Dass Russland seinen militärischen Einsatz in Syrien aufstockt, stellt den Westen, der seit 2011 Bashar al-Assads Abgang verlangt, vor ein gewaltiges Dilemma. Hinter der moralischen Empörung versteckt sich Konzeptlosigkeit – und das nahende Scheitern des Versuchs, sowohl Assad als auch die Jihadisten des "Islamischen Staats" und Al-Kaidas gleichermaßen einzudämmen. Aber das Risiko, dass eine der beiden Seiten die Oberhand gewinnt, war immer vorhanden. Ohne russische und iranische Hilfe für das Regime wäre die Entscheidung wohl schon gefallen.

Dem Westen stellt sich die Gretchenfrage, wie man sich zur Aufstockung positionieren soll: Richtet sie sich gegen den "Islamischen Staat", oder kämpfen die Russen doch nur für Assad und ihren eigenen strategischen Fuß in der Nahost-Tür? Die erste Interpretation würde zumindest eine Duldung möglich machen, über den Nebeneffekt könnte man hinwegsehen. Die zweite bedeutet eine weitere Verschlechterung des Verhältnisses zu Moskau. Die "Unfall"-Gefahr wächst ohnehin, wenn die Russen militärisch engagiert sind, wo immer mehr Nato-Staaten Einsätze fliegen.

Assad kontrolliert nur mehr ein Viertel des Landes. Wenn Wladimir Putin zu seiner Rettung eilt, hätte er auch das Druckmittel, ihn zu einem politischen Prozess zu zwingen, der zwar nicht sofort, aber doch zum Rückzug des Regimes führt. Man wird ja wohl noch träumen dürfen. (Gudrun Harrer, 11.9.2015)