Eigentlich sind wir ja Läufer. Darum geht es hier sonst ums Laufen. Aber wenn man übers Laufen zum Helfen kommt und deshalb 700 Menschen an einem Sonntagnachmittag Spenden für Flüchtlinge in Traiskirchen in den Prater bringen, kann es hier auch mal um etwas Wichtiges gehen.

Was das mit Laufen zu tun habe, wurden wir in den Tagen davor immer wieder gefragt. Nix. Oder vielleicht alles: Christoph und ich kennen uns übers Laufen. Wir trainieren gemeinsam. Und reden auch miteinander. Zum Glück nicht nur übers Laufen. Manchmal wird uns dann gemeinsam schlecht. Etwa wenn Menschen vor unserer Haustüre mit nix im Dreck leben müssen – während wir das, was ihnen fehlt, beim Spaßhaben im Überfluss haben. Das habe ich hier vorige Woche erzählt.

Foto: Thomas Rottenberg

Als der Text und unsere Einladung zum Sammel-Treff am Sonntag am Stadionparkplatz online gingen, ging es rasch rund: Schon am am Donnerstag hatte Christoph ein paar Kofferräume Zeug bei sich daheim. Und als ich am Sonntag um 15:30 am Stadionparklpatz ankam, war schon Einiges los. Obwohl eigentlich 16 Uhr als Startzeit angegeben war.

Mehr noch: Als wir vorne, beim Würstelstand, ein paar Getränke holten, fragte der Standler, ob wir "die von der Caritas" wären – und zeigte dann auf einen kleinen Berg Taschen: "Die haben Leute gestern und heute bei mir abgegeben. Für wen ist das?"

Foto: Thomas Rottenberg

Eigentlich hatten wir nur um Taschen und Rucksäcke, Turnschuhe und Leiberln gebeten. Weil die Profis von der Caritas uns gebeten hatten, auf das hinzuweisen, was gerade am Dringendsten gebraucht wird. "Für Kinder und Frauen kommt rasch viel."

Unausgesprochener Nachsatz: "Und auch wenn wir um Anderes bitten, kommt meistens Frauen- und Kinderkleidung mit." Freilich: Die Berichte von Säuglingen, die von ihren Müttern nicht gestillt werden können und die Bilder von Babys, die im Dreck schlafen müssen, hatten viele Leute gesehen. Und niemanden kalt gelassen.

Foto: Thomas Rottenberg

Es war knapp nach 16 Uhr. Und trotzdem war allein der Berg mit dem Herrengewand schon so groß, dass Christoph froh war, bereits am Freitag einen zweiten LKW auf reserviert zu haben: Der Erste war uns von einem Etiketten-Unternehmen (www.ulrich.at auch wenn das Nennen keine Sekunde "part of the deal" war) zur Verfügung gestellt worden. Den zweiten würden wir zahlen.

Ganz ehrlich? Wir waren sprachlos. Schließlich hatten wir einfach nur aus Empörung darüber, dass es in einem der reichsten Länder Europas nicht möglich ist, dass Menschen, die nix außer ihr Leben gerettet haben, über Wochen hinweg nicht menschenwürdig versorgt werden können, gesagt, dass wir das nicht hinnehmen wollen. Können.

Aber: Wir sind keine Profis. Weder was Helfen noch was PR angeht. Sondern einfach zwei Läufer, die in ihrem Umfeld etwa tun wollten. Doch jetzt überrollte uns das Ding: Was als kleine, private Aktion entstanden war, wurde groß. Richtig groß.

Foto: Christoph Riedl--Daser

Es kamen immer mehr Menschen mit immer mehr Zeug. Klar machte uns das stolz. Aber auch wütend: Wenn zwei Hanseln, zwei Niemands, in drei Tagen 700 Menschen (so viele dürften es insgesamt mindestens gewesen sein) dazu bringen, an einem Sonntagnachmittag Spenden in den Prater zu schaffen – wie leicht müsste das für die sein, deren Job, Verantwortung und Aufgabe das eigentlich ist? Und: Nein, wir reden hier nicht von Hilfsorganisationen.

Foto: Thomas Rottenberg

Was Caritas & Co leisten, konnten wir an diesem Sonntag ansatzweise nachvollziehen: Aufrufen ist das Eine. Sortieren, schlichten und transportfähig zu bekommen, das Andere. Nur: Plötzlich waren da Leute. Menschen, die wir nie zuvor gesehen hatten. "Was sollen wir tun?"

Ich hätte größtes Verständnis für jeden und jede, der oder die an einem schönen Sonntagnachmittag im Prater keine zehn Minuten lang alte, getragene Schuhe paarweise zusammen bindet und nach Größen sortiert. Oder Herren- von Damenkleidung trennt. Oder große Reisetaschen mit Rucksäcken und kleineren Taschen befüllt. Oder …Aber: Die Leute kamen, setzten sich hin – und blieben.

