Junction: Die Reihe TrabZONE, aus der dieses Foto von Nilbar Güreş mit dem Titel "Junction" stammt, entstand in Trabzon, einer Hafenstadt am schwarzen Meer, die Ferienort ihrer Kindheit war. In dieser Werkreihe setzt sich die Künstlerin mit Geschlechterrollen, religiösen und nationalen Werten auseinander.

Foto: courtesy the artist; galerie martin janda, wien; rampa, istanbul; sammlung museum wien

An den Universitäten wird nicht mehr von Studentinnen und Studenten, sondern von Studierenden gesprochen, im Wahlkampf wird darüber gestritten, ob homosexuelle Paare heiraten und Kinder adoptieren dürfen, oder man eine Frauenquote bei leitenden Positionen in Politik und Wirtschaft einführen soll. An deutschen Universitäten gibt es über 150 sogenannte Genderprofessuren, die fast ausschließlich von Frauen besetzt sind, die grundsätzlich den Unterschied von Mann und Frau in Frage stellen. "Anatomie", behauptet die führende "Gender"-Theoretikerin Judith Butler, ist nur "ein soziales Konstrukt".

Wie weit manch universitäre Debatte von der sozialen Realität entfernt ist, zeigt sich gerade in der Diskussion um die große Zahl von Einwanderern aus muslimischen Ländern. Gender- oder Migrationsforschung geht von einem idealisierten Bild von Multikulturalität aus und stellt zum Beispiel keine Fragen zu islamisch tradierten Familienstrukturen. Es gibt auch keine Studien zum wachsenden Islamismus und zu von Saudi-Arabien oder der Türkei finanzierten Moscheen, weder in Österreich noch in Deutschland.

Aber mit den muslimischen Flüchtlingen kommt eine Diskussion nach Europa zurück, die – zumindest theoretisch – längst erledigt zu sein schien. Es ist die Realität von Zwangsverheiratung, Beschneidung und Gewalt, die Debatte um Gleichberechtigung, Emanzipation und die Apartheid von Frauen.

Diese Probleme treffen Politik und Institutionen unvorbereitet, weil in der Gender- und Migrationsforschung, in der schon Geschlechter keine Rolle spielen dürfen, auch Unterschiede zwischen Religionen, Ethnien und Kulturen nicht problematisiert werden durften und unter dem Verdacht des "Kulturrassismus" stehen. Das Ergebnis einer solchen ideologisierten Forschung ist das Fehlen von Konzepten für die Integration. Was bleibt, sind hilflose Helfer.

Um die Herausforderung durch die zum größten Teil muslimisch sozialisierten Zuwanderer richtig einschätzen zu können, muss man sich über die "Kulturdifferenz" zwischen – einfach gesagt – dem Islam und dem Westen auch in Sachen Geschlechterverhältnis und Stellung der Familie klar werden.

Wir können dabei sehr wohl von "dem Islam" sprechen, weil er sich über alle Kulturen und Ländergrenzen und letztlich alle Rechtsschulen hinweg auf seine autoritativen Texte wie Koran und Sunna beruft. Diese Texte haben über Jahrhunderte den Islam als Zivilisation, Kultur und Gesellschaftsform geprägt. Der Islam ist in diesem soziologischen Sinne auch nicht als Religion zu betrachten, sondern es handelt sich um eine Herrschaftsform. Es geht selbst im Koran nicht darum, zu glauben, sondern darum, Muslim zu sein und sich dem Gesetz Allahs zu unterwerfen. Die autoritativen Texte regeln nicht nur das alltägliche Leben, sondern bestimmen durch Ge- und Verbote Denken und Weltsicht der Gläubigen und ihr Verhältnis zu Anderen. Sie erheben einen allumfassenden Anspruch, das Private wie das Öffentliche zu prägen.

Da gläubige Muslime davon ausgehen, dass Allah alles bedacht und geregelt hat, sind für sie diese Gesetze auch nicht verhandelbar. Ausdruck dieser Dominanz ist die Scharia, die von Gott gegebenen Gesetze, die nach Auffassung von Muslimen über den von Menschen gemachten Gesetzen stehen.

Ausgehend von Arabien dominiert der Islam große Teile der Gesellschaften des Orients seit über 1400 Jahren, er hat das kulturelle, ökonomische, gesellschaftliche Leben in diesen Ländern bis in den letzten Winkel geprägt. Seine Paradigmen sind Teil der herrschenden Gesetze. Bis auf die Türkei basiert in allen islamischen Ländern das Personenstandsrecht auf der Scharia, sind also die Stellung der Frau bei Eheschließung, Scheidung, Verstoßung, das Versorgungsrecht, das Recht auf die Kinder und die Bestimmung eines Vormunds abgeleitet vom Koran.

