Bernd Kühbauer von der Männerberatung Wien: "Männer braucht das Land verstärkt auch als Lehrer, Kindergärtner und im Sozialbereich, und es braucht auch mehr Ressourcen für gewaltpräventive Arbeit in Schulen und außerschulischen Jugendeinrichtungen."

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Jeder dritte Mann bis 29 Jahre hat bei der Europawahl die FPÖ gewählt (derStandard.at berichtete). Die FPÖ war bei den Burschen dieser Altersgruppe somit die beliebteste Partei, gefolgt von der ÖVP mit 18 Prozent. Frauen bis 29 bevorzugten die Grünen mit 32 Prozent, gefolgt von der SPÖ mit 22 Prozent.

Als Leiter der präventiven Jugendarbeit bei der Männerberatung in Wien erhält der Sozialarbeiter und Psychotherapeut Bernd Kühbauer einen sehr unmittelbaren Einblick in die Lebenswelt jungen Männer. Im Gespräch mit derStandard.at wagt er einen Versuch, die eindeutige FPÖ-Präferenz der Burschen zu erklären. Außerdem spricht er über die tristen Jobaussichten vieler Junger und die Ohnmacht der Helfersysteme und erklärt, weshalb das Land Männer "verstärkt auch als Lehrer, Kindergärtner und im Sozialbereich" braucht.

derStandard.at: Sie leiten die präventive Jugendarbeit bei der Männerberatung. Was sind Ihre wichtigsten Aufgaben?

Kühbauer: Wir leisten Beratung, Psychotherapie, Präventions- und Interventionsarbeit. Es kommen Jugendliche und junge Erwachsene zu uns, die eine gerichtliche Weisung aufgrund eines Deliktes haben, und solche, die Opfer von Gewalt wurden. Zudem bieten wir Workshops in der außerschulischen Jugendarbeit an.

derStandard.at: Deutlich mehr junge Männer als Frauen wählen die FPÖ. Wie lässt sich das erklären?

Kühbauer: Für jugendliche Buben und Mädchen ist Identifikation wichtig. Sie fragen sich, wie sie die an sie gestellten Rollenerwartungen erfüllen können. Hier kommt es häufig zum Konflikt zwischen Erwartung und Realität. Männlichkeit wird oft über nach außen gerichtete Körperlichkeit definiert. Die Frage ist: Mit wem identifiziere ich mich?

Wenn keine positiven realen Männer mit Begegnungs- und Beziehungsfähigkeit als Vorbild zur Verfügung stehen, greift man unter anderem auf in Film und Medien vorhandene Bilder von Männlichkeit zurück und identifiziert sich mit ihnen. Gerade der Rechtspopulismus bietet klare Botschaften, bei denen man sich auskennt.

derStandard.at: Oft heißt es, Burschen würden in der Gesellschaft schlechter zurechtkommen als Mädchen. Können Sie diese Diagnose teilen?

Kühbauer: Ich habe aufgrund meines Arbeitskontextes den Blick auf die Burschen. Ich nehme wahr, dass viele, die zu uns kommen, Schwierigkeiten haben, mit ihren Aggressionen umzugehen. Viele schlucken über einen langen Zeitraum ihre Wut hinunter. Die wenigsten sind gefährliche Gewalttäter, sondern sie werden häufig über einen längeren Zeitraum ausgegrenzt. Irgendwann explodieren sie dann. Viele fürchten den Gesichtsverlust vor der Gruppe und reagieren entsprechend.

derStandard.at: Welche besonderen Herausforderungen bestehen für Burschen?

Kühbauer: Ein großes Thema ist die Jobperspektive. Viele Jugendliche mit Migrationshintergrund haben nicht die gleichen Chancen auf dem Arbeitsmarkt. In den vergangenen zwei Monaten sind gefühlt 15 Burschen zu mir gekommen, die gerade den Staplerschein im Rahmen des AMS machen.

In den AMS-Kursmaßnahmen wird versucht, sie unter dem Motto "Wenn du wirklich etwas willst, wird das Arbeitsleben auch etwas für dich haben" zu motivieren. Es wird am Individuum festgemacht. Tatsache ist, dass viele Jugendliche es nicht schaffen, eine Facharbeiterausbildung zu erlangen. Diese aussichtslosen Jobperspektiven bewirken natürlich auch etwas bei den Leuten. Sie fragen sich, ob sie von der Gesellschaft noch gebraucht werden. Arbeitslos zu sein bedeutet oft, keine Struktur zu haben.

derStandard.at: Sie werden auch von Schulen um Hilfe gebeten, wenn diese mit den Burschen nicht zurechtkommen.

