Sie spricht abwechselnd Hochdeutsch und Dialekt. Ohne jene forcierten Betonungen und melodiösen Rhythmen, in die Menschen mit Sprechausbildung ihre Sätze gerne kleiden. "In der Mundart kann ich meine Gedanken besser ausdrücken", sagt Miriam Fussenegger und beißt in ihr Schnittlauchbrot.

Die 25-jährige Oberösterreicherin sitzt in einer Ecke des Restaurants Hansen in der Wiener Börse und ist ein bisschen nervös. Auf manche der vielen Fragen findet sie nur schwer eine Antwort, bei anderen sprudelt es aus ihr heraus. Es gibt derzeit viele Premieren in ihrem Leben, manche finden auf der Bühne, die meisten abseits davon statt. Als neue Buhlschaft im Salzburger "Jedermann" ist Fussenegger in den Fokus von Societykönigen und Gesellschaftstigern gerückt. Und natürlich von jenen, die über sie berichten. Ein Interview liegt an diesem Tag bereits hinter, ein langes Fotoshooting vor ihr. Vor gerade einmal zwei Jahren hat die Schauspielerin ihren Abschluss am Wiener Reinhardt-Seminar gemacht.

Miriam Fussenegger anlässlich der Präsentation als neue Buhlschaft im Jänner.
Foto: apa/neumayr/mmv

Erst wenige Rollen hatte sie bis zu diesem Zeitpunkt gespielt. Schultheater während der Gymnasialzeit und Horváths "Kasimir und Karoline" auf einer oberösterreichischen Sommerbühne. Und natürlich einige Rollen am Seminar. "In den vier Jahren am Reinhardt-Seminar wurden Auftritte außerhalb nicht wirklich gefördert."

Auf dem Programm des Seminars stand stattdessen die Beschäftigung mit sich selbst, dem eigenen Körper, der eigenen Sprache. Und wie sich diese formen lassen. "Das war eine prägende Zeit, die konstante Auseinandersetzung mit sich und den eigenen Mitteln ist nicht immer angenehm."

Miriam Fussenegger (25) in einem Mantel von Max Mara, die Schuhe und Ohrringe sind von Prada.
Foto: Günter Parth

Der Weg auf die Bühne als Reise zu sich selbst: Es gibt nicht wenige angehende Schauspieler, die angesichts dieser Erfahrung das Handtuch werfen. Vor allem wenn der Weg zur Schauspielerei nicht vorgezeichnet scheint. Das war er auch bei Miriam Fussenegger nicht. Der Vater sattelte nach einer Karriere als Textilarbeiter auf Informatik um, die Mutter studierte Betriebswirtschaft.

Aufgewachsen in einem kleinen Dorf unweit von Linz, hatte niemand in ihrer Familie eine besondere Kunstaffinität. Väterlicherseits ist man zwar mit der umstrittenen Autorin Gertrud Fussenegger verwandt, wie genau, kann aber auch die Schauspielerin nicht sagen. "Das war nie Thema in unserer Familie, erst als ich von Journalisten darauf angesprochen wurde, habe ich nachgeforscht."

"Ich habe kein Problem mit Aufmerksamkeit." Schauspielerin Miriam Fussenegger in einer Bluse und einer Jacke von Prada, der Rock ist von Petar Petrov, die Sneaker von Calvin Klein Collection.
Foto: Günter Parth

Anfänge im Schultheater

Es war wie so oft das Schultheater, über das auch Fussenegger zur Schauspielerei kam. Die Lust, in andere Rollen zu schlüpfen. Neben jenen auf der Theaterbühne war es jene als Bandleaderin einer Rockband, die Fussenegger klarmachte, dass ihr das Spaß macht. "Was ich genau machen wollte, habe ich aber nie gewusst. Ich wollte mir immer alles offenlassen." Nach der Matura machte sie die Aufnahmeprüfung in Schauspielschulen in Stuttgart und in Wien – und wurde prompt in beiden genommen. "Es war aber keine Frage, dass ich das Reinhardt-Seminar Stuttgart vorziehe."

Fussenegger ist einer jener Menschen, denen vieles ganz mühelos zu gelingen scheint. Ein paar Stunden später sitzt sie komplett verwandelt vor der Kamera des Fotografen. Das Haar ganz groß, die Scheinwerfer heiß, rückt die Linse unangenehm nah an sie heran. Es ist keine Situation, in der man sich gerne wiederfindet. Auch Fussenegger nicht. Anmerken lässt sie es sich aber nicht. "Natürlich" ist jenes Wort, das in Bezug auf die Schauspielerin am öftesten fällt. Auf dem Boden geblieben.