In dieser Realität leben Frauen unter der Herrschaft des Mannes und müssen vor fremden Blicken, das heißt anderen Männern, geschützt werden. Eine Begegnung von Mann und Frau ist außerhalb der Familie und Ehe nicht vorgesehen. Die Frau hat ihren Platz in der Familie und im Haus. In der Öffentlichkeit hat sie deshalb in traditionell islamischen Gemeinschaften keinen Platz und muss sich verschleiern.

Die Apartheid von Männern und Frauen führte nicht nur zu einer Versklavung der Frau, auch die jungen Männer leiden unter diesem System. Sie werden daran gemessen, ob sie ihre Frauen, Schwestern, Cousinen bewachen können. Sie können nur über ihre Eltern oder die Familie Kontakt zum anderen Geschlecht aufnehmen, das ausschließlich als Sexualwesen stigmatisiert wird. Sie sind verlorene Söhne und heiraten fremde Bräute.

Um die Zukunft betrogen

Vor diesem Hintergrund ist es offensichtlich, dass junge Männer aus islamischen Gesellschaften (aber nicht nur sie) durch ihre Sozialisation ein Problem damit haben, zu akzeptieren, dass Frauen hierzulande die gleichen Rechte haben wie sie. Es sind verlorene Söhne – von den Müttern verhätschelt, von den Vätern und der Religion bevormundet, in ihren Staaten um Bildung, Sicherheit und Zukunft betrogen und allein gelassen, frustriert und mit einem Weltbild, in dem die Frau die verfügbare Verführerin ist. Dieses Weltbild der religiös verbrämten Dominanz der Männer über die Frauen wird nicht nur in den Moscheen vermittelt, auch die Mütter geben es in der Erziehung an ihre Söhne und Töchter weiter. Der Sohn wird als Prinz verwöhnt, die Tochter zur Dienerin erzogen.

Unsere libertäre Kultur, in der jeder – mittlerweile auch Frauen – ein Recht auf ein selbstständiges Leben hat, trifft auf ein vormodernes Frauenbild und Frustration bei diesen Männern. Das Ergebnis kann ein Kulturschock sein, der sich in Gewalt und Übergriffen entladen kann. Wer auch nur ein wenig die Situation in muslimischen Migrantenkreisen kennt, weiß, dass die Ereignisse an Silvester in Köln kein qualitativ neues Problem sind. Neu war die Masse und Öffentlichkeit der in der Silvesternacht in Köln 2015 begangenen Taten.

Es wird nicht reichen, diese verlorenen Söhne die Sprache oder das Ausfüllen von Formularen zu lehren. Sie müssen die eigene Freiheit lernen und die der anderen zu respektieren. Sie müssen Gewohnheiten ablegen, sich ändern, wenn sie in dieser Gesellschaft ankommen wollen. Wir müssen die Kulturdifferenz benennen und sagen, was erlaubt, was verboten ist.

Die Freiheit ist bei uns ein Grundrecht, aber jeder muss lernen, damit umzugehen und wissen, dass zur Freiheit auch persönliche Verantwortung gehört. Zu sagen, das sei überflüssig, weil das Grundgesetz doch für alle gelte, ist naiv. Wer seine Rechte und seine Pflichten nicht kennt, wird immer ein Mündel bleiben.

Das bedeutet aber auch, dass sich die europäische Gesellschaft klar werden muss, was sie will. Ein Staat definiert sich nicht nur dadurch, dass er seine eigenen Grenzen sichert, sondern die Gesellschaft im Zusammenleben Grenzen vereinbart und durchsetzt. Es sind Regeln und Werte, die uns selbst gelegentlich allzu selbstverständlich erscheinen und die für viele Neuangekommene neu sind.

Das heißt auch, zu gewährleisten, dass zugewanderte Frauen vor der Unterwerfung unter die Autorität der Männer, vor Früh- und Zwangsheirat, vor Genitalverstümmelung oder anderen ihre Menschenwürde und Unversehrtheit betreffende Gefahren geschützt werden. Es muss verhindert werden, dass Frauen in Flüchtlingsunterkünften sexueller Gewalt ausgeliefert sind oder von Männern daran gehindert werden, die Unterkünfte alleine zu verlassen oder wenn, nur in männlicher Begleitung.

In islamischen Gesellschaften sozialisierte Männer und Frauen legen ihre Vorstellung von der Ungleichwertigkeit der Geschlechter nicht ab, wenn sie die europäische Grenze überschreiten. Um die drohende Zunahme der Parallelgesellschaften zu verhindern und sie insgesamt zu minimieren und schließlich ganz abzubauen, ist es Aufgabe des Aufnahmelandes, die ausnahmslose Gleichstellung der Geschlechter einzufordern.

Für die Migrations- und Genderforscher könnte diese Debatte um Gleichberechtigung und Kulturdifferenz einen heilsamen Kulturschock auslösen. Aber um das Gleichnis aus Bibel und Koran vom Kamel und dem Nadelöhr zu bemühen – eher integrieren sich die Muslime, als dass die Gender- und Migrationsforschung ihren Irrtum eingesteht. (Necla Kelek, 4.3.2016)