Der Mobile World Congress in Barcelona ist seit einigen Jahren neben dem Spätsommer traditioneller Vorstellungstermin für neue Elektronik-Flaggschiffe. Verlässliche Kandidaten für frische Smartphones sind hier Samsung und auch HTC. Der taiwanische Hersteller kam in jüngerer Vergangenheit allerdings kaum vom Fleck. Seine Topgeräte heimsten zwar stets gute Kritiken ein, der Marketingmacht von Samsung und Co. schien man bislang aber nicht gewachsen.

Jetzt nimmt man mit der dritten Generation des HTC One, es trägt die Modellbezeichnung M9, einen weiteren Anlauf, um die Herzen der Mobilfunkenthusiasten zu erobern. Der WebStandard hat das Android-Phone getestet.

Foto: derStandard.at/Pichler
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Wer den äusserlichen Unterschied zwischen dem M9 und seinem Vorgänger M8 sucht, muss genauer hinsehen, denn die Designer sind ihrer etablierten Linie treu geblieben. Auf der Rückseite ist die zusätzliche Tiefenkamera verschwunden und der Ausschnitt für die Hauptkamera ist nun nicht mehr kreisrund, sondern ein Quadrat mit stark abgerundeten Ecken.

Während die Display-Diagonale von fünf Zoll gleich bleibt, ist die neue Generation dank schmalerer Ränder ein wenig schmäler und kürzer, allerdings auch minimal dicker (144,6 x 69,7 x 9,6 mm). Bei der Verarbeitung gibt sich HTC keine Blöße. Eingefasst ist das Handy in einen Aluminiumkörper mit exzellenten Spaltmassen.

Das Handy lässt sich gut angreifen, trotz der glatten Rückseite liegt es sicher in der Hand, da sich der über ragende Rand der Rückabdeckung etwas von der Displayeinheit abhebt. Zwei kleinere ergonomische Mängel gibt es jedoch zu beklagen. So liegt der 3,5mm-Klinkenanschluss für Kopfhörer oder Headset auf der unteren Seite, was tendenziell unpraktisch ist. Und die seitlichen Tasten (Lautstärke und Ein/Aus-Schalter) heben sich nur geringfügig vom Rand ab und sind somit schwer ertastbar.

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Auf Bewährtes setzt HTC auch beim Display. Statt auf den 1440p-Zug (von den Herstellern als "2K" vermarktet) aufzuspringen, bleibt man bei Full-HD-Auflösung (1.920 x 1.080 Pixel, 441 PPI) und liefert wie gewohnt einen Screen mit toller Farbwiedergabe, guten Kontrasten und ordentlicher Helligkeit.

Unter der Haube wurde freilich aufgerüstet. Bei der Hardwareunterlage hat man sich für Qualcomms jüngsten Snapdragon-Spross, Variante 810, entschieden, der mit vier Cortex-A57-Kernen (2,0 GHz), vier Cortex-A53-Kernen (1,5 GHz) und einem Adreno 430-Grafikchip das Leistungslimit höher setzen soll. Dem 64-Bit-Prozessor stellt man drei GB RAM zur Seite. Der Onboardspeicher fasst 32 GB und kann per microSD-Karte um bis zu 128 GB erweitert werden. Vorinstalliert ist Sense 7.0, eine Adaption von Android 5.0.2.

Auch das Konnektivitätssortiment kann sich sehen lassen. Es umfasst 3G, LTE, 802.11ac-WLAN mit Dualband-Support sowie Bluetooth 4.1 und ein Infratot-Modul. Als Navigationslösung dient die Kombination aus GPS und GLONASS. Ein nicht entnehmbarer Lithium-Polymer-Akku mit 2.840 mAh soll für lange Laufzeit garantieren.

Last but not least erhalten auch die Kameras ein Upgrade. Auf der Rückseite verabschiedet sich HTC von der "Ultrapixel"-Technologie und verbaut einen herkömmlichen Chip mit 20,7 Megapixel. Wer diesen fertigt vermögen auch Hardware-Info-Apps nicht zu verraten. Vorangehenden Gerüchten zufolge soll er von Toshiba stammen. Ganz in Pension hat man die Ultrapixel aber nicht geschickt, sie sollen nun auf der Frontseite für bessere Bilder bei schlechteren Lichtbedingungen dienen. Hier knipst das One M9 nominell mit 4,1 Megapixel.

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Soviel zum Datenblatt. Schon in den Benchmarks verspricht der Snapdragon 810 einiges. Rund 47.500 bzw. 51.000 Zähler liefert das One M9 beim Allround-Test mit Antutu für die Leistung im 32- bzw. 64-Bit-Modus und liegt damit deutlich vor dem OnePlus One (Snapdragon 801) und einen kleinen Sprung vor dem Samsung Galaxy Note 4 (Snapdragon 805). Beim Grafikbenchmark Epic Citadel läuft das Handy mit einem Schnitt von 59,1 Bildern pro Sekunde praktisch durchgehend am Anschlag.

