Proteste vor der "Zaman"-Redaktion in Istanbul am Freitagnachmittag.

Foto: APA/AFP/OZAN KOSE

Istanbul – Nach der Übernahme der größten türkischen Oppositionszeitung haben Treuhänder das Blatt auf Regierungslinie gebracht. Die Sonntagsausgabe der Zeitung "Zaman" erschien mit einem Foto von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan auf der Titelseite. Weiteres Thema ist die fast fertiggestellte dritte Bosporus-Brücke – ein Prestigeprojekt Erdogans.

Die Zeitung war am Freitag nach Angaben des regierungskritischen Anwalts Ayhan Erdogan auf Anordnung von Richtern mit Sondervollmachten hin unter Aufsicht einer staatlichen Treuhandverwaltung gestellt worden. Eine offizielle Begründung für den in der Türkei und auch international als Einschränkung der Pressefreiheit kritisierten Schritt gab es nicht. Kurz nach der Anordnung der Intervention hatte die Polizei das Verlagsgebäude unter Einsatz von Tränengas und Wasserwerfern gestürmt.

Die Entscheidung der Sonderrichter, die nach Worten des Anwalts zur Wahrung der inneren Sicherheit für staatliche Interventionen in Unternehmen zuständig sind, kann zwar von der ordentlichen Justiz überprüft werden. Ein solcher Prozess dürfte aber lange dauern und sein Ausgang wäre ungewiss.

"Zaman" ("Zeit") steht der Bewegung des Predigers Fethullah Gülen nahe, der im US-Exil lebt. Gülen war einst ein Verbündeter des islamisch-konservativen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan, hat sich mit ihm aber überworfen. Gülens "Hizmet"-Bewegung ist in der Türkei inzwischen zur Terrororganisation erklärt worden.

Regierungschef verteidigt Vorgehen

Der türkische Regierungschef Ahmet Davutoglu hat das Vorgehen gegen die Zeitung "Zaman" als unabhängige Entscheidung der Justiz verteidigt. Die gegen die regierungskritische Zeitung ergriffenen Maßnahmen seien "sicher keine politischen, sondern rechtliche Vorgänge", sagte Davutoglu am Samstag während eines Staatsbesuchs im Iran in einer vom türkischen Fernsehen ausgestrahlten Reaktion.

Die Türkei sei ein Rechtsstaat, sagte Davutoglu. Es komme daher "nicht in Frage für mich oder irgendeinen meiner Kollegen, sich in diesen Prozess einzumischen". (APA, red, 6.3.2016)