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Der bekannte Dramatiker in einem unbekannteren Porträt: Der große William Shakespeare starb am 23.4.1616 – also vor genau 400 Jahren.

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In Stratford-upon-Avon befindet sich Shakespeares Geburtshaus.

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Die Bancroft Gardens schmückt nicht nur Shakespeares Statue, sondern auch die seiner Drama-Helden.

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Das Globe Theatre in London (in einer alten Ansicht) wurde detailgetreu nachgebaut und ist seit 1997 – neben Stratford – eine Pilgerstätte für alle Shakespeare-Fans.

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In der Holy Trinity Church wurde Shakespeare getauft und begraben.

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Adel: William Shakespeare, der nachmals größte Dramatiker aller Zeiten, wurde 1564 als Sohn eines Handschuhmachers in dem beschaulichen Stratford-upon-Avon geboren. Papa John hatte zeitweise das Bürgermeisteramt inne. Die Familie war sich ihres Wertes durchaus bewusst. Der Vater bemühte sich früh um das Privileg, ein eigenes Wappen führen zu dürfen.

Arden: Mutter Mary entstammte der einflussreichen Familie der Ardens. Blickt man auf die wenigen erhaltenen Zeugnisse aus Williams Jugend, wird man einer Reihe von Ungereimtheiten gewahr. John dürfte sich mit Geldverleihgeschäften in eine für ihn unangenehme Lage gebracht haben. William selbst besuchte die lokale Grammar School. Gewiss hat er dort eifrig lateinische Verben konjugiert. Seine überbordende Bildung muss jedoch großenteils aus anderen Quellen stammen. Gerätselt wird zum Beispiel über ein juridisches Praktikum, das Shakespeare in einer Anwaltspraxis abgelegt haben könnte. Horribile dictu: Beim Durchforsten der Archive fand sich nicht das kleinste Fitzelchen Shakespeare-Text, nicht die flüchtigste Paraphe auf einem urkundlichen Papier. Auch in den benachbarten Grafschaften von Warwickshire: von einem Rechtsgelehrten Shakespeare keine Spur.

Bigotterie: In den 38 Stücken gibt es keine eindeutigen Hinweise auf Shakespeares Konfession. Religiöse Bekennerfreude war während der Herrschaft von Queen Elizabeth auch nicht unbedingt ratsam. Die formelle Anerkennung der anglikanischen Staatskirche durch die Untertanen wurde stillschweigend vorausgesetzt. Dennoch wurde in Mittel- und Nordengland der katholische Glaube weiterhin praktiziert. Geistliche tauchten unter, ehemalige Hauslehrer wurden von den Jesuiten angeworben mit dem Ziel, die Kinder Albions für die Sache Roms zurückzugewinnen. Heimliche Katholiken nannte man "Rekusanten". 1585 galt es als Hochverrat, katholischer Priester zu sein, nach 1585 war es bereits ein Kapitalverbrechen, einem Priester auch nur Unterstützung zu gewähren. Shakespeares Sippe könnte jedenfalls in katholische Umtriebe verstrickt gewesen sein, Biografen wie Stephen Greenblatt bieten dafür faszinierendes Beweismaterial auf. Shakespeare mit einem (damals verbotenen) Rosenkranz in der Hand? Ein verwegener Gedanke.

Cottam: Das Schicksal des Oxford-Absolventen John Cottam mag als besonders grausamer Beleg für das Schicksal dienen, das Katholiken in Tudor-England blühte. Cottam aus Lancashire war Lehrer an der King's School von Stratford, wo er Williams jüngere Brüder unterrichtet haben dürfte. Im Ausland für die katholische Sache angeworben, bekamen ihn Elisabeths Büttel zu fassen. Nach einjähriger Haft im Tower wurde er am 30. Mai 1582 durch die johlende Menge gezerrt, dann gehängt, wieder abgenommen, während er noch lebte, und kastriert. Dem Delinquenten wurden die Eingeweide bäuchlings herausgezerrt und vor seinen Augen verbrannt. Hierauf wurde Cottam enthauptet, sein Körper gevierteilt. In Kenntnis damaliger Hinrichtungspraktiken erscheinen die Gewaltexzesse, die das elisabethanische Theater auf der Bühne veranstaltete, geradezu als Kindergeburtstage.