Der Browsertest Vellamo spuckt mit Chrome einen Wert von 2.900 aus, womit man sich knapp hinter dem OnePlus One positioniert. Absurderweise performt das HTC One M9 also schlechter als manche Geräte mit älterem Snapdragon-Chip, was die Plattformauswahl zumindest hinterfragenswert macht. Dass Samsung beim Galaxy S6 ausschließlich auf seine eigene Exynos-Plattform baut, soll übrigens dem "hitzigen Temperament" des Chips geschuldet sein.

Diese Werte entsprechen allerdings nicht dem Maximum dessen, was der Qualcomm-Chip erreichen kann. Aufgrund zu starker Wärmeentwicklung hat HTC den Prozessor mit einem Softwareupdate vor dem Marktstart heruntergedrosselt. Zuvor erreichte das Handy bei Antutu bis zu 54.000 (32 Bit) und 56.000 Punkte (64 Bit) sowie 4.000 bei Vellamo. Beim sehr anspruchsvollen GFX-Benchmark (Manhattan ES 3.1) sinkt die Framerate von 19 auf 14 FPS. Unter Last ist die Erwärmung nach wie vor gut spürbar und auf Dauer unangenehm.

Realistischerweise wird man mit diesem Defizit aber wohl nur bei längeren Sessions mit grafisch anspruchsvoller Software konfrontiert. Die deutlich höheren Temperaturen im Inneren des Gehäuses könnten sich jedoch negativ auf die Langlebigkeit auswirken.

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Die Praxis bestätigt die trotzdem noch hohen synthetischen Werte. Apps starten flott und derzeit dürfte es kaum ein Programm geben, mit dem das Smartphone an seine Leistungsgrenzen zu bringen wäre. Das System scheint ordentlich optimiert zu sein, nichts ruckelt oder verzögert anderweitig. Gesurft wird, so die Bandbreite es hergibt, butterweich und flüssig.

Die Sense-Oberfläche wurde von HTC nicht nur an den flachen Look von Android 5.0 angepasst, sondern bringt auch zusätzliche Features. So wurde die Benachrichtigungszentrale Blinkfeed ausgebaut und in einem neuen Homescreen-Widget können App-Sammlungen erstellt werden, die je nach Aufenthaltsort – Unterwegs, Zuhause, Arbeit – ein anderes Sortiment bieten, das sich aus den zuletzt und häufigst dort genutzten Programmen zusammensetzt. Die jeweiligen Standorte sind vom Nutzer einfach einzugeben. Ergänzt wird dies optional von "intelligenten Ordnern", welche die letzten Downloads und Empfehlungen anzeigen.

Man kann sein System außerdem mit Themes an den eigenen Geschmack anpassen. In HTCs eigenem Store stehen zahlreiche Hintergründe, Icon-Sets, Schriftarten bzw. Gesamtpakete zur Verfügung. Wer will, kann den "Farbstich" der Oberfläche auch auf Basis des aktuellen Hintergrundbildes oder einer beliebig wählbaren Aufnahme automatisch einstellen lassen.

Mit zusätzlicher Software hält HTC sich vornehm zurück, vorinstalliert sind eine angepasste Kamera-App, das Diashow-Remix-Tool Zoe (hier ein Beispielclip), ein paar kleinere Tools, etwa zur Nutzung des Dot-Covers und eine HTC-eigene Backuplösung sowie Polaris Office und die Fernbedienungs-App Peel Smart Remote.

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Kameratechnisch präsentiert sich das neue One als zweischneidiges Schwert. Der Sensor stellt einen klaren Fortschritt zu den alten Ultrapixel-Modulen dar, dazu werden Bilder blitzschnell ausgelöst. Qualitativ halten die Ergebnisse aber nicht mit Samsungs Highendgeräten oder den aktuellen iPhones mit.

Fotos unter Sonnenlicht, insbesondere Nahaufnahmen, können sich zwar durchaus sehen lassen, mit schlechter werdenden Bedingungen ändert sich das jedoch merklich. Ein Grund, warum die Ergebnisse bei anbrechender Dunkelheit oder gar in der Nacht nicht zufriedenstellend sind, liegt unter anderem im unverständlichen Verzicht auf optische Bildstabilisierung.

Eigenartig ist auch das Standard-Bildverhältnis. Vorkonfiguriert ist eine Aufnahmeauflösung von 16 Megapixel und 16:9-Format. Stellt man volle Auflösung ein, werden die Aufnahmen in für die meisten Displays ungünstigem 10:7 erstellt. Positiv fällt auf, dass Fotos flott ausgelöst werden und die Kamera-App einen netten Funktionsumfang und manuelle Einstellungsmöglichkeiten – inklusive 4K-Videos und Zeitlupe - bietet. Die Handhabung ist allerdings komplizierter geraten, als notwendig wäre.

