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Juncker: Nicht aufgeben, noch mal Lösung suchen.

REUTERS/ Yves Herman

In der Zeit des Chaos, der tiefen Verunsicherung der Menschen in einem Mitgliedsland, aber auch der größten Krise der Eurozone seit der Einführung des Euro im Jahr 1998 schlägt die Stunde der wichtigsten Gemeinschaftsinstitution der Union.

Das mag sich Jean-Claude Juncker gedacht haben, als er am Montag in Brüssel in Sachen Hilfsprogramm für Griechenland in die totale Offensive ging. Während etwa die deutsche Kanzlerin Angela Merkel in Berlin erklärte, dass selbst ein Ausfall der griechischen Verbindlichkeiten kein großes Problem darstelle, der Euro als Währung gut abgesichert sei, will der Kommissionspräsident weiterhin alles unternehmen, um doch noch eine Lösung zu ermöglichen.

"Es ist mir fast peinlich, das nach Wochen immer wieder zu sagen", erklärte er. "Wir befinden uns jetzt in der letzten Minute, in der allerletzten Millisekunde." Juncker hatte sich seit Mai persönlich und intensiv in die Verhandlungen zwischen den Experten der "Institutionen" der Geldgeber von EU, EZB und Währungsfonds (IWF) eingeschaltet, mit dem griechischen Premierminister Alexis Tsipras noch wenige Stunden vor der Ankündigung eines Referendums in Athen mit ihm gesprochen. Am Montag gab er so deutlich wie nie zuvor Auskunft über die Hintergründe dieser Gespräche.

35 Milliarden Euro

Die Kommission veröffentlichte das Dokument für Strukturreform- und Sparpläne, das Grundlage für die Fortsetzung des Hilfsprogramms über den 30. Juni hinaus gewesen wäre. Sie wollte zusätzlich 35 Milliarden Euro aus dem EU-Budget bis 2020 für Investitionen in Athen meistbegünstigen.

Dass eine Verlängerung nicht mehr möglich ist, war Juncker klar. Merkel hatte das in Berlin ausgeschlossen, mit Hinweis auf ein nötiges Votum im Bundestag. Der Kommissionspräsident will nun die Rutsche legen dafür, dass nach der griechischen Volksabstimmung in einem neuen Anlauf ein Hilfspaket der Europartner zustande kommt – vermutlich ohne den IWF, dessen strenge Regeln weitere Kredithilfen an Griechenland kaum erlauben.

Juncker ging auf Gegenkurs zu Tsipras (der ein Nein empfiehlt, siehe oben, Anm.) und rief die Griechen eindringlich dazu auf, bei der Volksabstimmung am Sonntag für das reformierte Hilfspaket zu stimmen: "Sagt Ja zum Eurovorschlag!" Dann könne es neue Verhandlungen geben. Die Tür bleibe offen, man möge "die ausgesteckte Hand" ergreifen. Eine Zustimmung zu den vorliegenden Reformplänen öffne die Möglichkeiten neuer Verhandlungen – und neuer Kredithilfen.

Aufruf zum Dialog

Ein Grexit, also der Ausstieg Griechenlands aus der Währungsunion, sei für ihn trotz allem keine Option, erklärte der Kommissionschef: "Europa kann nur funktionieren, wenn die Auffassungsunterschiede im Dialog gelöst werden. Es geht nicht einer gegen 18 Partnerländer oder 18 gegen einen." Man müsse den jeweils anderen verstehen.

Harte Worte fand Juncker für Premier Tsipras, der ihn wie auch EU-Parlamentspräsident Martin Schulz auch am Montag telefonisch um Hilfe und Vermittlung bat. Er fühle sich vom griechischen Premier "verraten", sagte der Kommissionspräsident, denn dieser habe auf dem Weg zu einer "bestmöglichen Einigung" mit seiner Referendumsankündigung "den Schwung vom Tisch gewischt", und zwar durch einen einseitigen Schritt. Wie berichtet, hatte Tsipras die Kommission vor seiner TV-Ansprache nicht einmal in Kenntnis gesetzt.

Beamte und Verhandler der Juncker-Kommission erfuhren via Twitter von der Volksabstimmung. Juncker widersprach Tsipras auch inhaltlich: Der Vorschlag sei "eben kein dummes Austeritätspaket". (Thomas Mayer aus Brüssel, 29.6.2015)