Einst sorgte es für einen "Wow"-Effekt auf einem Microsoft-Event. Mittlerweile gilt es als eine der Zukunftshoffnungen für digitale Kommunikation und kollaboratives Arbeiten: Die Augmented-Reality-Brille Hololens.

Vor einigen Wochen hat Microsoft damit begonnen, erste Entwicklermodelle an Bewerber auszuliefern. Erfolgreich beantragte auch das Unternehmen Tieto mehrere Geräte. Eines davon hat nun in der österreichischen Abteilung des Unternehmens Station gemacht. Der WebStandard hat die Gelegenheit genützt, und den tragbaren Projektionsrechner anprobiert.

Foto: derStandard.at/Pichler

Der Arbeitsplatz der Zukunft

Zum Einsatz kommen könnte Hololens zur Unterstützung der Prozessindustrie. "In den Fabriken sind immer mehr Generalisten und immer weniger Spezialisten unterwegs", erklärte Thomas Hohenauer, Chef von Tieto Austria. Gleichzeitig sind immer größere Mengen an Informationen zu verarbeiten, die zu einem immer größeren Teil von Maschinen produziert werden.

Hololens könnte hier Mitarbeitern mehr Komfort bieten – so muss man etwa nicht mehr die Handschuhe ausziehen, um auf ein Handy zu sehen oder ein Display zu bedienen – und auch in Verknüpfung mit einem intelligenten Steuersystem die Datenflut für die einzelnen Angestellten in Schach halten. Beispielsweise könnten jemandem, der nur bestimmte Maschinen bedient, auch nur Informationen zugestellt werden, die seinen Wirkbereich betreffen. Das Schlagwort "Industrie 4.0" ist auch hier omnipräsent.

Future Mill Workplace

Tieto hat für seine Experimente mit dem Arbeitsplatz der Zukunft die "Future Mill Workplace" ins Leben gerufen. Vor der Hololens experimentierte man unter anderem mit dem Kinect-Sensor der Xbox und Google Glass.

Das Potenzial in diesem Bereich und der Interaktion zwischen Mensch und Maschine soll ein Forschungsprojekt ausloten, das Tieto und die Technische Universität Wien miteinander vorantreiben. Hierbei widmen sich 20 Experten über anderthalb Jahre verschiedenen Problemstellungen.

Auch in der Kollaboration soll Hololens neue Wege eröffnen, wofür Microsoft auch eifrig an einer eigenen Implementation des Messengers Skype arbeitet. Über diesen kann ein Gesprächspartner einem Hololens-Nutzer beispielsweise schon heute helfen, etwa durch die Beschriftung digitaler, im Raum schwebender Prozessdiagramme und Skizzen.

TietoCorporation

Spezifikationen

In technischer Hinsicht besteht Hololens aus der Hardware von Einsteiger-Laptops, kombiniert mit einem eigenen Chip, von Microsoft "Holographic Processing Unit", HPU, genannt. Die Einblendung virtueller Inhalte in die reale Welt erfolgt über ein kleines, durchsichtiges Display, das sich hinter einem schützenden Kunststoffvisier befindet. Mit realen Hologrammen haben die Einblendungen freilich nichts zu tun, praktisch handelt es sich um Projektionen.

Per Kamera, Infrarot und anderen Sensoren erfasst Hololens seine Umgebung dreidimensional. Der Raum wird damit zum "Spielplatz", an den sich manche digitale Inhalte anpassen lassen. Vorgeführt wurden von Microsoft etwa virtuelle Fernseher, die sich automatisch an Wänden ausrichten lassen. Die Brille merkt sich dabei die Positionierung. Bei der nächsten Verwendung finden sich die virtuellen Gegenstände dort, wo man sie abgelegt hat.

Geringer Tragekomfort und kleines Sichtfeld

Bei der Anprobe erwies sich Hololens als noch eher unkomfortables Gerät. Umfang und Displayposition sind gut verstellbar, die Brille selbst ist allerdings nicht ganz leicht, hart und kantig. Es ist anzunehmen, dass es etwas dauert, bis man sich an das Tragen des Geräts vollständig gewöhnt hat. Theoretisch bietet Hololens auch genug Platz, um als Brillenträger die Sehhilfe anbehalten zu können, praktisch tauglich ist dies bei einer etwas größeren Brille allerdings nicht.

