Herr Drekonja-Kornat (Armenier: Das genau dokumentierte Massaker, DER STANDARD, 16. April) müsste als ehemaliger Historiker besser als jeder andere wissen, dass ein derart sensibler und komplexer Zeitabschnitt der Geschichte nicht mit solch einem breiten Pinsel dargestellt werden kann. Menschen, die das Thema nicht kennen, können mit Klischees sprechen, von wahrhaften Historikern erwarten wir, dass sie im Lichte akademischer Ehrlichkeit, ohne parteiisch zu sein, ohne Propaganda zu betreiben, aufrichtig die Wahrheit bekunden. Die Archive der Türkei stehen allen Historikern, die zur Wahrheit gelangen möchten, seit 10 Jahren zur Verwendung offen.

Die Türkei, die die Schmerzen der in den schwierigen Zeiten des Ersten Weltkrieges, inklusive der Ereignisse von 1915, aus ihren Heimatorten vertriebenen und ums Leben gekommenen Türken nicht vergessen hat, teilt auch die Schmerzen der armenischen Bürger, und ohne eine Hierarchie der Schmerzen zu bilden, gedenkt sie respektvoll der von allen Völkern des Osmanischen Reiches durchlebten Tragödie. Eine Verleugnung der Geschichte ist hier nicht der Fall. Die Türkei stellt nur die einseitige Erzählung, die die Ereignisse von 1915 ohne eine rechtliche oder geschichtliche Grundlage als "Völkermord" bezeichnet, infrage.

Wie auch Herr Drekonja-Kornat schreibt, hat das Osmanische Reich alle Beamte und Offiziere, die es für die armenischen Verluste, die es während der Umsiedlung trotz aller getroffenen Maßnahmen gab, verantwortlich hielt, vor Gericht gebracht. Der Grund für die Verurteilung dieser Personen ist, dass sie trotz der Anweisungen zur Gewährleistung der Sicherheit der armenischen Bevölkerung die unter den Kriegsbedingungen erfolgten Verluste von Menschenleben nicht verhindern konnten. In diesem Rahmen wurde im Jahre 1916 1673 zivilen und militärischen Bediensteten der Prozess gemacht, davon wurden 67 zum Tode, 68 zur lebenslangen Haft und 524 zu Haftstrafen verurteilt. Dies als einen Beweis dafür darzustellen, dass das Osmanische Reich "Völkermord" begangen haben soll, ist Verzerrung der Geschichte. Ganz im Gegenteil sind diese Tatsachen ein konkreter Beweis für die Sensibilität und die Bemühungen der osmanischen Führungskräfte für den Schutz des Lebens und der Besitztümer der armenischen Bürger.

Auf der anderen Seite blieb die Attentat-Tradition der Armenier unter dem Deckmantel der "Rache" nicht mit den Jungtürken, die sie für den angeblichen "Völkermord" verantwortlich hielten, begrenzt. Die armenische Terrorgruppe ASALA hat zwischen 1973 und 1986 34 unschuldige türkische Diplomaten, ihre Ehepartner und Kinder umgebracht. In Wien sind ein Botschafter und zwei Beamte dadurch ums Leben gekommen. Ich gehe sowieso nicht davon aus, dass Herr Drekonja-Kornat die Absicht haben könnte, die von den armenischen Terroristen, aus Angst, mit ihrer Geschichte konfrontiert zu werden, verübten Morde zu rechtfertigen oder zu romantisieren. Bei dieser Gelegenheit möchte ich ihn und alle interessierten Historiker einladen, in unseren allen offenstehenden Archiven detailliert zu forschen. Dass die armenische Seite, die besorgt ist, den Tatsachen zu begegnen, bis heute nicht den Mut gezeigt hat, unsere Einladung anzunehmen, soll sie nicht davor abschrecken. (Hasan Gögüs, DER STANDARD, 23.4.2015)