Fleisch: Erst viele Jahrzehnte nach Shakespeares Tod in seiner Heimatstadt Stratford fanden sich Stimmen, die über die Jugendbeschäftigungen des kleinen Will Anekdoten wussten. So soll Shakespeare als Schlachter gearbeitet haben. Zum Hackbeil schwang er auch noch poetische Reden. In den "verlorenen" 1580er-Jahren – Shakespeare hatte eine ältere Frau geheiratet und war mehrfacher Vater – könnte er wiederum als Wilddieb in Erscheinung getreten sein. Ein Konflikt mit dem bei Hofe einflussreichen Landeigner Sir Thomas Lucy würde erklären, warum Shakespeare sich einer Truppe fahrender Schauspieler anschloss, Weib und Kinder fürs Erste ihrem Schicksal überließ und sich auf Schusters Rappen auf den Weg nach London, in die gelobte Stadt, machte.

Folio: Die erste Ausgabe von Mr. William Shakespeare's Comedies, Histories and Tragedies erschien 1623 in der für damalige Verhältnisse durchaus stolzen Auflage von 750 Stück. Dadurch waren Shakespeares Werke erstmals in einer "autorisierten" Form erhältlich. Vorherige "Quarto"-Ausgaben basierten höchstwahrscheinlich auf den wenig verlässlichen Erinnerungen von Schauspielern, die ihre Rollentexte niederschrieben. Schauspieler gehörten einer sozialen Mittlerschicht an. Sie selbst mussten imstande sein, als Herren (und Damen!) formvollendet aufzutreten und die höfischen Manieren zu imitieren. Die Gunst des gut durchmischten Londoner Publikums teilten sie sich mit Bärenkitzlern.

Greene: Es bedurfte eines verwahrlosten Dichtergenies, eines prahlenden Säufers namens Robert Greene, um Shakespeares kometenhaften Aufstieg als Dramatiker im Jahre 1592 zu belegen. Greenes Pamphlet galt unzweifelhaft einem lästigen Konkurrenten. Es gebe da "eine emporgekommene Krähe, fein herausgeputzt mit unseren Federn, die mit ihrem Tigerherz, in einem Schauspielergewand versteckt, meint, Blankverse ausschütten zu können wie die Besten von euch". Und um nur ja keinen Zweifel darüber aufkommen zu lassen, wer da gemeint sein könnte, schloss Greene: "and beeing an absolute Johannes fac totum, is in his owne conceit the onely Shake-scene in a countrey." Shakespeare bewahrte die Erinnerung an seinen Widersacher Greene in der Figur des liederlichen Prinzenerziehers Sir Falstaff auf.

Inkognito: Bis heute wollen die Stimmen nicht verstummen, die einem Gaukler vom Lande schlichtweg die Qualifikation für die Abfassung eines Hamlet oder eines Sturm absprechen. Gutwillige Humoristen wie Mark Twain führen mit Vorliebe die Verse an, deren Einmeißelung in den eigenen Grabstein Shakespeare selbst noch veranlasst haben soll: "O GUTER FREUND UM JESU WILLN LASS AB / STÖR NICHT DEN STAUB DER HIER LIEGT IN DEM GRAB / GESEGNET SEI WER SCHONET DIESEN STEIN / UND FLUCH DEM MANN DER RÜHRT AN MEIN GEBEIN". In der Tat geht von diesen Zeilen eine ästhetisch eher niederschmetternde Wirkung aus. Derselbe Autor kann unmöglich Gipfelleistungen der abendländischen Dichtkunst wie die 154 Sonette oder Venus und Adonis hervorgebracht haben! Twain selbst tritt lebhaft für die These ein, der große Sir Francis Bacon habe sich der Maske "Shakespeares" bedient, um sein universales Wissen in Tragödien, Historien und Komödien umzumünzen.