"Natürlich" ist jenes Wort, das in Bezug auf die Schauspielerin Miriam Fussenegger am öftesten fällt: auf dem Boden geblieben. Auf diesem Bild trägt sie ein Top der französischen Modemacherin Sonia Rykiel.
Foto: Günter Parth

Als sie nach dem Schauspielstudium ihre erste größere Rolle bei einem Film bekommt, ist es bezeichnenderweise ein Landkrimi. Natürlich einer von jenen, die in Oberösterreich spielen ("Der Tote am Teich", Regie Nikolaus Leytner).

An der Seite von Josef Hader und Maria Hofstätter gibt die Jungschauspielerin die Assistentin der Kommissarin. Die blonden Haare zum Pferdeschwanz gebunden, das Tablet immer griffbereit, stapft sie resolut durch die Winterlandschaft um Freistadt. Eine, die weiß, was sie will. Dabei aber nie auf den Gedanken käme, ihre äußerlichen Reize einzusetzen.

"Ich freue mich schon jetzt darauf, die Buhlschaft-Klischees nicht zu erfüllen." Fussenegger in einem Jumpsuit des Wiener Designers Petar Petrov und in Slippers von Louis Vuitton.
Foto: Günter Parth

Diese sind es, die man am ehesten mit der Rolle der Buhlschaft assoziiert. Der verführerische Körper. Das einmal mehr, einmal weniger dralle Dekolleté. Die Rolle selbst gibt vergleichsweise wenig her: Gerade einmal ein paar Sätze sind im "Jedermann" der Buhlschaft zugedacht, schauspielerische Akzente lassen sich nur schwer setzen. Umso verwunderlicher ist es, wie viel Brimborium rund um die Buhlschaft gemacht wird – und wer diese Rolle schon alles gespielt hat.

Zuletzt waren es Birgit Minichmayr (auch sie eine Oberösterreicherin) und die Münchner Schauspielerin Brigitte Hobmeier. Im Vergleich zu den beiden ist Fussenegger ein Greenhorn. Neben dem oberösterreichischen Landkrimi und einer Folge von "Soko Donau" kennt man sie allenfalls aus der letztjährigen Inszenierung des "Mackie Messer" bei den Salzburger Festspielen. Fussenegger verkörperte Lucy Brown, die Tochter des korrupten Polizeichefs. Regie führte damals der britische Regisseur Julian Crouch, also jener Mann, der (gemeinsam mit Brian Mertens) auch die Neufassung des "Jedermann" verantwortete.

Jung für die Rolle

Auf Fussenegger tippte dennoch niemand, als die Buhlschaft im Jänner präsentiert wurde. Nicht nur, dass die Schauspielerin zu unbekannt war, mit 25 Jahren ist sie auch reichlich jung für die Rolle. Sie selbst hat damit kein Problem: "Die Buhlschaft ist eine einzige große Projektionsfläche, die Menschen sehen in ihr, was ihnen gefällt."

Als Verkörperung der "Weiblichkeit an sich" wird die Geliebte des Jedermann gemeinhin interpretiert, als durch und durch sexualisiertes Wesen. Das fördert natürlich allerhand Klischees zutage: "Ich freue mich jetzt schon darauf, sie nicht zu erfüllen", sagt Fussenegger und beißt dann herzhaft in ihr Schnittlauchbrot.

Es sind noch einige Wochen hin, bis in Salzburg die Proben für die Wiederaufnahme beginnen. Die Interviews und Fernsehauftritte, die Fussenegger derzeit absolviert, sind nicht viel mehr als Aufwärmübungen, bevor der Society-Wahnsinn über sie hereinbricht. "Ich habe kein Problem mit Aufmerksamkeit", sagt die Schauspielerin in ihrem oberösterreichischen Dialekt. Sollte sie auch nicht. Sie würde den Sommer sonst wohl kaum durchstehen. (Stephan Hilpold, RONDO, 3.6.2016)

Miriam Fussenegger in einem Seidenkleid und einer Hose von Dolce & Gabbana und Schuhen von Louis Vuitton.
Foto: Günter Parth