Gudrun Harrer meint, es wäre so peinlich für Österreich, das Wiener interreligiöse König-Abdullah-Dialogzentrum, das vor drei Jahren erst eröffnet wurde, nun wieder zu schließen ("Populismus versus Peinlichkeit", DER STANDARD, 19. Jänner). Aber war es denn nicht viel blamabler, ein Dialogzentrum just nach König Abdullah zu benennen, nach jenem Monarchen, der nicht bloß derzeit Raif Badawi sukzessive zu Tode peitschen, sondern auch sonst Menschen nach dem Freitagsgebet köpfen lässt? Wie beschämend ist es, ein Dialogzentrum überhaupt eingerichtet zu haben, das unter der Dominanz jenes Saudi-Arabien steht, in dem andere Religionen verboten werden, in dem der Abfall vom Islam, die Apostasie, mit der Todesstrafe geahndet wird, in dem zudem Frauen unterdrückt sind? Weibliche Saudis dürfen das Land nicht ohne männliche Vormundschaft verlassen.
Noch erbärmlicher ist, wenn Claudia Bandion-Ortner nicht sogleich nach ihrer Apologie der Enthauptungen und Menschenrechtsverletzungen zum Rücktritt als stellvertretende Generalsekretärin des KAICIID bewegt wurde, sondern es der Attentate in Paris bedurfte, damit ihr Ausscheiden durchgesetzt werden konnte. Vollends jämmerlich wäre allerdings, das Wiener KAICIID selbst jetzt nicht zuzusperren, weil es uns zu peinlich scheint, den einstigen Fehler zuzugeben.
In Zeiten des jihadistischen Terrors und der Islamophobie sollte an dem saudisch geprägten Dialogzentrum festgehalten werden, erklärten Bundespräsident Fischer und Kardinal Schönborn. Mit dieser Argumentation bestärken beide allerdings just jenes Ressentiment, das zwischen einem Dialog mit Muslimen und jenem mit dem Regime in Riad nicht unterscheiden will und das Islam und Islamismus gleichsetzt. So wird - unwillkürlich - das Vorurteil gegen alle heimischen Muslime geschürt, um die internationalen Finanziers der Islamisten besser hofieren zu können.
Um nicht missverstanden zu werden: Dialog ist wichtig. Hier wird keinesfalls für den Abbruch von Gesprächen plädiert. Nicht die Auseinandersetzung an sich soll kritisiert werden, sondern die Bedingungen, unter denen sie stattfindet. Das jüdisch-christliche Gespräch ist ein positives Beispiel für eine interreligiöse Annäherung, doch die Juden wären nie dazu bereit gewesen, wenn der Dialog von Anfang an unter die Schirmherrschaft eines christlich fundamentalistischen Antisemiten gestellt worden wäre. Die Fortschritte in ihrer Verständigung entsprangen vor allem der Abkehr des Vatikans vom Antijudaismus und beruhten auf dem militärischen und politischen Sieg der Alliierten über den Nazismus. Nach Auschwitz wurde das Predigen gegen die Juden zum Tabu.
Rabbiner David Rosen, Vorstandsmitglied des KAICIID, verteidigt das Dialogzentrum, indem er an das Sprichwort erinnert, es sei besser, eine Kerze anzuzünden, als die Finsternis zu beklagen. Das ist ein schöner Sinnspruch, doch - irgendwer sollte Rosen sanft darauf hinweisen - nicht jedes Irrlicht ist schon eine Kerze. Das Dialogzentrum ist, um in der Diktion der Theologen zu sprechen, Blendwerk, das nicht das Dunkel verscheucht, sondern nur verklärt. Es spricht das islamistische Grauen in Saudi-Arabien nicht an. Mehr noch: Es lehrt uns nicht, theologische, politische und soziale Fragen voneinander zu unterscheiden.
Ein so gearteter Dialog und der Kampf der Kulturen sind nicht Gegensätze, sondern vielmehr beide das Ergebnis jener Logik, die Kultur als monolithisch hierarchische Einheit sieht und sie mit Religion gleichsetzt, um von Willkür und vom Unrecht nicht zu sprechen. Das Gerede von Glauben soll die Kritik an Tyrannei und Verbrechen übertönen. Selbst jetzt, da der Druck auf das KAICIID wächst, wagt es nicht, gegen die Auspeitschung von Raif Badawi zu protestieren. Der Dialog wird zelebriert, um die offene Auseinandersetzung zu vermeiden.
Was nützen da noch allgemeine Deklarationen hoher Geistlicher gegen Gewalt, wenn zur Todesstrafe für Apostosie und Atheismus geschwiegen wird? Für das Dialogzentrum spreche, so wird eingewendet, die Verabschiedung einer Erklärung gegen die Massenverbrechen der IS. Aber dafür hätte es keines Dialogzentrums bedurft, denn der Jihadismus bedroht längst die Saudis selbst. Es liegt nun im existenziellen Machtinteresse vieler islamischer Staaten, die IS zu bekämpfen.
Saudi-Arabien verbietet Juden wie mir de facto die Einreise, doch das ist nicht der Grund, weshalb ich das KAICIID ablehne. Ist es wirklich so schwer zu begreifen, weshalb ein interreligiöses Verständigungsprojekt, das dem saudischen Herrscher huldigt, von Anfang an desavouiert ist? Was wäre etwa - nur zum Vergleich - von einem Friedensinstitut zu halten, das nach Benjamin Netanjahu benannt werden würde? Was von einer Karl-Heinz-Grasser-Aufklärungsbehörde gegen Korruption? Oder von einem H.-C.-Strache-Mahnmal gegen Rassismus? Wäre das nicht alles ein schlechter Witz? Eben!
Es ist Zeit, mit dieser Farce Schluss zu machen, um im Namen der Menschenrechte einen Dialog zu ermöglichen, der diesen Namen auch wirklich verdient. (Doron Rabinovici, DER STANDARD, 21.1.2015)