Wien – Sozialminister Alois Stöger (SPÖ) will die Reform mit den Ländern zur Mindestsicherung ohne Einigung mit Niederösterreich und ohne weitere Verhandlungen in Begutachtung schicken. Im APA-Interview betonte Stöger, eine Einigung mit acht Ländern zu haben, und: "Ich sehe nicht ein, dass ein Bundesland alle anderen overrulen kann." Vizekanzler Reinhold Mitterlehner lehnt das jedoch ab.

Bei der letzten Verhandlungsrunde vor gut zwei Wochen hatte Stöger einen Kompromissvorschlag für die von der ÖVP geforderte Deckelung der Mindestsicherung vorgelegt. Demnach sollte ab dem siebenten Kind eine Kürzung erfolgen. Die anderen Bundesländer stimmten zu, Niederösterreichs Landesrätin Barbara Schwarz (ÖVP) wollte das zunächst prüfen und lehnte den Vorschlag dann nach Kritik auch aus der Bundes-ÖVP ab. Sie pochte auf eine Deckelung und wollte bis Mitte Mai ein Rechtsgutachten vorlegen. Die ÖVP hatte ursprünglich eine Deckelung von 1.500 Euro gefordert.

Stöger: Niederösterreich kann beitreten

Wenn Niederösterreich nicht wolle, dann müsse er überlegen, welche Maßnahmen er setzen könne, "damit die anderen Bundesländer zu ihrem Recht kommen", sagte Stöger. Er verwies darauf, dass auch die ÖVP-geführten Bundesländer Vorarlberg, Tirol, Salzburg, Oberösterreich und Steiermark zugestimmt hätten. Verhandelt wird die Vereinbarung allerdings von den Soziallandesräten – und die gehören mit Ausnahme Schwarz' alle der SPÖ oder den Grünen an. Der Sozialminister betonte aber, dass das Land Niederösterreich eingeladen sei, dem Vertrag "jeden Tag" beitreten zu können.

Ziel sei jedenfalls, dass der neue 15a-Vertrag mit 1. Jänner 2017 in Kraft tritt. Deshalb wollte er ohne neue Verhandlungsrunde den Kompromissvorschlag in Begutachtung schicken. Danach würde es nochmals eine gemeinsame Positionierung mit den Ländern geben. Bis dahin könnte Niederösterreich noch relativ einfach dem Vertrag beitreten. Aber auch danach gebe es noch Möglichkeiten.

"ÖVP muss sich einig werden"

Stöger berichtete allerdings, dass er Vizekanzler Mitterlehner über seinen Plan informiert habe, der ÖVP-Obmann habe jedoch eine Begutachtung verweigert. Damit kann sie de facto nicht stattfinden. Der Sozialminister forderte den Vizekanzler auf, Klarheit zu schaffen. Es gebe fünf ÖVP-geführte Länder, die das wollen, und mit Niederösterreich eines, das es nicht wolle. Die ÖVP müsse sich hier einig werden, was sie wolle, verlangte Stöger. "Scheinbar gibt es mehrere Arten von ÖVP."

Der Sozialminister verwies auf die Funktion der Mindestsicherung: Sie könne Österreich Slums ersparen, Menschen vor Obdachlosigkeit bewahren, ihnen Nahrung garantieren und sie vom Rand der Gesellschaft zurück in die Mitte holen. Das hätten Experten bestätigt. Und die Fachleute hätten auch bestätigt, dass sich eine Deckelung der Mindestsicherung gegen die Kinder richte, betonte Stöger. Deshalb sei es ihm wichtig, mit der 15a-Vereinbarung zu einem Ergebnis zu kommen.

ÖVP ortet Ablenkungsmanöver

Die ÖVP lässt die Kritik von Sozialminister Alois Stöger (SPÖ) nicht auf sich sitzen: "Es gibt keine Einigung mit den Ländern. Demnach kann die 15a-Vereinbarung zur Mindestsicherung nicht in Begutachtung geschickt werden", erklärten Klubchef Reinhold Lopatka und Sozialsprecher August Wöginger in einer Aussendung am Mittwoch. Stöger soll weiter verhandeln, lautete die Forderung.

In der Volkspartei interpretiert man den Vorstoß des Sozialministers als Manöver, um von der Personaldebatte in der SPÖ abzulenken – immerhin sei für die Begutachtung noch genügend Zeit, wenn das Gesetz mit Jänner 2017 in Kraft treten soll.

Mitterlehner: "Mindestsicherung hinterfragen"

Die geplante 15a-Vereinbarung sei "völlig unfertig", so Wöginger: "Was soll hier begutachtet werden? Offenbar wird Minister Stöger aufgrund des heutigen Vorstoßes zur Mindestsicherung in Oberösterreich nervös." Lopatka verwies weiters darauf, dass ein großes Bundesland wie Niederösterreich nicht übergangen werden könne: "Eine Begutachtung ohne Einigung kommt nicht infrage." Der Ressortchef soll "seine Arbeit machen und verhandeln", forderte der Klubobmann.

Auch Vizekanzler Mitterlehner sieht den Sozialminister am Zug. Stöger sei gefordert, "mit allen Ländern eine Einigung zu erzielen. Wir müssen das System Mindestsicherung stärker hinterfragen und reformieren", sagt ein Sprecher Mitterlehners zum STANDARD.

Aus niederösterreichischer Sicht bleibe die Situation unverändert, heißt es aus dem Büro der zuständigen Soziallandesrätin Barbara Schwarz. Angezweifelt wird außerdem, ob die restlichen acht Bundesländer der 15a-Vereinbarung letztlich tatsächlich zustimmen – immerhin sei Schwarz in der Runde der Soziallandesräte die einzige ÖVP-Politikerin.

Grüne bestärken Stöger

Die Grüne Sozialsprecherin Judith Schwentner forderte Mitterlehner in einer Aussendung dazu auf, die niederösterreichische Landesgruppe "zur Ordnung" zu rufen. "Will die ÖVP mehr als 200.000 Menschen der Armut überlassen?", fragte sie Schwentner, und forderte jene Version, auf die sich acht der neun Bundesländer geeinigt haben, in Begutachtung zu schicken.

FPÖ drängt auf Kürzung

Die Freiheitlichen wiederum drängen auf eine deutliche Kürzung der Mindestsicherung für Asylberechtigte. Der Wiener FPÖ-Klubobmann Dominik Nepp erklärte, die Mindestsicherung soll die "eigenen Leute" vor Armut bewahren und dürfe "kein Anreiz für Wirtschaftsflüchtlinge sein".

Die Mindestsicherung soll überhaupt "endlich" Bundeskompetenz werden, darauf drängen die Neos. "Die Blockade durch einzelne Bundesländer muss gestoppt werden", meinte Sozialsprecher Gerald Loacker. Das Team Stronach spricht sich dafür aus, dass anerkannte Flüchtlinge nicht sofort die volle Mindestsicherung erhalten. (APA, red, 4.5.2016)