Helm runternehmen. Kopf schütteln. Kurz ausspucken. Es hilft nichts, der Sand knirscht weiter zwischen den Zähnen. Aber was will man sich beschweren. Das Gaspedal des Buggys hat man selbst mit voller Inbrunst soeben durchgetreten, um die steile Düne hochzurattern. Was kann die Wüste mit ihrem aufgewirbelten Sand dafür, dass man voller Anspannung und mit einem Grinser im Gesicht vergessen hat, dabei den Mund zu schließen?

Ob mit dem Buggy auf Wüstendünen klettern, mit einem Nascar Runden drehen oder das weltgrößte Riesenrad besteigen: Las Vegas will unterhalten – und damit Business machen.
Foto: Brian Bojsen

Ein paar Sekunden innehalten. Einen Schluck Wasser mit feinem Sandgeschmack nehmen. Die Wüste spüren. "Schau dich um", sagt Guide Robbins vom Unternehmen Sun Buggy, der zuvor eindrucksvoll unter Beweis gestellt hat, dass er nicht viel von Bremsen hält. "Das ist Amerika. Einen viel amerikanischeren Platz als hier gibt es nicht." Okay, also umschauen.

Auch wenn Robbins bei dieser Aussage mitten in der Wüste von Nevada steht: Las Vegas ist ums Eck. Der Strip mit seinen imposanten Hoteltürmen ist gut sichtbar und keine zwanzig Kilometer entfernt.

Am Horizont: die Glitzermetropole.
Foto: Brian Bojsen

Weiterschauen: Vom Motor Speedway nebenan dröhnen die Motoren herüber. Hier bitten etwa Rennfahrer von Richard Petty Driving Experience Interessierte gegen Entgelt ins Nascar-Cockpit, um sie mit 600 Pferdestärken unterm Hintern und mit bis zu 250 km/h durch die Steilkurven des Ovals zu schicken.

Entertainment

Und Lärm kommt auch von oben. Die Nellis Airforce Base befindet sich gegenüber der Rennstrecke. Sie ist einer der größten Luftwaffenstützpunkte der US Air Force und heißt nicht umsonst "Heimat der Kampfpiloten": Kreuz und quer fliegen Jets und üben Angriffsszenarien, das Schauspiel lässt sich kostenlos vom Buggy aus beobachten, mit Benzingeruch in und Schweißperlen auf der Nase inklusive. Ihr Ziel? "Area 51", sagt Robbins und grinst. Das mythenumrankte Sperrgebiet ist tatsächlich Teil des Nellis-Geländes – und aus Sicht eines Überschalljets von hier nur einen Katzensprung entfernt.

Seit dem Finanzcrash 2008 sitzt das (Spiel)-Geld der Touristen nicht mehr so locker, was die Kasinos zu spüren bekamen.
Foto: David Krutzler

Mit dem Buggy über Wüstendünen zu springen oder Rennfahrerluft in einem Nascar-Auto zu schnuppern sind nur zwei von vielen Beispielen, wie man sich in und um Las Vegas unterhalten lassen kann. Die Wüstenstadt hat den Begriff Entertainment auf ein Podest gehoben. Es ist auch ein Versuch, sich vom Ruf der Zockermetropole zu lösen.

Business bleibt Business

Denn seit dem Finanzcrash 2008 sitzt das (Spiel)-Geld der Touristen nicht mehr so locker, was die Kasinos zu spüren bekamen.

Dabei wird in diesem Jahr ein Rekord von 42 Millionen Besuchern in der Stadt prognostiziert, der Gesamtumsatz steigt. Business bleibt Business in "Sin City", der Stadt, die sich ständig transformiert: Statt für einarmige Banditen, Blackjack oder Roulette wird Geld im Disneyland für Erwachsene immer mehr für anderweitige Unterhaltung ausgegeben.

Mehr Touristen bedeuten auch mehr Jobs, weshalb die Einwohnerzahl in der Wüstenregion mit nur einem kurzen Einbruch nach dem Finanz-Crash stetig steigt.
Foto: David Krutzler

Touristen kommen etwa wegen der zahlreichen Musik-Acts oder der Shows. Sieben Programme alleine von Cirque du Soleil laufen derzeit in den riesigen Hoteltheatern, im Mirage wird bei "Love" atemberaubende Akrobatik zu Beatles-Nummern gezeigt. Grundsätzlich gilt: Geld bedeutet in der Hedonismushochburg nach wie vor Spaß.

Das kann auch eine angebotene Fahrt mit einem Ferrari, einem Lamborghini oder einem anderen Luxus-Auto auf der neu errichteten Rennstrecke SpeedVegas sein.

Spielzeuge auf der Rennstrecke SpeedVegas.
Foto: David Krutzler

Der Deal: Der Tourist sitzt am Steuer und hört per Head-Set auf die Anweisungen des gelernten Co-Piloten, der praktischerweise ein zweites Bremspedal zur Verfügung hat. Denn auf dem 2,4 km langen Kurs mit zwölf Kurven kann schon einmal der innere Lauda in einem durchgehen.

Je nach Finanzlage lässt sich auch ein Flug mit Maverick Helicopters über den Strip buchen – mit einem Upgrade geht’s auch über den Hoover Dam und hinein in den Grand Canyon.