Öfters wurde Hololens bereits dafür kritisiert, dass das tatsächliche Sichtfeld der Brille, jener Bereich. in dem digitale Inhalte zu sehen sind, deutlich kleiner ist, als es die mitunter spektakulären Präsentationen glauben machen. Und diese Anmerkungen sind berechtigt. Die "Hologramme" in einem Bereich dargestellt, der ungefähr einem Monitor von 20 bis 22 Zoll bei normalem Arbeitsabstand entspricht.

Helmut Krämer, der als einer von "Microsoft Most Valuable Professionals" bei Tieto Austria maßgeblich zum Erfolg bei der Bewerbung um Testgeräte beigetragen hat, gibt sich hier optimistisch, was Folgeversionen der Brille anbelangt. Er schätzt, dass die Ausweitung des Sichtfelds weit oben auf der Prioritätenliste stehen dürfte. Auch die Akkulaufzeit ist noch ausbaufähig. Sie liegt aktuell bei einer Verwendungszeit von vier bis fünf Stunden.

Foto: Christian Dusek

Gelungene Gestensteuerung

Gesteuert wird das auf Hololens laufende "Windows Holographic"-System per Sprache und über zwei Gesten. Eine Art Greifbewegung ruft stets das Menü auf, alles andere wird derzeit über eine Zwickgeste mit zwei Fingern erledigt. Schaltflächen und andere Interaktionsflächen werden dabei per Kopfbewegung mit einem kleinen weißen Punkt anvisiert, ehe man etwa 3D-Modelle in der Umgebung platziert oder sie kleiner und größer macht. Anstelle der Zwickbewegung kann auch ein eigener "Klicker" verwendet werden, welcher der Hololens beigelegt ist.

Das Steuerungsprinzip geht nach kurzem Ausprobieren erstaunlich leicht von der Hand. Den Werbeclips hinkt die Realität hier freilich noch nach. Inhalte "wegwischen" ist nämlich schlicht noch nicht möglich, da eine solche Geste schlicht nicht erkannt wird. Die Erkennung weiterer Handzeichen könnte aber künftig nachgerüstet werden.

Wow-Effekt

Obwohl die Farbdarstellung eher mau und ein deutlicher "Regenbogeneffekt" zu erkennen ist, spielt die Brille beim Umgang mit dreidimensionalen Objekten ihre Stärken aus. Es hat etwas Beeindruckendes, ein riesiges Satellitenmodell in den Raum zu stellen und beim Herumgehen von allen Seiten zu betrachten.

Gut vorstellbar, dass Anwendungen wie eine zerlegbare 3D-Abbildung des menschlichen Körpers, einmal zu einem Fixbestandteil im Bereich medizinischer Ausbildungen werden. Schon jetzt funktioniert die Positionserkennung ausgesprochen präzise. Scheinen Modell im Livestream einer "Hololensansicht" stark zu wackeln, verharren sie im eigenen Sichtfeld nahezu unbewegt. Microsoft hat hier in der technischen Vollendung beeindruckende Arbeit für ein Gerät geleistet, das im Kern eigentlich noch ein Prototyp ist.

Das Darstellungsprinzip limitiert allerdings den Einsatzbereich der Hololens. Geschaffen ist sie für die Verwendung in – idealerweise nicht grell erleuchteten – Innenräumen. Schon alleine aufgrund der Lichtbedingungen ist von einer Verwendung im Freien abzuraten, erklärt Krämer.

Foto: Christian Dusek

Zukunftaussichten

Microsofts Fokus für die Hololens liegt auf dem Einsatz in der Arbeitswelt. Freilich sind aber auch spielerische Verwendungsszenarien denkbar. Mit einem Alien-Shooter und einer Adaption von "Minecraft" hat man selbst bereits Möglichkeiten aufgezeigt. Für Lösungen im Consumer-Bereich setzen die Redmonder nun aber auf Dritthersteller, wie man auf der vergangenen Computex bekannt gab, als man "Windows Holographic" für Partner öffnete.

Schon im jetzigen Zustand wirkt Hololens vielversprechend, auch wenn seine Kapazitäten für dauerhaften Produktiveinsatz in der Arbeitswelt noch wachsen müssen. Denkt man ein oder zwei Entwicklungsschritte weiter – also an ein schlankeres, deutlich leistungsfähigeres und günstigeres Gerät mit großem Sichtfeld – dürfte dem Durchbruch der "Mixed Reality" kaum etwas entgegen stehen. Die Auslieferung der Testgeräte soll bis Ende 2017 laufen, eine finale Version wird also frühestens 2018 vorgestellt werden. (Georg Pichler, 26.06.2016)