Bild nicht mehr verfügbar.

Ein katalanisches Flaggenmeer.

Foto: REUTERS/Albert Gea

Im November vergangenen Jahres hat das spanische Verfassungsgericht auf Klage der Zentralregierung ein von Kataloniens Regierungschef Artur Mas geplantes Unabhängigkeitsreferendum ausgesetzt. Mas umging das Verbot, indem er das Referendum in "Bürgerbeteiligungsprozess" umbenannte und dennoch stattfinden ließ. Deswegen steht Mas am Donnerstag gemeinsam mit der stellvertretenden Ministerpräsidentin Joana Ortega und der regionalen Bildungsministerin Irene Rigau vor Gericht.

Bei der regionalen Parlamentswahl in Katalonien am 27. September verlief verfassungsrechtlich hingegen alles ordnungsgemäß. Die Unabhängigkeit war auch hier zentrales Thema. Die Wahl wurde vorab als historische Weichenstellung für einen Unabhängigkeitsprozesses gedeutet, die sezessionistischen Parteien gewannen mit knapper Mehrheit.

STANDARD-Korrespondent Reiner Wandler stellt sich hier den Fragen der Userinnen und User rund um die Unabhängigkeitsbestrebungen der wohlhabendsten Region Spaniens.

"Seit wann ist Katalonien Teil Spaniens, und wann war es schon einmal unabhängig?" Diese und ähnliche Fragen finden sich vielerorts in unseren Foren.

Reiner Wandler: Spanien war bis zum Erbfolgekrieg eine Doppelmonarchie aus dem Königreichen Kastilien und Aragón, das neben dem heutigen Katalonien einen Großteil der ostspanischen Mittelmeerküste sowie die Balearischen Inseln umfasste. Das 1162 entstandene Königreich Aragón vereinigte sich 1516 mit Kastilien zur spanischen Krone, behielt aber bis zum Erbfolgekrieg seine alten Freiheiten. Während Kastilien sich auf die Seite der Bourbonen schlug, verteidigte Aragón die Habsburger-Dynastie. Nach der Niederlage der Habsburger wurde Spanien endgültig zu einem einzigen Königreich. Die letzte große Kriegshandlung war die Belagerung der Stadt Barcelona, die sich am 11. September 1714 ergab. Das Datum ist heute der katalanische Nationalfeiertag.

Tatsächlich hatte Katalonien anders als Kastilien die Cortes, ein Parlament, in dem Kirchenvertreter, Adlige, Militärs und die freien Städte saßen. Diese Kammer hatte, ähnlich wie in England, gewisse gesetzgeberische Befugnisse. Hinzu kam eine weitgehende Selbstverwaltung der Städte. Für Josep Fontana, einen der wichtigsten katalanischen Historiker, der von der Autonomieregierung mit den höchsten Auszeichnungen bedacht wurde, war Katalonien damit ab dem 13. Jahrhundert "eines der am meisten fortgeschrittenen Systeme Europas".

Ebenso drehen sich die Diskussionen immer wieder um die Frage, welcher Natur der katalanische Nationalismus ist. "Kleinkariert und fremdenfeindlich" oder "weltoffen und inklusiv"?

Reiner Wandler: Nationalismus ist immer kleinkariert und meist auch feindlich gegenüber dem anderen. Da ist auch der katalanische Nationalismus keine Ausnahme. Er akzeptiert die anderen, sofern sie sich assimilieren. Das gilt zumindest für die Linksnationalisten.

Ausführlicher behandelt Wandler die Thematik in seinem Artikel: Der Wunsch der Katalanen nach Unabhängigkeit

Reiner Wandler: Auch ein Teil Frankreichs wird als Katalonien gesehen. Die Nationalisten sind dort sehr aktiv, vor allem auf kultureller Ebene, auch die Generalitat, die Autonomieregierung Kataloniens, investiert dort in kulturelle Events.

