Die Schrifstellerin Karen Duve: "Gleichheit heißt 50:50."

Foto: Kerstin Ahlrichs

STANDARD: In Ihrem Buch "Warum die Sache schiefgeht" machen Sie Männer in Führungspositionen für Kriege und Klimawandel verantwortlich. Warum halten Sie Frauen für die besseren Menschen?

Duve: Individuell leiste ich mir den Luxus zu schauen. Gut oder böse ist eine Frage des Charakters, nicht des Geschlechts. Aber jeder weiß, dass Gefängnisse voller Männer sind, und wenn irgendwo auf der Welt ein Wartehäuschen demoliert wird, dann wird im eigenen Kopf das Bild eines jungen Mannes auftauchen, nicht das einer alten Frau. Frauen sind nicht so schnell bereit, ethische Grenzen zu überschreiten.

STANDARD: Sie mussten in der Rezeption Ihres letzten Buches Kritik dafür einstecken, dass Sie Top-Managern psychopathische Eigenschaften zugeschrieben haben.

Duve: Ich sage gar nicht, dass alle Männer so sind. Ich sage nur, dass es mehr extreme Männer als extreme Frauen gibt. Diese Männer geben ein bestimmtes Bild an Männlichkeit vor. Ich glaube, dass die eine bestimmte Atmosphäre in Firmen vorgeben.

STANDARD: Ist die Quote eine Lösung?

Duve: Ja, weil es anders nicht funktioniert. Das gute Sachargument hat versagt, die Freiwilligkeit der Firmen auch. Gleichheit heißt 50:50. Es heißt "mehr Gleichberechtigung", aber dann streiten sich die Leute, ob die Quote nun bei 20 oder 25 Prozent liegt. Das zeigt, wie sehr wir Gleichheit noch für eine Zumutung halten.

STANDARD: Das führt zu Ihrem neuen Roman "Macht": Hamburg 2030, der Staatsfeminismus ist am Ruder, was aber am bevorstehenden Untergang nicht mehr viel ändert. Können auch Frauen die Welt nicht mehr retten?

Duve: Es wäre wenigstens einen Versuch wert. Ob Frauen es dann können oder nicht, ob wir schon viel zu tief drinstecken oder nicht, das würden wir dann sehen. Mit dem neoliberalen Kapitalismus haben wir uns in eine Sackgasse manövriert. Wenn es so weitergeht, wird die Sache garantiert schiefgehen. Aber ich habe in meinem Buch kein Szenario entworfen, das ich für sehr wahrscheinlich halte, sondern eines, das mir passend erschien, um die Geschichte zu erzählen, die ich erzählen wollte.

STANDARD: Wie hat sich der Plot entwickelt?

Duve: Ich wollte schon lange eine Geschichte erzählen, in der ein Mann eine Frau im Keller gefangen hält, inspiriert von der Kampusch- und Fritzl-Geschichte in Österreich. Wobei mich daran weniger das Abgründige interessiert hat als die Frage, wo es Überschneidungen mit Verhaltensweisen gibt, die nicht tabuisiert sind. Wo liegt das Normale im Unfassbaren? Und: Ich wollte meinen Roman in der nahen Zukunft spielen lassen. Ich war neugierig: Wie sieht das aus, wenn wir tatsächlich eine 50-Prozent-Frauenquote hätten? Wo wäre der Punkt, an dem Männer sagen, das haben wir uns anders vorgestellt. Es ist eben etwas anderes, sich für Gleichheit einzusetzen oder die Folgen dieser Gleichheit dann aushalten zu müssen.

STANDARD: Wie ging es Ihnen, so brutale, explizite Szenen zu erfinden und zu schreiben?

Duve: Ich bin glücklich, wenn mir Formulierungen glücken. Natürlich lebe ich in dem Jahr, in dem ich so ein Buch schreibe, auch innerhalb dieser Geschichte, aber während ich schreibe, ist es mehr eine Frage der Konzentration und weniger des Mitgefühls. Schlecht geht es mir eher in der Phase des Recherchierens, wenn ich etwa das Manifest des norwegischen Amokläufers Breivik lese.

STANDARD: Haben Sie jemals Angst vor einer falschen Lesart Ihres Buches? Leute, die sich das mit Vergnügen reinziehen.

Duve: Ich weiß einfach, dass es das gibt und dass ich dagegen nichts machen kann. Ich hab mir allerdings Mühe gegeben, den Kreis, der das ansprechend finden könnte, möglichst klein zu halten, dass es nicht allzu viele prickelnd finden.

STANDARD: Es ist auch Macht, wenn man als Autorin eine Figur entwirft, wie Sie Ihren männlichen Protagonisten Sebastian. Stellen sich da Machtgefühle ein?

Duve: Ja, schon. Gerade am Beginn eines Buches hat man ein starkes Gefühl von Kontrolle und Schöpfung, weil man etwas erschafft. Aber der Zahn wird einem schnell gezogen, weil es immer einen Punkt gibt, an dem die Figuren ein Eigenleben entwickeln und sich dieser totalen Kontrolle entziehen. Ich schaffe zuerst immer die Geschichte und erst dann die Charaktere. Und manchmal passe ich zu wenig auf und merke, dass der Charakter dann das, was ich mir vorgestellt habe, so nicht machen kann. Ich muss dann ein bisschen flexibel sein.

