigte sollen über das gesamte Bundesgebiet verteilt werden. Der Wohnort darf, solange man auf Sozialleistungen angewiesen ist, nicht frei gewählt werden. Besonders interessiert ist die Wiener SPÖ, zumal viele Flüchtlinge, sobald sie über einen positiven Bescheid verfügen, in die Hauptstadt wechseln – in der Hoffnung, dort bessere Lebensbedingungen vorzufinden.

Für die Sogwirkung von Wien spielen auch die günstigeren sozialen Rahmenbedingungen eine Rolle, etwa eine schnellere Auszahlung der Mindestsicherung. Wobei Stadträtin Sonja Wehsely betont, sich exakt an die gesetzlichen Rahmen zu halten, während andere Länder "rechtswidrig" Kürzungen der Mindestsicherungen beschlossen hätten.

Voraussetzung Deckelung

Die ÖVP ist zwar gesprächsbereit, von einer Einigung ist man aber noch weit entfernt. ÖVP-Klubchef Reinhold Lopatka verlangt als Vorbedingung eine Deckelung der Mindestsicherung auf 1500 Euro. "Außerdem muss Sozialminister Alois Stöger ein Konzept vorlegen, wie das organisiert werden soll. Eine Regelung kann nur mit den Ländern funktionieren", sagt Lopatka.

Aber genau hier tut sich ein weiteres Problem auf. Anders als in Wien hat die SPÖ in den Ländern keine Freude mit der Idee. Die steirische SPÖ-Soziallandesrätin Doris Kampus sagt zum Standard: "Wir sehen die Wohnsitzauflage prinzipiell skeptisch. Es macht einen Unterschied, ob man diese aus Sicht Wiens diskutiert oder aus der Sicht eines großflächigen Bundeslandes wie der Steiermark, wo durchaus unterschiedlich starke Infrastruktur vorhanden ist."

Notverordnung

Schwer tut sich die SPÖ auch bei der Asyl-Notverordnung, die zu einer drastischen Einschränkung des Asylrechts führen würde. Voraussetzung für die Verordnung ist die Gefährdung der öffentlichen Ordnung bzw. Sicherheit. Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) wollte einen Entwurf bereits im August in Begutachtung schicken – vor allem wegen der steigenden Arbeitslosigkeit und weil man sich mit 24.000 zugelassenen Asylverfahren dem heurigen Richtwert von 37.500 nähere.

"Sehr weit entfernt"

Sozialminister Alois Stöger sieht für die Sonderverordnung aber derzeit keinen Grund. Von einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit sei man "sehr weit entfernt", sagte er im Ö1-Morgenjournal. SPÖ-Veteidigungsminister Hans Peter Doskozil ist da weniger ablehnend. "Ja, es braucht die Notverordnung", sagt sein Sprecher. Beim Tempo hat es Doskozil aber nicht ganz so eilig wie Sobotka. Er will einen Entwurf vorlegen, wenn 30.000 Asylanträge erreicht sind. Außerdem will er Anfang September noch eine Verhandlungsrunde mit Ungarn, auf dessen Kooperation man angewiesen wäre, abwarten.

In SPÖ-Kreisen wird auch betont, dass die Vorarbeiten Sobotkas längst nicht abgeschlossen seien. Mit der Steiermark, Salzburg und Tirol hätten drei ÖVP-geführte Länder noch keine Berichte abgegeben, ob sie die öffentliche Ordnung gefährdet sehen. (mue; go, 11.8.2016)