Kurz nach dem Wahlabend ist vom "zweigeteilten Katalonien" die Rede gewesen. Demnach lägen in den Städten die Unabhängigkeitsbefürworter vorne, in den Vorstädten und auf dem Land die Gegner. Stimmt das? Und wie kommt es zu so einer klaren Polarisierung zwischen urbaner und eher ländlicher Bevölkerung?

Reiner Wandler: In den Städten kommt es auf die Stadtteile an. Vor allem in Barcelonas Vororten und Arbeitervierteln leben viele Einwanderer aus dem restlichen Spanien, sie sind mehrheitlich gegen eine Unabhängigkeit. Auf dem flachen Land und in den kleinen Städten überwiegen die Befürworter der Unabhängigkeit.

User AnyGivenSunday fragt:

Reiner Wandler: Linksnationalisten muss es wohl heißen. Sie hoffen auf eine Loslösung von Spanien, das ihnen als rückschrittlich und als Erbe des Franquismus gilt. Sie erhoffen sich, in einem unabhängigen Katalonien tonangebend zu sein und so eine sozialere Republik schaffen zu können.

Die Auswirkungen einer Abspaltung auf Spanien und die Konsequenzen auf europäischer Ebene interessieren User Moritz Westerwald:

Reiner Wandler: Katalonien stellt 20 Prozent des BIPs Spaniens bei 16 Prozent der Bevölkerung. Ginge Katalonien, würde das das restliche Spanien ärmer machen.

"Die Drohungen von Madrid bezüglich EU-Mitgliedschaft sind ärgerlich, da man dafür selbstverständlich leicht eine Lösung finden würde, wenn man nur wollte", schreibt User Plus Lucis. Gemeint sind neben der EU-Mitgliedschaft auch die Reisefreiheit, der Warenverkehr, der Euro. Ist das alles nur Angstmache des Nein-Lagers oder berechtigte Sorge? Wie schnell könnte Katalonien als neuer Staat in die EU integriert werden?

Reiner Wandler: Das lässt sich nicht sagen, da es bisher keinen Fall von Abspaltung innerhalb der EU gibt. Vorgesehen ist so etwas nicht. Katalonien hätte allerdings ein Problem. Es hängt am Tropf, will heißen, ist unter dem innerspanischen Rettungsschirm. Regionalanleihen werden auf Ramschniveau gehandelt (Rating). Ein unabhängiges Katalonien hätte zwar mehr Steuereinnahmen, da es nichts mehr abführen muss, aber auch mehr Ausgaben für eigene Armee, eigene Renten- und Sozialversicherung, größeren Verwaltungsapparat et cetera – bei schwererem Zugang zu den Finanzmärkten.

User ELSeisi weist darauf hin, dass die vergangene Wahl eine Umdeutung erfahren hat, zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung:

Reiner Wandler: Die Nationalisten (CiU und ERC) haben sich auf Drängen von separatistischen Bürgerinitiativen zu einer gemeinsamen Liste (Gemeinsam für Ja) zusammengeschlossen mit dem einzigen gemeinsamen Punkt: Ja zur Unabhängigkeit. Diese Strategie ist die Antwort auf die Weigerung Madrids, ähnlich wie in Schottland ein Referendum zuzulassen.

User Impertinentis hat bezüglich des spanischen Fußballs eine böse Vorahnung:

Reiner Wandler: Ja, natürlich. Für den FC Barcelona wäre eine Unabhängigkeit ein zweischneidiges Schwert. Zum einen steht der Klub fest hinter der Bewegung, zum anderen möchte Barça natürlich nicht aus der spanischen Liga ausscheiden, denn gegen Lleida oder Girona zu kicken ist nicht wirklich lukrativ und wäre das Ende der vollen Kassen und damit der großen Spielernamen. Deshalb reden die Katalanen davon, dass Barça ähnlich wie Monaco behandelt wird. Monaco spielt in der französischen Liga, Barça würde in der spanischen bleiben, sofern die Spanier das wollen. (Reiner Wandler, ugc, 15.10.2015)