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Sebastian Kurz, Außenminister

Foto: Reuters/Foeger

Wien – Österreichs Außenminister Sebastian Kurz hat die bilateralen Beziehungen zwischen Österreich und der Türkei als "angespannt" bezeichnet. In einem Interview mit der ZiB2 des ORF sagte Kurz am Freitagabend, Europa könnte nach den jüngsten Entwicklungen in der Türkei nicht "achselzuckend" zur Tagesordnung übergehen. Er halte es für sinnvoll, über einen Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen zu sprechen, warnte aber auch vor dem Scheitern des Flüchtlingsdeals, der eine mögliche Folge wäre.

Außenminister Sebastian Kurz bekräftigt seine Forderung nach einem Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei – und ist der Auffassung, dass auch das Flüchtlingsabkommen mit Ankara vor dem Aus steht: "Der Flüchtlingsdeal wird nicht halten", sagte Kurz und forderte, die EU müsse hier "ihre Hausaufgaben machen", um "unabhängig und nicht erpressbar" zu werden.

Ein Ende der Verhandlungen zwischen Brüssel und Ankara ist für Kurz deshalb "sinnvoll", weil die Türkei sich "in den letzten Jahren immer weiter weg von Europa entwickelt" habe und speziell in den letzten Wochen "eine immer dramatischere Entwicklung" genommen habe.

Verfehlte Flüchtlingspolitik

"Jetzt droht das Kartenhaus der verfehlten Flüchtlingspolitik in Europa zusammenzubrechen", sagte der Minister. Man habe diese Aufgabe an die Türkei delegiert und Ankara dafür finanzielle Zuwendungen, eine Visaliberalisierung und die Eröffnung neuer Kapitel der EU-Beitrittsverhandlungen zugesagt. Nun erfülle die Türkei aber nicht die Kriterien für die Visumfreiheit und die Voraussetzungen für die Beitrittsverhandlungen seien nicht gegeben – woraus Kurz ableitet, dass der Flüchtlingsdeal in absehbarer Zeit scheitern wird.

Die Antwort darauf sieht der Außenminister einerseits in "ordentlichen Kontakten zur Türkei" fernab einer EU-Mitgliedschaft, anderseits aber in einer verstärkten Wahrnehmung des Schutzes der EU-Außengrenzen und der Rückführung illegal Einreisender: "Wenn wir das nicht zustandebringen, sind wir schwach und verletzbar in der Diskussion mit der Türkei."

Botschafter einbestellt

Wenige Stunden zuvor war der türkische Botschafter in Wien, Mehmet Hasan Göğüs, wegen der Aussagen des türkischen Außenministers Mevlüt Çavusoglu ins Wiener Außenministerium bestellt worden. Çavusoglu hatte Österreich als "Zentrum des radikalen Rassismus" bezeichnet, nachdem Bundeskanzler Christian Kern angekündigt hatte, den Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei beim EU-Gipfel im September zur Debatte zu stellen. Überraschend an die Seite Kerns stellte sich FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache, der die Äußerungen aus Ankara als "verstörend" bezeichnete.

In einem Interview mit der Tageszeitung "Die Presse" sagte Strache zudem, er fühle sich beim gescheiterten Putsch in der Türkei an die Zeit des Nationalsozialismus erinnert. "Man hatte fast den Eindruck, dass es ein gesteuerter Putsch war." Und: "Wir haben solche Mechanismen in der Geschichte dramatischerweise auch anderswo erlebt – etwa beim Reichstagsbrand, [bei] dem man dann in der Folge die totale Macht an sich gerissen hat", zog Strache Parallelen zu 1933, jedoch "ohne einen Vergleich anstellen zu wollen".

Kurz: Flüchtlinge an EU-Außengrenze stoppen

Kurz hat erneut auch einen besseren Schutz der EU-Außengrenzen gefordert, um den Flüchtlingszustrom einzudämmen. "Der wesentlichen Punkt ist, dass die Menschen an der Außengrenze gestoppt werden und die Rettung aus dem Mittelmeer nicht mehr mit einem Ticket nach Mitteleuropa verbunden ist", sagte er dem deutschen Nachrichtenmagazin "Focus".

"Vor der libyschen Küste wäre es definitiv sinnvoll, wenn Schlepperboote beim Ablegen gehindert würden", so der Außenminister weiter. "Wer illegal nach Europa reist, muss auf Inseln an der Außengrenze versorgt und dann in Zentren sicherer Drittstaaten zurückgeschickt, nicht weiter nach Mitteleuropa gewunken werden", sagte Kurz. Er sprach sich zudem für ein Umsiedlungsprogramm aus, um "Flüchtlinge in einem zahlenmäßig zu bewältigenden Ausmaß" legal in die EU zu bringen.

Auf die Frage, ob Österreich wieder Flüchtlinge nach Deutschland reisen lasse, falls der EU-Flüchtlingspakt mit der Türkei platze und es keinen gemeinsamen EU-Grenzschutz gebe, antwortete Kurz: "Wir sind definitiv gegen eine Politik des Durchwinkens. Aber wir sind auch nicht bereit zuzusehen, dass in unserem Land eine Überforderung eintritt. Als Notmaßnahme wären nationale Maßnahmen wieder denkbar." Dies sei aber nicht das Europa, in dem er leben wolle, sagte der Außenminister. (red, APA, 5.8.2016)