Bild nicht mehr verfügbar.

Es droht Streit: Pierre Moscovici (links) als künftiger Wirtschaftskommissar in Brüssel und Frankreichs Präsident François Hollande.

Foto: AP

Es ist ein Novum für die EU: Die Kommission erwägt erstmals von ihrem neuen Recht Gebrauch zu machen, den Haushaltsentwurf eines Mitgliedslandes zurückzuweisen. Und nicht eines beliebigen: Wie zuerst das Wall Street Journal berichtete, ist das Augenmerk auf Frankreich gerichtet, Europas zweitgrößte Volkswirtschaft. Deren Regierung kämpft überdies um jede Dezimalstelle des Budgets, als ginge es um ihr eigenes Überleben.

Der Mitte September vorgestellte Budgetentwurf Frankreichs für 2015 geht von einem Fehlbetrag von 4,3 Prozent aus. Das wäre nur 0,1 Prozentpunkte weniger als das Defizit dieses Jahres von 4,4 Prozent. Das Erreichen des EU-Grenzwertes von 3,0 Prozent rückt damit nicht wirklich näher. Finanzminister Michel Sapin musste einräumen, dass Frankreich sein Budgetdefizit "nicht wie vorgesehen" reduziere. "Aber ich verlange keine Ausnahme von der Regel", fügte er mit gutfranzösischer Dialektik an, ohne sagen zu können, welcher Regel die 4,3 Prozent Defizit entsprechen sollen.

Hinter den Kulissen bemühen sich Sapins Gesandte in Brüssel intensiv um eine nachsichtige Behandlung. Doch kommissionsintern zeichnen sich massive Widerstände gegen die französischen Budgetvorstellungen ab; es bestehe eine "große Wahrscheinlichkeit", dass das Budget zurückgewiesen werde.

Der Haushaltsentwurf muss erst am 15. Oktober in Brüssel eingereicht werden. Der Sprecher von EU-Wirtschaftskommissar Jyrki Katainen bezeichnete die Medienberichte daher als "verfrüht". Aber nicht als "falsch". Es wäre das erste Mal, dass die Kommission nicht erst eine Budgetabrechnung bekrittelt, sondern schon einen Entwurf zurückweist. Dazu hat sie seit der Schuldenkrise das Recht.

Mehr sparen "unmöglich"

Bei Frankreich dürfte sie allerdings auf Granit stoßen. Premierminister Manuel Valls und Präsident François Hollande stehen innenpolitisch unter gewaltigem Druck. Der linke Flügel der Sozialistischen Partei verlangt, das Budget völlig schlittern zu lassen, um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln. Ansonsten wollen Hollandes Parteifreunde den Haushaltsentwurf 2015 im Parlament nicht unterstützen - was angesichts der knappen Mehrheitsverhältnisse den Sturz der Regierung bewirken könnte.

Deshalb lehnte Valls am Montag jeden weiteren Dreh an der Sparschraube als "unmöglich" ab. Dramatisch behauptet er, das staatliche Sozialmodell würde dadurch schlicht "weggefegt".

Sollte die EU-Kommission wirklich eine Überarbeitung des französischen Budgets verlangen, würde sie unweigerlich einen Clash mit der Pariser Regierung provozieren - sofern diese die Haushaltsdebatte im eigenen Land überhaupt übersteht.

Sapins Unterhändler in Brüssel hoffen, dass sie wegen des anstehenden Kommissionswechsels das Schlimmste vermeiden können. Der aktuelle Kommissionspräsident José Manuel Barroso möchte seine Ende Oktober auslaufende Amtszeit nicht mit einem handfesten Streit mit Paris beschließen. Er dürfte bemüht sein, die heiße Kartoffel weiterzureichen; sein Nachfolger Jean-Claude Juncker wolle aber keinen Streit mit Frankreich "erben", heißt es in Kommissionskreisen.

Als Ausweg könnte sich Paris verpflichten, sein Budgetdefizit wenigstens auf dem Papier um 0,5 Prozentpunkte zu kürzen. Dazu würden zum Beispiel die Wachstumsprognosen höher angesetzt. Die Kommission könnte sich damit abfinden. Nur der französische Schuldenberg von 2000 Mrd. Euro ließe sich davon kaum beeindrucken, stiege er doch munter weiter. (Stefan Brändle aus Paris, DER STANDARD, 7.10.2014)