Die internationalen Proteste gegen die grausame Bestrafung des saudi-arabischen Bloggers Raif Badawi sind ermutigend. Hingegen ist das "politische Fußballspiel" - mit dem König-Abdullah-Dialogzentrum als Spielball (Oberrabbiner David Rosen) - eine dumme Selbstbeschädigung des friedenspolitischen Standorts Österreichs.

Doron Rabinovici fordert die Schließung des KAICIID aus grundsätzlichen Gründen (der Standard, 20. Jänner): Der Dialog mit Muslimen sei wichtig, aber nicht mit dem Islamismus und nicht mit dem Regime in Riad, das Islamisten finanziert. Der Dialog müsse "im Namen der Menschenrechte" geführt werden.

Moderate Sackgasse

Die Geschichte der Friedensprozesse im Nahen Osten zeigt aber, dass ein Dialog, bei dem nur Moderate teilnehmen, regelmäßig in eine Sackgasse führt. "Kein Dialog mit palästinensischen Terroristen", heißt es meist aufseiten der Israelis, "kein Dialog mit israelischen Okkupanten" aufseiten der Palästinenser. Wer nachhaltigen Frieden will, kann sich aber nicht aussuchen, mit wem er einen Dialog führen will.

Das verweist auf eine wichtige Frage, die in der Debatte um das Dialogzentrum bisher nicht diskutiert wird: Braucht es nicht auch - heute mehr denn je - einen Dialog mit religiösen Fundamentalisten beziehungsweise ideologischen Hardlinern?

Praktische Erfahrungen

Das bestätigen auch unsere praktischen Erfahrungen mit israelisch-palästinensischen Dialogprojekten am Kelman-Institut in Wien und Jerusalem: Auch bei gewaltfrei orientierten Palästinensern wird der Widerstand "im Namen der Menschenrechte" zunehmend mit dem Abbruch eines Dialogs mit den Israelis verbunden. Umgekehrt hofft ein großer Teil des israelischen Friedenslagers auf einen neuen Friedensprozess auf Basis der "Arabischen Friedensinitiative", die der verstorbene saudi-arabische König Abdullah 2002 initiiert hat.

Die dahinterliegende allgemeine Frage begleitet auch die österreichische Friedenspolitik seit Bruno Kreisky: Wie verbindet man Konfliktlösung mit Menschenwürde, Menschenrechten und Gerechtigkeit? Beide Dimensionen sind wichtig, ja untrennbar, führen aber in interkulturellen Konflikten meist zu Spannungen, die sich nicht vorschnell auflösen lassen. Es braucht eine komplexe Verbindung, aber oft auch eine professionelle Arbeitsteilung zwischen den Arbeitsfeldern Menschenrechte und Konfliktlösung.

Nach mehreren Gesprächen mit dem KAICIID über ein Dialogprojekt bezüglich des Konflikts um den Tempelberg (Haram al Sharif) in Jerusalem bin ich überzeugt, dass das KAICIID das Potenzial hätte, den interreligiösen Dialog längerfristig sowohl mit der Frage der Menschenrechte als auch mit internationaler Konfliktlösung zu verbinden.

Experten-Netzwerk

Die beiden Konferenzen im November 2014 haben auch gezeigt, dass hier ein großes internationales Netzwerk von Wissenschaftern und Praktikern des interreligiösen Dialogs entsteht, das offensichtlich einen stark pluralistischen Charakter aufweist.

Dadurch könnte in Wien die einzigartige Chance entstehen, eine Vielfalt von interreligiösen Spannungsfeldern und Konflikten zu bearbeiten, die sich derzeit weltweit zuspitzen: Religion versus Säkularismus, Fundamentalismus versus Rationalismus, Einheit versus Pluralismus, Islam versus Islamismus, Scharia versus Menschenrechte, eurozentrische versus universalistische Interpretationen der Menschenrechte etc.

Menschenrechte sind also ein wichtiger Faktor im interreligiösen Dialog. Aber ein gemeinsamer Referenzrahmen "im Namen der Menschenrechte" kann nicht einfach zur Vorbedingung gemacht werden, will man wirklich nachhaltige Lösungen und Aktionen erzielen. Ein solcher Referenzrahmen entsteht nämlich erst im Rahmen eines komplexen, jahrelangen Dialogprozesses - Christoph Prantner hat in diesem Zusammenhang auf das Beispiel der KSZE-Konferenz mit den früheren sozialistischen Staaten hingewiesen (der Standard, 28. Jänner).

Konstruktive Gegnerschaft

Friedrich Heer hat unter dem Eindruck der Massenverbrechen des 20. Jahrhunderts das permanente "Gespräch der Feinde" (1949) eingefordert. Es zielt nicht auf verfrühten Konsens oder "falsche" Versöhnung, sondern auf konstruktive Gegnerschaft.

Und Hermann Broch, der wie kein Zweiter für eine "wehrhafte" Demokratie gegen den Totalitarismus gekämpft und schon unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg eine konsequente Politik der Menschenrechte gefordert hat, zeigt in seiner Massenpsychologie, dass es dafür keine rationale Aufklärung braucht, sondern Methoden einer gewaltfreien Kommunikation.

Alte Inspiration

Es wäre zu wünschen, dass sich Kulturminister Josef Ostermayer und Außenminister Sebastian Kurz bei den Verhandlungen mit dem KAICIID von diesen Wiener Vordenkern eines Dialogs nach Auschwitz inspirieren lassen. (Wilfried Graf, DER STANDARD, 3.2.2015)