Das Freihandelsabkommen Ceta wird den Zugang kanadischer Unternehmen zum Binnenmarkt erleichtern – das gilt auch umgekehrt.

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Die Sitzung der EU-Kommission begann am Dienstag in Straßburg mit einiger Verspätung. Bis zur letzten Minute kam es zwischen den Mitgliedern des Kollegiums zu "engagierten Diskussionen", sprich Streit, wie man bei der Umsetzung des Wirtschafts- und Handelsabkommens von EU und Kanada (Ceta) weiter vorgehen solle.

Auf dem Tisch lag ein Vorschlag von Präsident Jean-Claude Juncker, der einer 180-Grad-Wende der EU-Zentralbehörde bei der Frage der Einbindung der nationalen Parlamente im Ratifikationsprozess darstellte. Hatte der Kommissionschef selbst erst vor einer Woche den Regierungschefs beim EU-Gipfel in Brüssel noch die Ansicht des Rechtsdienstes seiner Behörde vorgetragen, wonach Ceta allein in die Kompetenz der Kommission falle ("EU-only") und es ein "einfaches Abkommen" geben müsse, so sprach er sich nun für das Gegenteil aus: ein "gemischtes Abkommen".

"Politische Gründe"

Das bedeutet: Im ersten Fall müsste der EU-Kanada-Vertrag nur vom EU-Ministerrat und vom Europäischen Parlament beschlossen werden. Bei einem gemischten Abkommen würden nationale Parlamente der Mitgliedsstaaten mitentscheiden, weil nationale Politiken bzw. Gesetzgebung involviert sind. Juncker hatte bereits in der Plenarsitzung zu Mittag Andeutungen gemacht, dass er auf Kritik von einzelnen Staaten eingehen wolle, "ich habe genau zugehört". Wie berichtet, haben vor allem Österreich, Deutschland oder Frankreich für mehr Einbindung der Bürger via Parlament ausgesprochen.

Handelskommissarin Cecilia Malmström und andere Kommissare wollten die strengere Sichtweise durchsetzen. Die Kommission beschloss dann den Juncker-Vorschlag, allerdings mit einigen Detailvorschlägen, die nationale Ratifizierungen über den Umweg des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) in Straßburg doch noch unmöglich machen würden. Der Plan sieht so aus: Die Kommission stellt ausdrücklich fest, dass ihre ursprüngliche Rechtsansicht aufrecht bleibt, überlässt es aber den Regierungen "aus politischen Gründen", wie Malmström sagte, Ceta als gemischtes Abkommen zu beschließen.

Provisorium

Der Vorschlag sieht vor, dass die EU und Kanada ihren Pakt im Oktober unterzeichnen. Das Abkommen würde mit Anfang 2017 provisorisch in Kraft treten, auch wenn die nationalen Parlamente es noch nicht ratifiziert haben. So hat man das in der Vergangenheit oft gemacht. Gleichzeitig verweist die Kommission darauf, dass der EuGH im Fall eines ähnlichen Abkommens mit Singapur bald eine Grundsatzentscheidung treffen wird, ob ein "modernes Abkommen" (Malmström) wie Ceta reine EU-Kompetenz sei oder nationale Mitsprache erfordere.

In diesem Licht werde man sich dann auch das Ceta-Verfahren nochmal anschauen, sagte Malmström. Auf Frage des Standard bestätigte sie, dass der Ball letztlich bei den Höchstrichtern liege. Und gefragt, ob es möglich sei, dass die Mitbestimmung der nationalen Parlamente dann obsolet werden könnte, sagte sie im ORF: "Das ist möglich, das könnte passieren."

Hintertürl

Der Vorteil dieses Hintertürls: Die Kommission würde in der Umsetzung Zeit gewinnen, die Vereinbarungen – wie der Wegfall der Zölle – könnten rasch umgesetzt werden und wirtschaftliche Dynamik bringen.

Im Kanzleramt in Wien reagierte man positiv auf die Ankündigung aus Brüssel: Dass für Ceta ein Nationalratsbeschluss nötig wird, bedeutet, dass eine breite Diskussion über das Abkommen in der Öffentlichkeit und unter Experten stattfinden wird, so ein Sprecher von Kanzler Christian Kern (SPÖ). Man wolle diese Debatten abwarten, ehe man sich klar für oder gegen Ceta ausspricht. Im Büro von Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner wurde der Entscheid der Kommission als "Erfolg" für Österreich gesehen. Die Mitsprache der nationalen Parlamente sei allein notwendig, um das Vertrauen der Bürger zu wahren. (Thomas Mayer aus Straßburg, 5.7.2016)