Der Grand Canyon ist mit dem Helikopter nicht weit.
Foto: David Krutzler

In der Luft wird man aber auch nachdenklich. Denn von oben zeigt sich deutlich der niedrige Wasserspiegel von Lake Mead, dem wichtigsten Stausee der USA, der Vegas mit Trinkwasser versorgt.

Seit Jahren sinkt der Pegelstand, er zwang die Stadt, Wassersparprogramme umzusetzen. Erfolge sind enden wollend, weil noch mehr Touristen mit neuen Attraktionen, die Wasser brauchen, angelockt werden sollen.

Lake Mead mitten in der Wüste ist der wichtigste Stausee der USA, der auch das 50 Kilometer entfernte Las Vegas mit Trinkwasser versorgt.
Foto: David Krutzler

17 der 20 größten Hotels in den USA befinden sich in Las Vegas – wie das Venetian, das MGM Grand oder Mandalay Bay. Milliardenschwere Mogule haben sich hier verwirklicht – der republikanische Präsidentschaftskandidat Donald Trump etwa mit der golden schimmernden Fassade seines 189 Meter hohen Trump Tower.

Schimmernde Oberflächlichkeit

Das nicht weit entfernte Fontainebleau zeigt freilich auch die Schattenseiten des rastlosen Booms und ist Mahnmahl für den Größenwahn, der hier bunte, leuchtende Gesichter hat. Das blaue Gebäude ist mit 224 Metern das höchste Hotel der Stadt. Es wurde nie in Betrieb genommen. Der Bau mit Plänen für fast 3.900 Hotelzimmer wurde 2010 aufgrund der Wirtschaftskrise eingestellt. Jahrelang standen arbeitslose Kräne auf der Plattform. Im Sommer könnte das Bauwerk weiterverkauft werden – mit der Hoffnung der Stadt, dass der neue Investor nicht nur den Kaufpreis von 500 Millionen Dollar zahlt, sondern weitere 1,2 Milliarden für die Fertigstellung in das Fontainebleau steckt.

Milliardeninvestitionen

Wenn die Milliarden nicht hier investiert werden, dann eben anderswo. Genauer: nur ein paar hundert Meter weiter südlich. Immobilientycoon Steve Wynn plant, seine Luxus-Schwesternhotels Wynn und Encore um einen künstlichen Wasserpark mit eigenem See plus Hotel zu erweitern. Platz dafür gibt es genug, sofern Wynn seinem erst 2005 errichteten Luxus-Golfplatz mehr als 100.000 Quadratmeter abzwackt.

Ein Großteil der grünen Fläche, ein erst 2005 eröffneter Luxus-Golfplatz, könnte zu einem Wasserpark samt künstlichem See umgewandelt werden.
Foto: Brian Bojsen

Las Vegas entwickelt sich schnell weiter, Stillstand ist keine Option. Erst vor wenigen Tagen wurde mit dem Riviera das erste Hochhaus-Hotel-Kasino der Stadt abgerissen, um Platz für einen Ausbau des Convention Center zu machen. Praktisch gegenüber soll laut Plänen in drei Jahren das derzeit gebaute Resorts World Las Vegas mit knapp 6.600 Zimmern eröffnen.

Keine Einkommensteuer

Zusätzliche Besucher soll auch der 2014 eröffnete High Roller ein paar hundert Meter weiter südlich anziehen. Es ist das mit 167 Metern größte Riesenrad der Welt. Mehr Touristen bedeuten auch mehr Jobs, weshalb die Einwohnerzahl in der Wüstenregion mit nur einem kurzen Einbruch nach dem Finanz-Crash stetig steigt. Die Stadt selbst kratzt mittlerweile an der 650.000-Einwohner-Marke, 1980 waren es noch keine 165.000 Bewohner.

Eine Magnetwirkung entfaltet auch die Tatsache, dass die Steuern niedrig sind, eine Einkommensteuer gibt es nicht. Ein Drei-Zimmer-Häuschen knapp außerhalb der Stadt kostet hier mit etwa 1.100 Dollar Miete im Monat so viel wie ein Ein-Zimmer-Appartment in der sechs Autostunden entfernten Stadt Los Angeles.

So riesig wie scheußlich

Bei allem Fokus auf Business gibt es für Touristen auch günstige Attraktionen zu entdecken. Das Flanieren über den Strip und durch Hotelkasinos ist einzigartig. Vegas-Erfahrene bestreiten den Marsch mit Drinks, die man aus ebenso riesigen wie scheußlichen Plastikkrügen zu sich nimmt. Highlights des Weges sind das Wasserfontänenspiel vor dem Bellagio, das nachgebaute Venedig im, no na, Venetian oder die Vulkanexplosion vor dem Mirage.

Venedig, wie es nur in Las Vegas existiert.
Foto: David Krutzler

Rund um den Hotelkomplex New York New York führt eine Achterbahn. Während der Loopings kann es passieren, dass in der Kleidung oder in den Haaren angesammelter Sand des Tages wieder im Gesicht landet. Man ist schließlich in der Wüste. Aber was will man sich beschweren. (David Krutzler, 24.6.2016)