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Es ist ein Kreuz: Edgar Selge als François in Hamburg.


Foto: Scholz/dpa

Hamburg – Etwas wirr die Frisur, auch der beige Anzug sitzt nicht. Doch schon bei seinem ersten Auftritt hat der verlegen lächelnde Mann Zuneigung gewonnen: François, ehemals Professor für französische Literatur. Edgar Selge spielt ihn im Deutschen Schauspielhaus, aber vielleicht auch den Autor Michel Houellebecq oder gar sich selbst, ganz klar ist das nicht. In der Fassung für das Schauspielhaus Hamburg von Rita Thiele und Karin Beier wird Houllebecqs Roman nur aus seiner Perspektive als fast dreistündiger Monolog gezeigt. Niemals erscheint ein Dialogpartner. Der Akademiker? Ein Entertainer.

Es ist nicht leicht, für Unterwerfung in Hamburg Karten zu bekommen, die Vorstellungen sind auf lange Zeit ausverkauft, und jedes Mal werden Edgar Selge Ovationen dargebracht. Man hört François gerne zu, seinem Sarkasmus, wenn er über Kollegen und deren Karrieren herzieht, manchmal voll beißender Schadenfreude, seine sexuellen Erfolge prahlerisch erläuternd, dann wieder selbstmitleidig-weinerlich.

Freunde, meint er, habe er nicht und brauche sie auch nicht, aber gerade in seiner Isolation ist er argwöhnisch und dadurch hellsichtig geworden. So spürt er die gesellschaftlichen Umbrüche auch genauer, um die die Medien einen Bogen zu machen scheinen. 2022 ist im Roman ein Bürgerkrieg zwischen Front National und Einwanderern ausgebrochen.

Frauen zurück an den Herd

Michel Houellebecqs Zukunftsvision eines von einem muslimischen Präsidenten regierten Frankreich ist keine soziologische Analyse, sondern eine überzeichnete Beschwörung. Die neue islamische Partei, die in Koalition mit den Katholiken regiert, ist ja in Houellebecqs Satire sehr erfolgreich und vor allem auf das Bildungswesen und die Rückführung der Frau an den Herd konzentriert. Das wirkt im Roman bisweilen kabarettistisch überzeichnet, doch als theatralische Satire durchaus einleuchtend, ja sogar die Polygamie und die drei Ehefrauen, die die islamische Universität zusätzlich zum hohen Gehalt ihren Professoren verspricht. Selge hat sich die Salbe, mit der er zunächst seine eitrigen Füße behandelte, ins Gesicht geschmiert: Er ist zum Clown geworden.

Verblüffend, wie abwechslungsreich der lange Abend von Karin Beier inszeniert ist. Er wird teils mit Chansons von Michel Houellebecq unterlegt. In die schwarze Wand ist auf der Bühne von Olaf Altmann ein Kreuz eingelassen, das sich immer wieder dreht und in das sich François oft mit Mühe hineinstemmt. Auch Einkäufe vom Supermarkt bringt er dorthin. Das Kreuz dient als Hinweis auf die Konversion vom Unglauben zum Glauben, von der Dekadenz zur Religion.

Der Clown François ist weder islamophob noch islamophil, er staunt über die Karriere des islamischen Universitätspräsidenten und wundert sich über den klugen Humanismus des Staatspräsidenten. In den letzten drei Minuten des Abends rückt das Kreuz in den Hintergrund, verschleierte Frauen räumen auf, und die Feier einer Konversion zum Islam wird ausgemalt. "Ich hätte nichts zu bereuen", ist dazu François' letzter Satz im Buch und im Theater. Aber dieser Satz steht im Konjunktiv und ist vermutlich ironisch gemeint. (Bernhard Doppler, 19.2.2016)