Sebastian Kurz, Außenminister.

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Wien – Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) will ein Veto gegen das Eröffnen weiterer Kapitel in den EU-Verhandlungen mit der Türkei einlegen. "Ich habe Sitz und Stimme im Außenministerrat. Dort geht es darum, ob neue Verhandlungskapitel mit der Türkei (einstimmig) eröffnet werden. Und da bin ich dagegen", sagte er gegenüber dem "Kurier".

Kurz erklärte auch, dass Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) sich beim EU-Gipfel am 16. September bemühen werde, "andere Staats- und Regierungschefs davon zu überzeugen, dass der Beitrittsverhandlungsstopp mit der Türkei richtig ist".

Die Eröffnung weiterer Kapitel in den Beitrittsverhandlungen zwischen Brüssel und Ankara ist Teil des EU-Türkei-Flüchtlingsdeals vom März.

Kritik an Merkel

Kurz übt auch Kritik an der deutschen Kanzlerin Angela Merkel (CDU), die am Flüchtlingsdeal mit der Türkei festhalten will: "Ich halte es für problematisch, wenn man wegen dieses Asyldeals bei Grundrechtsverletzungen, die in der Türkei passieren, wegsehen würde", erklärte der Minister gegenüber der Tageszeitung "Österreich" (Sonntag-Ausgabe).

"Das können und dürfen wir als EU nicht an Ankara delegieren und uns damit weiter erpressbar machen", bekräftigte der Außenminister seine Position. "Wir brauchen eine eigene EU-Flüchtlingspolitik und müssen die EU-Außengrenzen selbst schützen."

"Keine Hexenjagd"

In Richtung der in Österreich lebenden Türken erklärte Kurz: "Wir werden keine Hexenjagd bei uns zulassen. Ich erwarte von jedem, der bei uns lebt, dass er keine externen Konflikte zu uns trägt, und rate hier dringend zu Mäßigung".

Als Grund für seine Sorge nannte "Österreich" den Umstand, dass in Erdogan-nahen Zeitungen schwarze Listen mit angeblichen Gülen-Anhängern in Wien veröffentlicht wurden. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan sieht in dem Prediger Fethullah Gülen den Drahtzieher hinter dem Umsturzversuch in der Türkei. Gülen lebt in den USA.

Seit dem Mitte Juli gescheiterten Militärputsch geht die türkische Regierung hart gegen mutmaßliche Anhänger Gülens vor. Nach Regierungsangaben wurden mehr als 60.000 Staatsbedienstete suspendiert oder entlassen. Mehr als 13.000 Verdächtige sind in Untersuchungshaft.

Erdogan-Chefberater an Kern: "Verpiss dich"

Die Töne aus Ankara in Richtung Wien werden rauer. Nachdem der türkische Außenminister Ahmet Cavusoglu Österreich am Freitag als "Hauptstadt des radikalen Rassismus" bezeichnet hatte, legte der Chefberater von Präsident Recep Tayyip Erdogan am Wochenende nach. Auf Twitter schrieb Burhan Kuzu an Bundeskanzler Kern: "Verpiss dich, Ungläubiger!"

Kuzu ist bekannt dafür, dass er vor deftigen Stellungnahmen nicht zurückschreckt. Anfang Juni kommentierte er den Beschluss des deutschen Bundestags, die Massaker an den Armeniern im Osmanischen Reich vor 101 Jahren als "Völkermord" einzustufen, ebenfalls via Kurznachrichtendienst mit den Worten: "Schäme Dich, Deutschland. Kümmere Dich erst um Deine eigene schmutzige Geschichte. Ist Hitler etwa Türke?"

"Die türkischstämmigen Abgeordneten im deutschen Parlament, die die Völkermordentscheidung unterschrieben haben, sollen keinen Fuß mehr in dieses Land setzen", forderte das Vorstandsmitglied von Erdogans islamisch-konservativer Regierungspartei AKP damals.

Die türkische Regierung ist empört darüber, dass sich Kern und Kurz in der EU dafür stark machen wollen, einen Ausstieg aus den Beitrittsgesprächen mit Ankara zu überlegen.

Kurz erneuerte Bedenken

Österreichs Außenminister zeigte sich neuerlich überzeugt, dass der Flüchtlingsdeal zwischen der EU und der Türkei platzen wird: "Weil es drei Bedingungen der Türkei gab, damit die Türkei den Flüchtlingsstrom Richtung EU stoppt: Visa-Liberalisierung, Beschleunigung der EU-Beitrittsverhandlungen und Hilfsgelder. Ich bin nicht dafür, der Türkei bei den Bedingungen für die Visa-Liberalisierung oder den Beitrittsverhandlungen nachzugeben. Die Türkei hat ihrerseits bereits erklärt, nicht alle Bedingungen erfüllen zu wollen. Damit wird der Flüchtlingsdeal nicht zu halten sein."

Kurz hatte bereits am gestrigen Freitagabend in der "ZiB2" gesagt, dass der Flüchtlingsdeal "nicht halten" werde.

Juncker: Kein Entgegenkommen bei Visafreiheit

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker will der Türkei im Streit um die Visafreiheit nicht entgegenkommen. Zugleich bekräftigte er die Notwendigkeit, an der Flüchtlingsvereinbarung mit Ankara festzuhalten. Die EU habe zu Beginn des Jahres nicht länger zuschauen können, "wie Zehntausende in der Ägäis sterben", sagte er dem Berliner "Tagesspiegel" (Montagsausgabe).

Die EU müsse auch mit schwierigen Nachbarn wie der Türkei zusammenarbeiten, sagte Juncker. "Nicht, weil wir diese oder deren Regierungen alle besonders lieben", sondern um menschliches Leid zu lindern.

Zur Visafreiheit sagte der EU-Kommissionschef: "Grundrechte, wie etwa die Pressefreiheit, dürfen nicht einfach mit dem Hinweis auf die Anti-Terror-Gesetzgebung ausgehebelt werden." Die EU verlangt von der Türkei unter anderem eine Änderung der Anti-Terror-Gesetzgebung, bevor die geplante Visafreiheit für Türken in der EU eingeführt werden kann. (APA, 7.8.2016)