Foto: Thomas Rottenberg

Und dann gab es diese gleichzeitig komisch-berührenden Momente. Etwa als uns jemand mehrere Umzugskartons voll Gewand brachte: "Wir haben die Sachen gestern nochmal gewaschen – aber leider sind die Jeans nicht ganz trocken geworden. Das tut uns voll leid. Nehmt Ihr sie trotzdem?" Ok, hängen wir eben Jeans zum Trocknen im Prater über die Hecke.

Foto: Thomas Rottenberg

Währenddessen riss der Strom der Menschen nicht ab. Die meisten hatte ich noch nie gesehen. Andere schon: Meine (und Christophs) Trainerin Sandrina Illes hatte gemeinsam mit ihrem Mann Stefan Jeschke (hier im Bild), schon am Samstag beim Bahntraining auf der Marswiese eingesammelt, was die Läufer unserer Gruppe geben konnten, wenn sie es am Sonntag nicht in den Prater schaffen würden.

Auch andere Lauf-Profis, etwa Walter Kraus von Runtasia, die Betreiber mehrerer Lauf-Plattformen (etwa www.run42.at, Christian Drastils "runplugged" oder Wilhelm Lilge) hatten uns ganz selbstverstädnlich "geshared". Und das Extremläufer-Paar Carola Bendl-Tschiedel und ihr Mann Martin schrieb, dass sie mit den Über-Beständen des österreichischen Ultra-Run-Teams am Weg zu uns seien. Und so weiter. Wir waren immer sprachloser (falls das möglich ist):

Foto: Thomas Rottenberg

Dann stand plötzlich Vea Kaiser vor mir. Der Shootingstar der heimischen Literaturszene (ihr aktueller Roman "Makarionissi"wird derzeit zu recht gefeiert) brachte Schuhe.

Freilich nicht ihre eigenen: "Ich hab erst gestern von der Aktion gehört – und rasch 20 Paar Turnschuhe gekauft. Besonders hübsch sind sie halt nicht. Ich hoffe, das macht nix."

Foto: Thomas Rottenberg

Schuhe. Taschen. Shirts. Das hatten uns die Caritas auf die Wunschliste geschrieben. Dass auch Anderes kommen würde, war klar. Und selbstverständlich schickten wir niemanden weg. Die Müll-Quote? Zwei, drei Rucksäcke. Fünf oder sechs zerfetzte Reisetaschen – von insgesamt sicher fünf- bis sechshundert, die auf den ersten Blick unbrauchbar waren. Weit weniger, als befürchtet.

Über den Sinn einiger weniger Gaben hätte man aber auch diskutieren können: Eine Schaumstoffmatratze am Boden ist bei trockenem Wetter eine Nacht lang super. Aber wohin damit tagsüber? Und wenn der Boden feucht ist?

Foto: Thomas Rottenberg

Kinderwägen, Windeln, Babynahrung, Hygieneartikel, Kuscheltiere: Ja, klar, gerne. Badmintonschläger: Lieb gemeint – und vermutlich auch verwendbar. Wirklich froh war ich aber, dass ein paar Leute doch nicht aufkreuzten: Per Mail hatte mir jemand eine Rodel und zwei Paar Moonboots angekündigt.

Ich war in dem Moment nicht auf der Hut – und schrieb: "Viererbob gibt es keinen dazu?" Der gute Geber war gekränkt: Er wolle jetzt nie wieder spenden.

Foto: Thomas Rottenberg

Die Caritas-Leute kennen das: Von Eislaufschuhen über Skianzüge, Dirndl und Stöckelschuhen bis zu Ballroben reicht das Spektrum dessen, was bei ihnen landet.

Und just Menschen, die sich am wenigsten Gedanken über das Verhältnis zwischen Bedarf und Lagerflächen vor Ort machen, sind am raschesten gekränkt, wenn man sie dezent auf den Unterschied zwischen Entsorgen und Spenden hinzuweisen versucht.

Foto: Thomas Rottenberg

An dieser Stelle muss ich Etwas klar stellen: Wenn ich "wir" schreibe, ist das eigentlich falsch. Zumindest dann, wenn es um Idee und Organisation der geht: Es war nämlich Christoph (hier im Bild mit Sandrina Illes) der so ziemlich alles behirnte und anleierte.