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Ein weiteres vorinstalliertes Tool ist der Eltern- und Kindermodus, der die innerfamiliäre Nutzung des Handys erleichtern soll. Bereitgestellt wird dieser vom Unternehmen Zoodles. In der kostenfreien Version könnten über eine PIN-geschützte Oberfläche einzelne Apps für den Nachwuchs freigegeben werden. Für einige vom Hersteller angebotene Apps muss der flashfähige Zoodles Game Player nachinstalliert werden. Die Premiumvariante für fünf Euro pro Monat ermöglicht die Freigabe weiterer Inhalte, wie etwa Bücher.

Per App gibt es auch eine eigene Oberfläche für die Verwendung im Auto. Hier wird der Bildschirm auf Uhrzeit, Wetter und die vier wichtigsten Funktionen (Navigation, Telefon, Musik, Spracheingabe) reduziert. Das Navi-Menü nutzt als Lösung Google Maps und ermöglicht neben Karte und Wegfindung auch eine Schnellansicht von Terminen und den Tankstellen in der Umgebung.

Gut schlägt sich das One M9 bei der Akkulaufzeit. Selbst bei intensiver Nutzung kommt man gut über den Arbeitstag. Wer sein Handy nicht dauern beansprucht, kann wahrscheinlich auch anderthalb Tage Laufzeit herausholen. Mit einer Reihe von Energiesparoptionen – darunter auch radikale Beschneidungen vieler Funktionen – lässt sich auch das noch stark verlängern.Dank Fastcharge-Unterstützung muss man auch nicht stundenlang warten, um wieder mit dem Handy losziehen zu können. Binnen 30 Minuten wird er mit dem beigelegten Ladegerät auf 60 Prozent aufgeladen.

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Keine Blöße gibt man sich im akustischen Bereich. Das One M9 dürfte die wohl besten Lautsprecher haben, die im Smartphone-Bereich derzeit zu finden sind. Selbst auf der ordentlichen maximalen Lautstärkeeinstellung sind vergleichsweise wenige Verzerrungen zu hören. Beanstandungsfrei ist auch der per Kopfhörer gelieferte Sound. Auch die Sprachqualität lässt auf beiden Seiten der Leitung nichts zu wünschen übrig.

Als optionales Zubehör (Kostenpunkt: 20 Euro) verkauft HTC auch für das M9 ein "Dotview"-Cover. Dieses dient einerseits als Schutz, andererseits lassen sich durch das Raster auf der Vorderseite Uhrzeit und anderen Informationen im Retro-Stil anzeigen. Mittlerweile gibt es sogar ein erstes Spiel, das für das Cover ausgelegt ist. Darüber hinaus ist es aber hauptsächlich ein Lifestyle-Produkt mit begrenztem Mehrwert.

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Fazit

Auch 2015 ist HTCs Bemühen, sich wieder in die Riege der "Großen" vorzuarbeiten, unverkennbar. Leider fehlt es dem One M9 trotzdem an echten Alleinstellungsmerkmalen. Das Gerät zeichnet sich durch großartige Verarbeitung und ein exzellentes Display aus, selbiges gilt aber praktisch auch für alle anderen Flaggschiffe in diesem Preisbereich, der mit 749 Euro UVP nicht gerade niedrig gewählt ist.

Einen relevanten Leistungssprung kann man ebenfalls nicht verbuchen, musste man den Snapdragon 810 wegen Hitzeproblemen doch per Softwareupdate drosseln. Das ändert natürlich nichts daran, dass das Smartphone derzeit allen denkbaren Herausforderungen von Messaging bis Gaming problemlos gewachsen ist. Unangenehme Erwärmung muss man bei dauerhafter Last allerdings in Kauf nehmen.

Schwerer wiegt, dass HTC auch softwareseitig keine großen Kaufanreize geschaffen hat. Und das Kamera-Upgrade ist letztlich leider nur zu einer halbherzigen Angelegenheit geraten. Es bleibt zu hoffen, dass das Unternehmen mit der nächsten Generation den Fokus wieder stärker auf Alleinstellung setzt und das Kamera-Manko endlich sauber ausmerzt. (Georg Pichler, 23.03.2015)

Testfotos

Zur Ansicht in voller Auflösung bitte anklicken. Die Bilder wurden in der vorkonfigurierten Auflösung von 16 MP geschossen, nicht mit der maximalen Auflösung von 20,7 MP.

Tageslicht, Automatik, obligatorisches Katzenfoto
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Tageslicht, Automatik
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Gemischte Lichtverhältnisse, Automatik
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Kunstlicht, Automatik
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Kunstlicht, Automatik
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Tageslicht, Bokeh-Modus
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Tageslicht, HDR
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Frontkamera, Kunstlicht
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Nachtaufnahme, Automatik
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