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Bleiben leistungsschwache Schüler unter sich, ziehen sie sich gegenseitig weiter hinunter, sagen Experten.

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Schwierige Aufgaben haben nicht nur die Schüler, sondern auch die Experten der Reformkommission zu lösen.

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In genau sechs Wochen soll die rot-schwarze Bildungsreform präsentiert werden – so wurde es zumindest angekündigt. Und einen Rückzieher wird sich die Regierung derzeit nicht leisten können. Mit gemeinsamen Antworten auf die großen Bildungsfragen scheinen sich die Koalitionäre allerdings bis zur Stunde schwerzutun. Selbst an der eigens eingerichteten Reformkommission beteiligte Akteure sind skeptisch, ob am Stichtag – 17. November – ein großer Wurf gelingt.

Eines der innenpolitischen Dauerstreitthemen ist die Gesamtschule. Nachdem der schwarze Westen das eigentliche Herzstück roter Bildungsideologie für sich entdeckt hat, wird von dort nicht nur politisch Druck ausgeübt, inzwischen kann man erste Ergebnisse eines Schulversuchs vorlegen. "Während andere diskutieren, haben wir das Thema als Einzige in die Hand genommen", sagt Tirols zuständige Bildungslandesrätin Beate Palfrader (ÖVP).

Ziele derzeit nicht umsetzbar

Seit einem Jahr ist das Zillertal nun eine sogenannte Modellregion für die gemeinsame Schule der Zehn- bis Vierzehnjährigen. "Der Weg ist noch nicht zu Ende, aber ich bin sehr zufrieden, es wurde ein innovatives Konzept entwickelt und umgesetzt", sagt Palfrader. Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) wollte sich trotz mehrfacher Nachfrage nicht zum Schulversuch äußern und lässt nur so viel ausrichten: "Die großen Autonomiefragen werden Teil der Bildungsreformkommission sein."

Der Westen hat längst konkrete Wünsche an den Bund. Die Zillertaler Modellregion umfasst sieben Neue Mittelschulen, aber kein Gymnasium. Kritiker sagen: Dadurch ist der Pilotversuch hinfällig, man habe dem bestehenden System einfach einen neuen Namen gegeben. Palfrader entgegnet: "Die Bundesgesetze lassen nicht mehr zu" – um ein Gymnasium in den Verbund zu holen, müssen derzeit zwei Drittel der Lehrer und Eltern zustimmen, woran man in Innsbruck gescheitert ist.

Ausnahmen nötig

"Solange es keine Ausnahmen gibt, können die Ziele weder in Vorarlberg noch in Tirol umgesetzt werden", sagt Palfrader. "Ich appelliere auch an meine eigenen Parteikollegen, sich endlich auf den Versuch einzulassen, damit wir Ergebnisse vorlegen können, mit denen man arbeiten kann."

Die Bilanz nach einem Jahr gemeinsame Schule im Zillertal: Es ist kein Kind aus dem Projekt ausgestiegen, 93 Prozent der Schüler in der Region besuchen eine der sieben Neuen Mittelschulen im Verbund. Aufbauend auf dem bestehenden Lehrplan, werde in der Modellregion zusätzlich eigenständiges Lernen und Arbeiten, der Aufbau persönlicher Kompetenzen wie Selbstbewusstsein und Reflexionsfähigkeit sowie die Einbeziehung der Eltern gefördert. Die dort angestellten Lehrer müssen spezielle Fortbildungskurse besuchen.

Starke Aufsplittung

Erziehungswissenschafter Ferdinand Eder sieht in der Debatte über die gemeinsame Schule "inhaltlich keine Fragen offen". Wie dieses Schulsystem funktioniert, sei klar. Trotzdem hält er Modellregionen für die Gesamtschule zur Klärung struktureller Fragen für sinnvoll.

Derzeit müssen sich Zehnjährige nach der Volksschule für das Gymnasium oder die Neue Mittelschule entscheiden, dies ergebe eine starke Aufsplitterung nach Intelligenz und sozialen Schichten. Bei der Gesamtschule fällt diese Trennung weg. Deshalb warnt Eder davor, erst recht wieder eine A-Klasse für die besonders guten und eine B-Klasse für die schlechteren Schüler einzurichten. Es sei erwiesen, dass leistungsschwache Schüler, wenn sie gemeinsam in einer Gruppe sitzen, einander "runterziehen".

"Ethische" Bildungsprobleme

Dieser Effekt gilt allerdings auch für die andere Richtung: Gruppen leistungsstarker Schüler werden noch besser. "Das ist ein ethisches Problem, mit dem sich die Bildungspolitik auseinandersetzen muss", sagt Eder. Der Erziehungswissenschafter schlägt eine "faire" Aufteilung der Schüler vor. Diese könne sich etwa an den Leistungen aus der Volksschule und dem Beruf der Eltern orientieren.

Ziel sei auch in Tirol ein Modell "für alle Schüler". "Kein Mensch will Einheitsbrei, die gemeinsame Schule ist eine Möglichkeit, der fortschreitenden Entfremdung gesellschaftlicher Klassen entgegenzuwirken", sagt Palfrader.

Ob im November neue Ideen für die Gesamtschule präsentiert werden, ist derzeit unklar. Die Grünen haben für heute, Dienstag, jedenfalls eine Sondersitzung einberufen – ein "Weckruf" in Sachen Bildungsreform. Sie fordern unter anderem, Gesamtschulpilotversuche per Verfassung möglich zu machen. SPÖ-Klubchef Andreas Schieder kündigte am Montag an, bildungspolitisch nicht "weiterwursteln" zu wollen. Vorstellbar seien für ihn die Abschaffung der Landesschulräte und mehr Gestaltungsspielraum für Schulen, er poche jedoch auf ein Ende der "verewigten Schulversuche". (Lisa Kogelnik, Katharina Mittelstaedt, 6.10.2015)