Bruno Kreisky Büste in seinem Park in Margareten: Er war Visionär und Pragmatiker

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Im TV-Duell mit Rudolf Hundstorfer stellte Alexander Van der Bellen dem SPÖ-Präsidentschaftskandidaten eine Frage, die bei so manchen alten Sozialdemokraten angesichts des Regierungsschwenks in der Asylpolitik aufkommt: "Was ist aus der SPÖ der Kreisky-Zeit geworden?" Unter Bruno Kreisky, so seine Botschaft, hätte die Partei ganz anders agiert.

Auch bei den Protesten gegen Bundeskanzler Werner Faymann am Wiener SPÖ-Parteitag war der unausgesprochene Vorwurf, Faymann habe die wahren sozialdemokratischen Werte, die niemand besser als Kreisky personifiziert, verraten.

Auf welcher Seite der gespaltenen Partei?

Das wirft eine spannende Frage auf: Wie hätte sich Kreisky in der heutigen Flüchtlingskrise verhalten? Auf welcher Seite der gespaltenen Sozialdemokratie wäre er gestanden?

Die Antwort ist nicht leicht. Schließlich gab es keine vergleichbare Flüchtlingswelle in seiner Zeit als Politiker – die Massenflucht aus den Nachbarstaaten, Ungarn 1956 und Tschechoslowakei 1968, waren doch ganz anders. Und fragen kann man Kreisky auch nicht.

Aber man weiß genug über Kreiskys Denken und politisches Handeln, um natürlich spekulative, aber plausible Szenarien zu skizzieren.

Friedensstifter und selber Flüchtling

Kreisky hätte wahrscheinlich versucht, sich als Friedensstifter in Syrien zu profilieren. Er hätte die europäische Solidarität vielfach beschworen. Er wäre mit mehr Rücksicht gegenüber europäischen Partnerstaaten wie Italien als die heutige Regierung vorgegangen. Und er hätte als ehemaliger Flüchtling vor dem NS-Terror tiefes menschliches Verständnis für das Leid der Asylwerber vor allem aus Syrien gezeigt.

Kreisky hatte Ideale und Visionen. Aber er war auch ein Pragmatiker und ein begabter Techniker der Macht.

Das Feld nicht der FPÖ überlassen

Er hätte deshalb nicht zugelassen, dass seine Regierung die Kontrolle über einen so wichtigen Bereich der Politik verliert. Er hätte sich auch nicht seine Entscheidungen von NGOs und doktrinären Völkerrechtlern diktieren lassen.

Und er hätte nicht ein zentrales politisches Feld einer verhassten Oppositionspartei überlassen – und damit seine politische Mehrheit gefährdet. Wenn er sich zwischen den Interessen von Inländern und Ausländern entscheiden musste, kamen seine Wähler immer zuerst. Das Ausländerbeschäftigungsgesetz von 1975 war hart gegenüber Gastarbeitern und höchst integrationsfeindlich.

Kreisky hätte wahrscheinlich im Sommer 2015 ebenso wie die Regierung Faymann-Mitterlehner Flüchlinge aufgenommen und sich von Viktor Orbáns Abschottungspolitik distanziert. Aber spätestens im Herbst hätte er gegrummelt: "So kann das nicht weitergehen" und hätte dann die Notbremse viel früher gezogen als die jetzige Regierung.

Er hätte linke Kritiker abgekanzelt

Er hätte eine harte Politik der Grenzschließungen mit einer sanften Sprache der Solidarität und Menschlichkeit verbunden. Er hätte die linken Kritiker in der Partei abgekanzelt und sie gefragt, wie sie es wagen können, angesichts seiner eigenen Biografie sein Mitgefühl mit Flüchtlingen in Zweifel zu ziehen. Und er hätte ebenso ungnädig auf Kritik aus dem Ausland reagiert.

Und er hätte ebenfalls jemanden wie Hans Peter Doskozil in die Regierung geholt, vielleicht schon früher als Faymann es tat.

Kreisky hätte alles getan, damit die FPÖ nicht dank des Flüchtlingsthemas die Mitte der Gesellschaft besetzt und sich zur stärksten Partei des Landes aufschwingt.

Taktieren wie bei der Geiselnahme von Schönau

Eine Krise gibt Aufschluss auf die Art und Weise, wie Kreisky agierte. Nach der Geiselnahme von Marchegg im September 1973 gab Kreisky den Forderungen der palästinensischen Terroristen sofort nach und ordnete die Schließung des Transitlagers Schönau an, wo jüdische Auswanderer aus der Sowjetunion untergebracht waren. Gleichzeitig aber richtete er die Hilfsstelle Wöllersdorf ein, wo weiterhin tausende sowjetische Juden auf der Durchreise versorgt wurden. Er tat, was er für richtig hielt, auf seine Weise.

Kreisky hätte auch jetzt Wege gesucht, internationale Solidarität mit Flüchtlingen zu zeigen, ohne aber einen weiteren Ansturm an den Grenzen mit allen fatalen innenpolitischen Folgen zu riskieren – selbstbestimmt, nicht aufgezwungen. (Eric Frey, 17.4.2016)