London: Die Hauptstadt mit ihren 200.000 Einwohnern war in den 1590er-Jahren der natürliche Sehnsuchtsort für Glücksritter und aufstrebende Talente aus allen Winkeln des Landes. Macht und Reichtum lockten. Neuankömmlinge sahen sich vor allem mit Ratten konfrontiert, mit Pestepidemien – die zu temporären Theaterschließungen führten – und verheerenden Feuersbrünsten. Zahlreiche Stadtteile hatten sich vornehmlich dort breitgemacht, wo nach der Schleifung und dem Einzug von Kirchengütern die Jurisdiktion der Stadtväter nichts galt ("Liberties"). Die entsprechenden Viertel boten einen natürlichen Nährboden für Theaterneugründungen. Bühnen aber waren für die Bilderstürmer unter den Puritanern ein natürlicher Stein des Anstoßes.

Marlowe: Der Schuhmachersohn und Geheimdienstspitzel Christopher Marlowe (1564-1593) teilt mit William Shakespeare nicht nur das Geburtsjahr. Der ingeniöse Dichter dürfte mit Tamburlaine the Great, vor allem aber mit dem Juden von Malta ein bewundertes Vorbild für den dichtenden Emporkömmling aus Stratford abgegeben haben. Shakespeares Kaufmann von Venedig bildet ein spätes Echo auf das wüste Pamphlet Marlowes. Dessen Hauptfigur, der Jude Barabas, vereint in sich alle Schliche und Bösartigkeiten der Welt. Ihm gegenüber nimmt sich der Geldverleiher Shylock geradezu zahm aus. Der Antisemitismus beider Autoren ist umso verwunderlicher, als die englischen Juden bereits Ende des 13. Jahrhunderts massenhaft aus England deportiert worden waren. Beider Polemik gründet also auf keinerlei empirischem Anschauungsmaterial.

Nachwelt: Die überragende Qualität des Stückeschreibers William Shakespeare ist nicht in zwei Sätzen zu erklären. Tatsächlich besaß der Theaterunternehmer und gewiefte Geschäftsmann ein schier übermenschliches Maß an Empathie. Mit Blick auf die Clowns und Rüpel in den Komödien sagte etwa der deutsche Politologe und Friedensforscher Ekkehart Krippendorff: "In den Komödien redet jeder mit jedem, und Witz, Verstand und das Gewicht von Argumenten sind völlig unabhängig vom gesellschaftlichen Rang! Und indem da jeder jede spielen oder sich in eine andere oder einen anderen spielerisch verwandeln kann, woraus ja ein Gutteil der Verwechslungskomik besteht, können wir uns Beobachter in alle Bühnenfiguren leicht hineinversetzen." Indem Shakespeare schier unaufhörlich die Perspektiven wechselt, enthält jede Meinung ein Körnchen Wahrheit, behält jede Figur ein Stück weit recht. In einem solchen Konzept der Vielstimmigkeit ist bereits der Keim zu einer demokratischen Debattenkultur enthalten.

Tod: William Shakespeare zog sich vom Globe Theatre in London zurück und verbrachte seine letzten Lebensjahre im heimatlichen Stratford. Dort vertrieb er sich die Zeit vor allem mit Immobiliengeschäften. Die Profession eines Dichters nahm er nicht mehr wahr. Als bereits schwerkranker Mann setzte er sein Testament auf. Es bedurfte einer zusätzlichen Bestimmung, damit seine Gemahlin Anne, geborene Hathaway, wenigstens sein "zweitbestes Bett" vermacht bekam. Es fällt schwer, aus solchen Absonderlichkeiten irgendwelche Rückschlüsse auf den "Privatmann" Shakespeare zu ziehen. Sicher ist nur: William Shakespeare veränderte mit seiner Dichtkunst das Antlitz der Welt. Und sollten doch noch ein paar Wäschereizettel mit Shakespeares Handschrift auftauchen: Der Rest ist dröhnendes Schweigen. (Ronald Pohl, 23.4.2016)