Femke van den Driessche hat mehr als nur Muskelkraft.

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Wien – Als seit 20 Jahren im Radsport wirkender Funktionär hat Rudolf Massak verinnerlicht, dass alles, was möglich scheint, auch ausprobiert wird. "Solange Menschen am Werk sind, kann man gar nichts ausschließen", sagt der Generalsekretär des österreichischen Radsportverbandes (ÖRV).

Femke van den Driessche hat ihn am vergangenen Samstag bestätigt. In der Box der 19-jährige Belgierin war im U23-Rennen der Querfeldein-WM von Zolder ein Rad gefunden worden, das über einen Hilfsmotor verfügte. Das Rennen selbst hatte Van den Driessche wegen eines Defekts aufgeben müssen. Sie gab an, einer der Mechaniker habe das manipulierte Rad für ihres gehalten, tatsächlich gehöre es einem Trainingspartner. "Es war alles ein großer Irrtum, ich bin sehr geschockt", so Van den Driessche. Allein den Adressaten ihrer Beteuerungen fehlte der Glaube. "Es ist absolut eindeutig, dass ein technischer Betrug vorliegt", sagte Brian Cookson, der Präsident des Radsportweltverbandes UCI.

Geldstrafe von bis zu 180.000 Euro

Der Athletin drohen eine sechsmonatige Sperre und eine Geldstrafe von bis zu 180.000 Euro. Der belgische Verband ging in Person von Nationaltrainer Rudy de Bie ("Ich bin angewidert") aus gutem Grund auf Abstand, könnte doch auch dem Verband eine empfindliche Geldstrafe blühen.

Im Unterschied zum herkömmlichen Doping, also dem Tunen des Athleten selbst, dem die UCI einfach nicht Herr wird, sieht sich der Verband in puncto Technik-Doping noch nicht geschlagen. Seit dem Vorjahr wird stichprobenartig kontrolliert, seit diesem Jahr sind drakonische Strafen ausgelobt. Auslöser war ein Vorfall bei der Vuelta 2014.

Ryder Hesjedal stürzte während einer Abfahrt der siebenten Etappe. Ehe der Kanadier sein Arbeitsgerät einfangen konnte, drehte sich das Rad auf dem Asphalt liegend, anscheinend von der Kurbel angetrieben, im Kreis. Die Szene wurde dem Profi nicht zum Verhängnis, aber ein Youtube-Hit. Hesjedal nannte die Vorwürfe "lächerlich".

Das Rad von Ryder Hesjedal machte sich bei der Vuelta selbständig.
MicheleBufalinoCycling

Zum nun offenbar ersten nachweisbaren Fall von Technik-Doping ließ die Gazzetta dello Sport einen anonymen Experten zu Wort kommen, der von elektromagnetisch angetriebenen Hinterrädern berichtet – angeblich der letzte Schrei, allerdings mit Kosten von rund 200.000 Euro für einen Leistungsschub von 20 bis 60 Watt eher nicht in Reichweite eines Talents, als welches Van den Driessche bis Samstag galt.

Nichtsdestotrotz soll der geheimnisvolle Guru auf diesem Sektor in den vergangenen Jahren insgesamt 1200 seiner Zusatzantriebe in Italien verkauft haben: "Mit Elektrizität kann man größere Wunder bewirken als mit Chemie. Außerdem ist sie weniger schädlich für die Gesundheit."

Deutlich kostengünstiger, aber ausdrücklich nicht für Radsportler mit krimineller Energie stellt die Wörgler Firma vivax Assist einen Leichtantrieb für Fahrräder her. Der durch eine Taste am Lenker zuschaltbare Motor wird im Sattelrohr untergebracht und leistet 110 Watt, der Akku findet in der Satteltasche Platz. Kostenpunkt: 2699 Euro ohne Einbau.

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In aller Munde war die Innovation 2010, als Fabian Cancellara während des Klassikers Paris-Roubaix eine Attacke ritt, die übermenschlich schien. Dem Schweizer konnte nichts nachgewiesen werden. Und die Tiroler verweisen darauf, dass sie keinen Einfluss darauf haben, was mit ihren Motoren passiert.

Dass Händler versucht haben, den Antrieb unsichtbar zu verbauen, ist Geschäftsführer Dido Kopp bekannt. Und dass ihn Rennsportler für Trainingszwecke nutzen. Missbrauch sei vorstellbar: "50 Watt entscheiden auf diesem Niveau zwischen Sieg und Niederlage." Der Betrugsnachweis, sagt ÖRV-General Massak, sei in Zeiten elektronischer Schaltungen schwer: "Ein paar Kabel fallen gar nicht auf. Und das Rollgeräusch von Carbonrädern ist deutlich lauter als jeder Motor." (Sigi Lützow, 1.2.2016)