STANDARD: Das Selbstbild Ihres männlichen Protagonisten, der ja seine Ex-Frau im Keller gefangen hält und quält, ist ja intakt, er glaubt sich selbst, dass er kein Unmensch ist. Ist das etwas typisch Männliches oder überhaupt etwas Menschliches?

Duve: Jeder will von sich selbst ein gutes Bild haben, aber man kommt immer wieder in Situationen, in denen man weiß, dass das nicht gut ist. Dann steht man vor der Wahl, es entweder sein zu lassen, um das gute Bild von sich zu behalten, oder – und das ist der häufigere Weg – beginnt, die Wirklichkeit für sich umzudeuten, um das zu kriegen, was man haben will. Die Frau zu quälen, weil man sadistisch ist. Aber man sagt: Ich mache das gar nicht aus Sadismus, sondern will, dass sie mich respektiert. Man redet sich das schön. So etwas kennt jeder aus seinem Bereich.

STANDARD: Man könnte schon sagen: In Ihrem Buch geht es um einen Kampf der Geschlechter bis zum bitteren Ende ...

Duve: ... Moment, jetzt mal langsam. Ich höre das immer wieder: "Kampf der Geschlechter". Diese Frau sitzt angekettet im Keller. Das ist ein bisschen so, als würde man sagen: Kindesmisshandlung ist Generationenkonflikt. Der Mann hat vielleicht die Wahrnehmung: Kampf der Geschlechter, aber in Wahrheit sitzt da eine Frau im Keller. Die sind getrennt und die will gar nichts mehr von ihm. Und er kann das einfach nicht aushalten, auch nicht, dass sie unabhängig ist, und so sorgt er dafür, dass sie das nicht mehr ist, und redet dann ständig von einem Kampf der Geschlechter. Der empfindet das ja schon als Angriff, wenn eine Frau mit ihm eine Beziehung auf Augenhöhe versucht.

STANDARD: Die Tatsache, dass diese Ex-Frau einen erfolgreichen Job als Ministerin hat ...

Duve: ... ist schon ein Angriff. Klar gibt es diesen Kampf zwischen zwei Menschen. Aber generell finden viele Männer etwas als Angriff, das gar kein Angriff ist. Jemand verfolgt sein eigenes Leben, schon heißt es: Wieso kümmert die sich nicht mehr um mich?

STANDARD: Was wünschen Sie sich von Frauen?

Duve: Dass sie sich politisch mehr einbringen. Es ist schön und gut, seine Kinder zum Flötenunterricht zu fahren und für alle da zu sein und alle zu pflegen. Aber im Moment wäre es wichtig, politisch Einfluss zu nehmen, auch um damit die Zukunft unserer Kinder zu sichern.

STANDARD: Die Diskussionen über die Übergriffe auf Frauen in der Silvesternacht in Köln sind oft eigenartig verlaufen, vor allem auch zwischen den Geschlechtern. Was war da los?

Duve: Ich habe das alles bis heute nicht ganz verstanden. Zunächst ging es ja um eine "Inländerfeindlichkeit", die da passiert ist. Mir fehlen da auch Fakten, aber es gibt sicher eine Krise, in der der muslimische Mann steckt. Der kommt aus einer traditionell religiösen Gesellschaft und hat sicher ein Problem mit emanzipierten Frauen oder schon alleine mit Frauen, die selbstständig durch einen Bahnhof laufen. Es war ja kein Feministinnen-Aufmarsch, der ihre Wut erweckt hat, sondern einfach die Präsenz von nicht zugehängten Frauen.

STANDARD: Es ist ein großes Thema, dass jetzt vor allem viele junge muslimische Männer bei uns landen. Wie ihnen begegnen?

Duve: Das ist nicht unproblematisch, aber es ist zu schaffen. Ich glaube, dass Menschen flexibler sind, als man denkt. Bei uns sah vor 40 Jahren auch noch vieles anders aus. Seit kurzem haben wir hier ein paar Werte, die wir als selbstverständlich ansehen, die es aber noch keinesfalls sind. Werte, die für andere Menschen noch gar nicht so selbstverständlich sind wie für uns. Wir müssen vermittelt, dass wir diese Werte eingehalten sehen wollen, dass es hier Gleichberechtigung gibt und dass ein Nein nein heißt. Dass Frauen als öffentliche Personen auftreten können und sich frei bewegen dürfen. Diejenigen, die sich jetzt am meisten darüber aufregen, sind ja Gruppen, die diese Themen, dass Frauen wieder an den Herd sollen, selber auf der Agenda haben. Es ist ärgerlich zu sehen, wie diese Gruppen das für sich benutzen.

STANDARD: Welche Intention hat Ihr Buch?

Duve: Die Welt zu retten (lacht). Mein Buch Warum die Sache schiefgeht war ja eigentlich die Recherche zum Roman. Um den Roman nicht zu überfrachten, habe ich die Fakten in das Sachbuch ausgekoppelt. So konnte ich den Roman viel befreiter schreiben und stand nicht unter Zwang, eine Zukunft zu entwerfen, die am wahrscheinlichsten ist, sondern eine, die mir in den Kram gepasst hat, wo ich viel aufzeigen konnte über das Verhältnis zwischen Männern und Frauen. (Mia Eidlhuber, 13.3.2016)