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Ein Deserteur mit Gönnerin: Felix (Nils Rovira-Munoz) und die Baronin Vittoria Pisani (Adele Neuhauser) im Wiener Volkstheater.

Foto: APA/Hochmuth

Wien – Der Gleichschritt widerstrebt Felix Golub (Nils Rovira-Munoz) schon seit Kindertagen. So sehr wie ihm der Gedanke unerträglich ist, als Kanonenfutter im Feld zu dienen. Er desertiert wenige Monate vor Kriegsende 1945 und begibt sich damit außerhalb des Systems. Wer aber der Gemeinschaft den Rücken kehrt, so exemplifiziert es Gerhard Fritsch in seinem Heimkehrer-Roman Fasching, wird umgehend zum Freiwild. Denn Felix Golub muss in Frauenkleidern fliehen. Die Baronin und Generalswitwe Vittoria Pisani (mächtig: Adele Neuhauser) drapiert den bleichen Jüngling als Hausmädchen und erklärt ihn zu ihrem Liebhaber. Selbst als Golub in seiner Maskerade zufällig zum Helden wird, die Stadt befreien hilft, stimmt das die Meute nicht ruhig.

Atemloses Stück Literatur

Stieß der Roman durch seine im Erscheinungsjahr 1967 als grotesk empfundene Travestie-Thematik noch auf Ablehnung, so offenbart seine Wiederentdeckung durch Robert Menasse, dem die Neuauflage zu danken ist, ein atemloses, komplexes Stück Literatur, dessen diverse Ebenen der Maskierung es dem Theater geradezu anempfehlen. Es ist also ein fabelhafter Schachzug von Intendantin Anna Badora, mit diesem fast vergessenen Werk den Neuanfang am Wiener Volkstheater zu bestreiten (Bühnenfassung: Badora, Roland Koberg). Da gilt auch der Schönheitsfehler nichts, dass ein deutsches Theater, das Schauspiel Leipzig, wieder einmal schneller war und bereits im Vorjahr Uraufführung feierte.

Die Erschließung dieses Romans ist mit Badoras Inszenierung vorwiegend auf dem Papier erfolgt, von Wachküssen lässt sich schwerlich reden. Die Premiere am Samstagabend wurde freundlich bejubelt, blieb in ihrem Duktus allerdings betulich. Mechanisches Getöse ging jeweils dort los, wo keine Ideen vorhanden waren: Bekritzelte Vorhänge werden auf- und zugezogen, hereingeschobene Strichzeichnungen illustrieren Schauplätze (z. B. nackte Torsi das Miedergeschäft), ein Rahmengebälk rollt als Bühne auf der Bühne (Michael Simon) nach vor und zurück.

Auch mindern karikaturhafte Figuren die Wirkung dieses Aufrisses einer (latent faschistoiden) Mitläufergesellschaft. Am stärksten sind jene Rollen, die sich der Karikatur entziehen, wie jene von Felix' Freund und Fluchthelfer Raimund Wazurak (Stefan Suske).

Am allermeisten zehrt der dreistündige Abend (mit Pause gerechnet) von der Doppelbesetzung des Felix Golub. Seiner Fleisch-und-Blut-Version (Rovira-Munoz) steht ein Erinnerungs- und Gewissens-Ich in Form einer Puppe zur Seite (von und mit Nikolaus Habjan). Ihm gelingen die stärksten Momente. Die Klappmaulpuppe wirft bedrückte Blicke auf das grobschlächtige Getriebe dieser Nachkriegsgesellschaft, die an ihrem Deserteur, dem Verräter und ausgemachten Feigling, noch weiter Rache zu nehmen gedenkt. Denn wer andere schlechtmacht, behauptet seine eigene Position als die richtige.

Prinzessin und Cowboy

Am Heimkehrerball zur Faschingszeit küren die als ehrenwerte Bürger und Mitmenschen maskierten Funktionäre, die sich nun wiederum als Prinzessin oder Cowboy verkleidet haben (Christoph Rothenbuchner, Elena Schmidt, Thomas Frank, Christian Dolezal, Katharina Klar; Masken: Habjan), den Felix Golub zur Faschingsbraut Charlotte Weber, die er im Krieg schon einmal war. Da helfen auch die kalmierenden, opportunistischen Manöver seiner Braut (Stefanie Reinsperger, frischgekürte "Schauspielerin des Jahres" in der Fachzeitschrift Theater heute) nichts. Sie wollen ihn lynchen.

Von der unheimlichen Stimmung in dem aus atemlosen, gebrechenden Sätzen gebauten Roman ist auf der Volkstheaterbühne wenig zu spüren. Zu viel bleibt hohle Staffage. Dafür aber sieht nun ein jeder Besucher – dank einer ein wenig herzlos im Saal geparkten neuen Zuschauertribüne – das alles ganz genau. (Margarete Affenzeller, 7.9.2015)