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Kinder und Jugendliche beziehen ihre Informationen zu Sexualität auch aus dem Internet. Sie tun dies ungeschützt – Eltern entzieht sich diese Welt weitgehend.

Foto: APA/OLIVER BERG/DPA

Die Diskussion der vergangenen Tage um den längst fälligen, von langer Hand geforderten und nach 20 Jahren Adaptierung und Überarbeitung präsentierten sexualpädagogischen Erlass schmerzt. Ein qualifiziertes interdisziplinäres Team von Professorinnen und Professoren der Pädagogik, der Psychologie und der Psychotherapie mit jahrelanger praktischer pädagogischer Erfahrung arbeitet eine Aktualisierung aus, und schon poppt reflexartig Skandalisierung auf, werden Argumente von Sexualisierung und Pornografisierung und Verführung der Jugendlichen ins Treffen geführt. In sachlicher Unkenntnis und – schlimmer noch – völliger Realitätsverleugnung. Soll es etwa zurück in die 1980er gehen? Wortgleich wurde damals zu den Unterrichtsmaterialien für sexualpädagogischen Unterricht, medial als Sexkoffer banalisiert und diskreditiert, "argumentiert".

Zurück zu den Fakten

Doch die Zeit ist, zum Unterschied der Kommentare und Argumentationen, nicht stehengeblieben. Im Gegenteil: Das große weite Netz unserer Informationsgesellschaft und Social Media bieten überbordend viel, zum Teil Horrorszenarien an pornografischen Materialien, Filmen, Chatrooms. Diese haben eines gemeinsam: Sie bedienen völlig falsche Bilder von Sexualität, verführen zu falschen Vorstellungen und verbinden Sexualität mit Gewalt und Aggressionen – überwiegend mit Frauen als degradierten Sexualobjekten. Das aber ist die Welt, aus der heute Kinder und Jugendliche ihre Informationen zu Sexualität beziehen. Sie tun dies ungeschützt und ungefragt, Eltern entzieht sich diese Welt weitgehend.

Gute sexualpädagogische Bemühungen setzen daher auf

  • Vermittlung von gegenseitiger Wertschätzung und respektvollem Umgang miteinander,
  • Vermittlung von anatomischem und physiologisch objektivem Wissen,
  • Vermittlung von präventivem Wissen zu Fertilität, reproduktiver Gesundheit und Empfängnisverhütung und den
  • Umgang mit Ängsten und Emotionen, Gefühlen.

Das Anliegen ist daher gerade, Jugendliche kompetenter gegenüber diesen falschen Sexismen zu machen.

Darüber reden

Eltern können und sollen sich den Fragen der Kinder stellen, so diese fragen können oder wollen. Wir wissen aus unzähligen Studien und Interviews, dass bei weitem nicht alle Eltern bereit sind, darüber zu reden, und dass vor allem ab der Pubertät Jugendliche ihre Eltern auch nicht mehr als Ansprechpersonen sehen, sondern diese Infos von Expertinnen und Experten oder aus dem Freundeskreis beziehen wollen. Die Behauptung einer "Verstaatlichung der Sexualpädagogik" geht daher, außer dem Verdacht einer "demagogischen Absicht", völlig ins Leere.

An der Realität vorbei

Die längste Tradition qualitätsvoller Sexualpädagogik haben Dänemark, Schweden, Norwegen und Finnland. Dies sind jene Länder mit dem europaweit geringsten Anteil an Teenager-Schwangerschaften, aber auch Schwangerschaftsunterbrechungen. Diesen langjährigen positiven Erfahrungen wird in der derzeit laufenden künstlichen Aufregung mit Ignoranz und Unwissenheit begegnet.

Sexualpädagogen stehen als Experten und Expertinnen in den Schulen oder in außerschulischen Veranstaltungen, setzen sich mit den Jugendlichen auseinander, kennen die zum Teil verqueren falschen Fantasien aus der Scheinwelt der Pornoangebote im Internet und können diese sachkundig und behutsam korrigieren.

Die Argumentationen, die derzeit kursieren, sind weder authentisch noch glaubwürdig und gehen völlig an der Realität unserer Jugendlichen vorbei. Wollen wir wirklich die Jugend einer inhumanen, frauenverachtenden Vorstellung von Sexualität überlassen, wollen wir ihr Wissen über ihren Körper vorenthalten? (Beate Wimmer-Puchinger, Wolfgang Kostenwein, 14.5.2015)