Kosovos Außenminister und Ex-Premier Hashim Thaçi.

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Belgrad/Prishtina/Sarajevo – Der kosovarische Außenminister Hashim Thaçi ist offensichtlich sauer, nachdem er nun doch nicht nach Belgrad reisen kann, weil die Einladung einer NGO für Jugendbildung auf Druck des serbischen Innenministers Nebojša Stefanović wieder zurückgezogen wurde.

Belgrad würde sich auf Slobodan Milošević beziehen, wenn es seinen Besuch nicht erlaube, sagte er zum STANDARD. Er habe in Belgrad über die Aussöhnung zwischen Jugendlichen auf dem Balkan sprechen wollen. "Wenn ein EU-Beitrittskandidat einen Besuch von einem Nachbarn zu derartigen Themen ablehnt, dann stellt sich die Frage, wie wir auf dem Balkan nach vorne schauen können, um damit die Normalisierung der Beziehungen zu befördern. Die Folgen sind, dass dieses Verhalten zu einer Spannung der Situation beiträgt und eine Unsicherheit über den politischen Willen Belgrads schafft, in die Zukunft blicken", erklärte Thaçi. Dabei habe man mit Unterstützung der EU in Brüssel bereits "viele Formeln der Zusammenarbeit" zwischen Serbien und dem Kosovo gefunden. Das jetzige Vorgehen sei ein schlechtes Signal.

Der Hintergrund: Thaçi sollte am 24. April nach Belgrad reisen. Die Einladung war von der NGO Jugendbildungskomitee ausgesprochen worden. Die EU, insbesondere Deutschland, fordern bessere Beziehungen zwischen den Staaten Südosteuropas. Eine der Initiativen ist der Austausch von Jugendlichen in der Region. Das Komitee zog die Einladung aber unter Druck zurück. Auch die Einladungen der anderen Außenminister der Region wurden zurückgenommen.

Bei Ankunft Festnahme

Thaçi wurde davor vom serbischen Innenminister Stefanović gewarnt, dass er in Serbien – wo es nach wie vor einen gültigen Haftbefehl gegen ihn gibt – festgenommen werden würde. Die Fahndung gegen Thaçi durch serbische Behörden ist seit 1997 aufrecht. Damals war der jetzige Außenminister einer der Kommandanten der Kosovo-Befreiungsarmee UÇK, die von Serbien als terroristische Vereinigung eingestuft wurde. Thaçi wurde laut serbischen Medien 1997 in Abwesenheit zu zehn Jahren Haft verurteilt. Damals war allerdings noch Milošević an der Macht, und Serbien hatte noch keine Demokratisierungsschritte hinter sich. Thaçi steht nicht mehr auf der Interpol-Fahndungsliste. Er wurde 2003 in Budapest kurzfristig festgenommen, aber nach ein paar Stunden wieder freigelassen.

Heute sagt Thaçi zum STANDARD: "Serbien hat während der 90er-Jahre Haftbefehle gegen mich, aber auch gegen Javier Solana, Tony Blair und Bill Clinton mit dem Vorwurf des Terrorismus und der Angriffe auf Serbien erlassen. Diese Haftbefehle sind absurd, und ich erwarte, dass Serbien bald zur Besinnung kommt und alle Anklagen aus Milošević-Zeiten außer Kraft setzt. Wir sind im Jahr 2015, und es ist merkwürdig, dass diese Entscheidungen aus einer sehr dunklen Phase der Geschichte noch rechtliche Gültigkeit haben."

Serbiens Regierung im Kosovo

In den vergangenen Jahren hatten ranghohe serbische Politiker immer wieder Thaçi, der lange Zeit Premier des Kosovo war, zu Gesprächen in Brüssel getroffen. Die Beziehungen hatten sich im Rahmen des Dialogs verbessert. Die wechselseitigen Reisen von Politikern aus Serbien und dem Kosovo in das jeweils andere Land werden von den Verbindungsbüros – die von der EU unterstützt werden – organisiert. So haben der serbische Premier Aleksandar Vučić und auch Präsident Tomislav Nikolić den Kosovo besucht.

Der kosovarische Außenminister fordert dasselbe Entgegenkommen von Belgrad: "Kosovo hat den Besuch des serbischen Präsidenten, Ministerpräsidenten und Außenministers ermöglicht und wir erwarten genauso, dass Serbien solche Besuche auch gestattet. Heute haben wir der Einreise des Büroleiters der serbischen Regierung zuständig für Kosovo zugestimmt", so Thaçi zum STANDARD. Der Dialog zwischen Serbien und dem Kosovo ist weiter im Laufen. Allerdings fehlt bis heute die Umsetzung des zentralen Abkommens vom April 2013 – es geht um die Bildung einer Assoziation serbischer Gemeinden im Nordkosovo. Der Ton hatte sich in letzter Zeit verschärft, nachdem die kosovarische Regierung ankündigt hatte, eine Genozidklage gegen Serbien anstrengen zu wollen.

Südafrikanisches Modell

"Wir haben mehrere Möglichkeiten, um die Genozidklage gegen die serbische Regierung der 90er-Jahre zu erheben. Es gibt mehr als 100 Kosovo-Albaner in Amerika und Europa, die Serbien für Kriegsschadenersatz klagen wollen", so Thaçi. "Die damalige Regierung ist für die Zerstörung von 65 Prozent des privaten Eigentums der Kosovaren verantwortlich. Es besteht auch die Möglichkeit, das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag anzurufen."

"Ich denke, es wäre gut, wenn Serbien das Modell von Südafrika übernimmt und sich bei den Kriegsopfern entschuldigt. Aber wir sind Zeuge, dass Serbien sich noch immer weigert, sich zu entschuldigen. Deswegen müssen wir rechtliche Wege finden, um die Geschichte zu dokumentieren, um ein wenig Trost bei den Familienangehörigen von über 10.000 getöteten Menschen und 20.000 vergewaltigten Frauen zu finden. Wir sind immer noch in Gesprächen mit unseren Verbündeten und Anwälten, um zu schauen, wie wir unsere Anfrage stellen, um Gewissheit zu haben, wer die serbischen Mörder von 1999 waren."

Brutales Vorgehen beider Seiten

In den 1990er-Jahren kam es im Kosovo zu einer massiven Unterdrückung der albanischen Bevölkerung durch die serbischen Behörden. Albaner wurden aus dem öffentlichen Dienst entlassen und verloren ihre Arbeitsplätze. Die Kinder wurden in parallelen Untergrund-Institutionen unterrichtet. Im Zuge des Kosovo-Kriegs wurden ganze Dörfer von serbischen Sicherheitskräften in Brand gesetzt und viele Kosovo-Albaner getötet.

Auch die UÇK ging brutal gegen Serben und Albaner vor, die nicht mit der ihr kooperierten. Die Verbrechen der UÇK sind bis heute kaum aufgeklärt. Nach dem Nato-Bombardement 1999 zog sich Serbien aus dem Kosovo zurück. 2004, als die damals noch nicht unabhängige Provinz unter UN-Verwaltung stand, wurden tausende Serben von Kosovo-Albanern vertrieben und deren Häuser in Brand gesetzt. 2008 erklärte sich der Kosovo für unabhängig. Thaçi spielte dabei die zentrale politische Rolle. (Adelheid Wölfl, derStandard.at, 30.4.2015)