Kühbauer: Die Schulen kommen meistens erst dann zu uns, wenn der Hut wirklich brennt. Der Auftrag an unsere Einrichtung lautet dann: Bitte, reparieren Sie diesen Jugendlichen.

derStandard.at: Wie könnte es besser gehen?

Kühbauer: Oft werden den Jungen keine adäquaten Grenzen gesetzt. Wenn die Schule mit Suspendierung droht, ist das keine adäquate Grenze. Es braucht mehr. In Wahrheit müssen sich alle Helfersysteme an einen Tisch setzen und darüber beraten, was das Kind oder der Jugendliche wirklich braucht.

Die Person muss mit ihren individuellen Bedürfnissen ins Zentrum gestellt werden, nicht das, was er oder sie angestellt hat. Statt zu strafen, wollen wir den Jugendlichen auf Augenhöhe begegnen, eine stabile Beziehung entwickeln und sie auch mit ihrem Verhalten konfrontieren.

derStandard.at: Kann es sein, das sich viele Jugendliche in unserer Gesellschaft nicht sehr ernst genommen fühlen?

Kühbauer: Die Kids, die ich kenne, probieren in der Schule immer wieder, anerkannt zu werden. Ich frage Eltern und Lehrer oft, woran sie erkennen würden, dass sich die Kinder bemühen beziehungsweise verbessern. Dabei stellt sich oft heraus, dass die Kinder nicht mehr gesehen werden, weil die Negativbrille aufgesetzt ist, selbst wenn sie sich noch so bemühen.

Hilfe holen bringt nur dann etwas, wenn es Erwachsene gibt, die diese wirklich zur Verfügung stellen und die Betroffenen ernst nehmen. Außerdem bitten die Kinder Lehrer und Eltern sehr wohl um Hilfe. Das Problem ist, dass das oft nicht erkannt wird und die Unterstützung ausbleibt.

derStandard.at: Also Lehrer und Eltern verstehen die Sprache der Jungen mitunter nicht?

Kühbauer: Die Schule hat auch den Auftrag, gewaltfreien Raum zu gewährleisten, damit eine positive Entwicklung des Kindes möglich ist. Ich kenne Schüler aus Schulen, bei denen ich nicht das Gefühl habe, dass sie diesen gewaltfreien Raum zur Verfügung haben.

In den Schulen passiert mitunter viel Ausgrenzung. Ich kann von einem Jugendlichen, der in einem beschissenen Umfeld lebt und sozial ausgegrenzt ist, nicht verlangen, dass er nicht wütend wird. Immer wieder ist Wut auch berechtigt, weil es Themen gibt, die wütend machen. Kinder und Jugendliche sind häufig Symptomträger für das, was rundherum passiert. Es macht manchmal mehr Sinn, mit den Eltern zu arbeiten.

derStandard.at: Die Burschen scheinen im Bildungssystem eher auf der Strecke zu bleiben als die Mädchen. Das sagt zumindest die Statistik.

Kühbauer: Plakativ gesprochen: Viele tun sich leichter dabei, mit einem stillen, angepassten Mädchen zu arbeiten, das es zu stärken gilt, als mit einem lauten, unruhigen Buben. Grenzverletzungen sind manchmal auch ein Handlungsschritt, um wahrgenommen zu werden oder um Ohnmachtsgefühle loszuwerden. Viele Lehrende in Schulen und im arbeitsmarktpolitischen Kontext kommen schnell an ihre eigenen Grenzen, wenn sie wütende Kinder und Jugendliche erleben. Sie fühlen sich selbst ohnmächtig.

derStandard.at: Was muss die Gesellschaft tun, damit es den Jungen in Zukunft besser geht?

Kühbauer: Es braucht arbeitsmarktpolitische Veränderungen, der Staplerschein ist keine Zukunftsperspektive. Politik und Gesellschaft sollten auch Rahmenbedingungen zur Verfügung stellen, in denen es okay ist, wenn man sich Hilfe holt. Wo es okay ist, wenn Burschen über Gefühle sprechen und dadurch gelungene Begegnung möglich wird. Und: Es braucht mehr Männer, die das vorleben und ein positives Vorbild sind, etwa was Toleranz, Respekt und Anerkennung betrifft.

Männer braucht das Land verstärkt auch als Lehrer, Kindergärtner und im Sozialbereich, und es braucht auch mehr Ressourcen für gewaltpräventive Arbeit in Schulen und außerschulischen Jugendeinrichtungen. (Katrin Burgstaller, derStandard.at, 23.6.2014)