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Facebook verdient an seinen vielen Nutzern – schützt sie jedoch nicht vor Hass.

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Facebook entferne "sämtliche Hassbotschaften", die Personen aufgrund ihrer Rasse, Ethnizität, Religion oder Herkunft angreifen. Auch die Hetze wegen sexueller Orientierung, der Geschlechteridentität oder Behinderung sei tabu, bestimmt das soziale Netzwerk in seinen Nutzungsbedingungen. Nach eigenen Angaben bemüht sich Facebook "sehr, Hassbotschaften zu entfernen".

Hass ist omnipräsent

Zehn Minuten reichen, um das Gegenteil zu beweisen: Mit wenigen Klicks kann sich jeder Facebook-Nutzer in eine Parallelwelt des Hasses begeben, in der tausende menschenverachtende Kommentare zu finden sind.

Gewalt wird offen verherrlicht.
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Wie Unkraut sprießen auf Facebook in den letzten Monaten Seiten und Gruppen aus dem Boden, die vorrangig und überwiegend der Hetze dienen. Sie tragen Namen wie "Patriota", "Stop Asylmissbrauch" oder "Islam gehört nicht zu Österreich (Europa)". Auf ihnen finden sich Beiträge, die man sich in ihrem Zynismus nicht vorstellen kann – und noch schlimmere.

Verschwörungstheorien en masse

Eine kleine Auswahl beliebter Theorien, die in den Gruppen massenhaft verbreitet werden: Die "Juden" seien für die hohe Anzahl an Flüchtlingen in Europa verantwortlich, weil sie über Strohfirmen verdeckt an Unternehmen beteiligt seien, die Asylwerber betreuen. Oder: Die CIA zahle Schlepper, um Flüchtlinge nach Europa zu bringen, um die EU so zu destabilisieren – damit die US-Wirtschaft weiterhin die Nase vorn hat. "Gutmenschen, die Asylwerbern helfen", wird offen ein schreckliches Schicksal gewünscht.

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Eindeutige Gewaltaufrufe sind an der Tagesordnung.
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Nazijargon, bewaffneter Widerstand

Widersprüche im eigenen Weltbild werden geflissentlich ignoriert: Die Asylwerber nähmen einerseits Einheimischen den Job weg, gleichzeitig beuteten sie den Sozialstaat aus. Flüchtlinge sorgten dafür, dass sich die Terrormiliz "Islamischer Staat" in Europa ausbreitet – dass die Asylwerber genau davor geflohen sind, ist egal.

Wer Flüchtlingen hilft, wird das bereuen – so die Botschaft.
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Offen wird mit Nazijargon ("Blut, Rasse, Ehre") hantiert, werden Flüchtlinge als Ungeziefer bezeichnet, wird sogar zum bewaffneten Widerstand aufgerufen.

Keine Reaktion auf Meldungen

Einen Tag später stehen die Hasspostings unverändert da. Zum Test werden einige Postings bei Facebook gemeldet, ebenso einige Gruppen. Mehr als eine Woche lang passiert nichts, das ist auch beim Redaktionsschluss für diesen Artikel noch so. Einzig die Gruppe "Kanacken raus aus Österreich", die monatelang offen hantieren durfte, verschwindet. Zurück zu den Nutzungsbedingungen: "Facebook bemüht sich sehr, Hassbotschaften zu entfernen."

Facebook gibt Anzahl der Mitarbeiter nicht bekannt

Zuständig für das Löschen hetzerischer Postings sind Community-Manager, die in der Europazentrale von Facebook sitzen. Sie befindet sich in Dublin und betreut neben EU-Staaten etwa auch den arabischen Raum. Gemeldete Hasspostings aus mehr als hundert Ländern werden in Dublin gesichtet, laut "Zeit" sollen es hunderttausende Postings pro Woche sein. Auf Nachfrage des STANDARD, wie viele Mitarbeiter sich um Deutschland, Österreich und die Schweiz kümmern, will Facebook keine Zahlen nennen.

Outsourcing

Nicht einmal eine ungefähre Angabe ist möglich. Insgesamt sollen mindestens 500 Personen in der Dublin-Filiale von Facebook tätig sein, die meisten davon beschäftigen sich jedoch mit Marketing, Werbung und Technik. Momentan hat der Konzern in Dublin fünf Positionen im Bereich Community-Management ausgeschrieben. Ein Großteil der gemeldeten Postings soll jedoch auch in Asien, etwa auf den Philippinen, landen, wo Community-Manager zu einem Bruchteil europäischer Gehälter "dafür sorgen, Nacktbilder und Enthauptungen aus deinem Facebook-Feed zu halten", wie "Wired" berichtete.

Freifahrtschein für geschlossene Gruppen

Facebook vertraut darauf, dass engagierte Nutzer die Inhalte selbst melden. Allerdings weichen Hetzer zusehends in geschlossene Gruppen aus, um "Spitzeln und Denunzianten", wie es im Rassistenjargon heißt, aus dem Weg zu gehen. Was passiert also, wenn in diesen geschlossenen Gruppen gehetzt wird? Die ernüchternde Antwort: nichts. "Facebook durchsucht geschlossene Gruppen nicht aktiv nach verbotenen Inhalten", heißt es auf Anfrage des STANDARD. Denn E-Mail-Anbieter würden den Schriftverkehr ihrer Nutzer auch nicht kontrollieren, sagt der Facebook-Sprecher. Allerdings haben Gruppen wie "Asylmissbrauch Stop Österreich" mehr als 6.200 Mitglieder.

Genügend Ressourcen vorhanden

Das Geld, um kräftig zu investieren, hätte Facebook auf jeden Fall: 719 Millionen Dollar Gewinn meldete Facebook im letzten Quartal. Das liegt auch daran, dass Nutzer lange auf der Plattform verweilen, da sie etwa in Diskussionen verwickelt sind. Das Entfernen von Inhalten würde das natürlich einschränken. Eine schmerzhafte Lektion musste Facebook vergangenes Jahr lernen, als Anhänger der Terrormiliz "Islamischer Staat" auf der mit 1,4 Milliarden Nutzern größten Plattform im Netz besonders aktiv wurden. Facebook hat es geschafft, die Terrorpropaganda durch eine – nach vielen Zurufen – verschärfte Gangart einzudämmen.

Facebook muss Verantwortung übernehmen

Beim Ausländerhass, der momentan europaweit seine hässliche Fratze zeigt, tappt Facebook jedoch in dieselbe Falle – und bleibt vorerst passiv. Der Staat kann Facebook zu nichts verpflichten: Laut Innenministerium gibt es zwar eine direkte Schnittstelle zu Facebook, um über Hetze zu informieren, über die Löschung muss das Unternehmen aber selbst entscheiden. Dass das ein Balanceakt bleibt, steht außer Frage: Oft teilen Nutzer etwa Hasspostings, um über diese kritisch zu diskutieren. Oft sind Videos mit Gewalt die einzige Chance, um auf Ungerechtigkeiten hinzuweisen. Doch Facebook muss Verantwortung übernehmen: als global agierender Konzern, der jährlich Milliarden verdient; und von sich selbst behauptet, zum Informationskanal Nummer eins werden zu wollen. (Fabian Schmid, 21.8.2015)