Tritt die Notverordnung in Kraft, könnten Flüchtlinge am Brenner gleich wieder nach Italien zurückgeschickt werden.

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Neue Verbündete: Bundeskanzler Christian Kern (links) und Innenminister Wolfgang Sobotka bereiten eine Verordnung vor, mit der schon bald die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit festgestellt werden könnte.

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Wien – Neuer Kanzler, altes Problem. Laut Innenministerium wurden heuer bereits mehr als 20.000 Asylanträge in Österreich gestellt, pro Woche kommen 800 bis 900 dazu. Setzt sich dieser Trend fort, wird es am Ende des Jahres nicht die zum Richtwert erklärten 37.500, sondern mehr als 50.000 Anträge gegeben haben. In Regierungskreisen wird sogar erwartet, dass über die Sommermonate wieder mehr Flüchtlinge kommen.

Zwischen SPÖ und ÖVP laufen daher bereits die Verhandlungen über die Einsetzung der sogenannten Notstandsverordnung. Laut dem neuen Asylgesetz braucht es dafür das Einvernehmen zwischen dem Hauptausschuss des Nationalrates und der Regierung. Per Verordnung wird dann festgelegt, "dass die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und der Schutz der inneren Sicherheit gefährdet sind".

Vorbereitung läuft

Wie der STANDARD erfuhr, sammeln die involvierten Ministerien bereits Argumente, warum das der Fall sei. Wann eine Gefährdung vorliegt, ist nicht genau definiert. Auf den Richtwert von 37.500 wurde im Gesetz nicht abgestellt – schließlich handelt es sich dabei um einen politischen und keinen rechtlichen Begriff.

In den Erläuterungen zum Asylgesetz heißt es recht allgemein, die Regierung müsse begründen, weshalb eine "Gefährdung der Funktionsfähigkeit der öffentlichen Einrichtungen (beispielsweise des Asyl-, Gesundheits-, Sozial-, Bildungs- und Sicherheitsbereiches, sowie betreffend die Gewährleistung von Grundversorgung, Integration, Unterbringungsplätzen und Wohnraum sowie Arbeitsmarktchancen)" vorliege.

Sobotka verhandelt mit Nachbarn

Vor der Demontage Werner Faymanns haben noch zahlreiche SPÖ-Politiker argumentiert, man sei von einer Notlage noch weit entfernt. Kanzler Christian Kern hat in ersten Interviews aber klar erkennen lassen, dass er bei Überschreitung des Richtwertes die Verordnung in Kraft setzen will. Und: "Wenn wir das machen, muss es auch funktionieren", so Kern zuletzt im STANDARD.

Innenminister Wolfgang Sobotka verhandelt deshalb bereits mit den Nachbarländern. Schließlich wird es nicht zuletzt von diesen abhängen, ob die Verordnung in Österreich funktioniert. Sobald diese gültig ist, wird nämlich das Asylrecht eingeschränkt. An der Grenze sollen Registrierstellen eingerichtet werden. Nach der Identitätsfeststellung könnten die Flüchtlinge sofort in die Nachbarländer (als sichere Drittstaaten) zurückgewiesen werden.

SPÖ-interne Debatte

SPÖ-intern sorgt das Thema nach wie vor für Diskussionen. Die Notverordnung müsse "sehr genau begründet" und dürfe "keineswegs leichtfertig erlassen werden", sagt die Wiener Soziallandesrätin Sonja Wehsely, die schon Faymanns Asylkurs scharf kritisierte. "Das bloße Erreichen eines wie auch immer gearteten Richtwertes reicht dafür nicht aus", so ihre Botschaft an Kern. SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder, der die finalen Verhandlungen rund um das Asylgesetz geführt hat, möchte sich derzeit nicht äußern.

Der Verfassungsrechtler Bernd-Christian Funk sieht die Koalitionspläne skeptisch. Die Verknüpfung eines unverbindlichen Richtwertes mit der Verordnung erwecke einen "falschen Eindruck". Aus juristischer Sicht hält er die Vorgangsweise nach Ausrufung einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung für "problematisch".

Zwar könne man theoretisch gegen eine Zurückweisung Beschwerde beim Verwaltungsgericht einlegen. Da diese Menschen dann aber nicht mehr in Österreich seien und wohl auch nicht über ihre Rechte Bescheid wüssten, "habe ich meine Zweifel, ob die rechtsstaatlichen Mindeststandards eingehalten werden".

Fehlende Standards

Für die Flüchtlinge gibt es aus seiner Sicht de facto keine Möglichkeit, Schutzgründe geltend zu machen. Wenn aber beispielsweise in einem Nachbarland wie Ungarn Mindeststandards bei der Unterbringung und Versorgung nicht eingehalten würden, dann sei eine Zurückschiebung in dieses Land nicht zulässig. Trotz Notverordnung, wie Funk erläutert. Die Regierung hält ihre Vorgangsweise hingegen für rechtlich gedeckt und beruft sich dabei auf ein von Funk mitverfasstes Gutachten. Der Jurist dazu: Er und der Europarechtler Walter Obwexer hätten nur aufgezeigt, welche "zulässigen Maßnahmen es zur Begrenzung der Asylverfahren" gebe. "Das heißt aber nicht, dass man ungeschaut niemanden mehr reinlassen darf. Das ist im Detail viel komplizierter." (Günther Oswald, 27.5.2016)