Vom Entschluss über die Einladung auf Facebook über Koordination mit Caritas und Behörden (Stellen Sie sich mal einfach so wie wir auf den Parkplatz des Stadionbades – und warten Sie, wie lange es dauert, bis da irgend eine Amtsperson auftaucht.) bis zu Wegweiser-Plakaten und dem Fragen-Beantworten online: Das war er. Alles. Ich bin nur der Mitläufer und habe Christoph ein bisserl beim Multiplizieren geholfen: Lob und Dank gebühren ihm. Punkt.

Foto: Thomas Rottenberg

Wobei auch das nur für uns beide stimmt: Lob & Dank gebühren natürlich all jenen die kamen und Dinge hier ließen. Jenen, die anpackten. Ohne Pause. Ohne aufzuhören zu lächeln. Ohne zu irgendwem auch nur ein böses Wort fallen zu lassen: Diese allumfassende Fröhlichkeit und Freundlichkeit wurde mir langsam beinahe unheimlich. Es hätte nicht viel gefehlt, dass da beim Einräumen des ersten Wagens gesungen worden wäre. Zum Glück hatte niemand eine Gitarre mit. Oder gespendet.

Foto: christoph riedl-daser

Wobei: Wir wären da wohl nicht einmal bis zur zweiten Strophe gekommen. Der Laderaum war quasi in der Sekunde bis auf den letzten Slot gefüllt – und dabei hatten wir da noch nicht einmal alle Säcke und Taschen mit Männergewand eingeräumt. LKW zwei war am Weg hierher. Und einen dritten Lieferwagen würden wir wohl auch noch brauchen. Mindestens.

Foto: Thomas Rottenberg

Christoph rief Günther Langmann an. Langmann hat eine Reinigungsmittelfirma – und die einen Lieferwagen. Ich erinnerte mich an ein Mail von Christian Decker. Der Barfusslauf-Blogger hatte mir am Vormittag geschrieben, dass er und sein Anhänger allzeit bereit wären. Ich hatte dankend abgelehnt – und war jetzt froh, dass sowohl Günther als auch Christian sofort ins Auto stiegen.

Foto: christoph riedl-daser

Dann füllten unsere Helfer noch drei Privat-PKWs bis unters Dach – und fuhren im Konvoi nach Traiskirchen. Ich blieb beim Stadion: Für rund einen Kubikmeter an Spenden (Schlafsäcke, Decken, Taschen, Damenbekleidung, Kinderkleidung) hatte der Platz auch jetzt noch nicht gereicht. Und irgendwer musste auf das Zeug ja aufpassen.

Foto: Thomas Rottenberg

In Traiskirchen, beim Versorgungszelt der Caritas außerhalb des Lagers, ging es dann zunächst zäh – und dann plötzlich flott: Als "unsere" Leute mit dem Ausladen begannen, sah das nach einem mehrstündigen Job aus.

Foto: christoph riedl-daser

Aber wir hatten die Rechnung ohne die Flüchtlinge gemacht: Plötzlich waren überall Leute. Und die Kisten, Taschen, Koffer und Säcke flogen von Hand zu Hand. Und landeten im Zelt.

Foto: christoph riedl-daser

Bis es voll war. Zu voll. Wir hatten so viel gebracht, dass nicht alles ins Ausgabezelt passte: der Platz vor Ort ist eben beschränkt – deshalb bittet die Caritas (und andere Organisationen) ja darum, nicht einfach "Irgendwas" vorbei zu bringen, sondern vorher zu fragen. Was gebraucht wird. Und wo. Helfen ist eine echte Logistik-Herausforderung. Unter den derzeitigen Bedingungen wird daraus ein Stunt.

Foto: christoph riedl-daser

Montagnachmittag stellten die Freiwilligen des "OmniBus", also das Caritas-Versorgungsteam vor Ort, erste Bilder auf die "Wir Helfen"-Facebookseite: Kinder.

Foto: Caritas

Mit Taschen, Turnschuhen, Isomatten, Shirts, Kuscheltieren.

Normalerweise hasse ich solche Pics. Diesmal verwende ich ein paar davon. Ganz bewusst. Weil ich das Stofftier wieder erkannte.

Foto: Caritas

Oder die Turnschuhe: Die habe, glaube ich, sogar ich selbst zusammengeknüpft.

Ja klar: Global betrachtet ist das egal. Aber für den Buben, der "meine" Schuhe in der Hand hält, macht das Schuhe-Haben einen Unterschied. Und für mich auch.

Foto: Caritas

Eins noch: Hier geht es nicht um Christoph oder mich. Wir sind nicht wichtig. Wir sind nix Besonderes – sondern nur zwei Läufer. Uns hat es einfach gereicht – und wir wollten uns selbst weiter in die Augen sehen können.

Aber eines haben wir am Sonntag gelernt: Wenn wir das können, können Sie es auch. (Thomas Rottenberg, 30.7.2015)

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Thomas Rottenberg