Italien reagiert bestürzt auf die Hinrichtung des im Irak entführten Reporters Enzo Baldoni. Bis tief in die Nacht verfolgten Millionen von Zusehern die Nachrichten, die im Fernsehen über die Ermordung der Geisel berichteten. Hunderte von Menschen versammelten sich in der Nacht in der sizilianischen Stadt Licata vor der Wohnung der Frau Baldonis und seiner beiden Kinder, Guido und Gabriella, die noch am Mittwoch mit einem Videoappell für die Freilassung ihres Vaters plädiert hatten. "Warum haben sie ihn ermordet? Er war nicht nur ein gewissenhafter Journalist, sondern vor allem ein Pazifist", fragte Baldonis Bruder, Raffaele.

Solidaritätserklärungen überfluteten die Familie des Opfers sowie die Redaktion des Mailänder Wochenmagazins "Il Diario", für das Baldoni aus dem Irak berichtet hatte. Beileidstelegramme erhielt die Familie Baldoni auch von den drei italienischen Leibwächtern, die im Juni nach einer 56-tägigen Gefangenschaft im Irak befreit worden waren. "Es ist ein wahres Wunder, dass wir noch am Leben sind", sagte Umberto Cupertino, einer der drei befreiten Männer. Sein Freund Fabrizio Quattrocchi war am 14. April hingerichtet worden.

"Akt der Barbarei"

Der italienische Regierungschef Silvio Berlusconi verurteilte die Ermordung Baldonis scharf. In einer Erklärung bezeichnete der Premier die Tötung des Journalisten als einen "Akt der Barbarei". "Es gibt keine Worte angesichts eines unmenschlichen Akts, der mit einem Schlag Jahrhunderte der Zivilisation auslöscht und uns in die dunklen Zeiten der Barbarei zurückwirft", hieß es in der Kondolenzerklärung an die Familie des 56-jährigen Baldoni weiter. Zugleich bekräftigte Berlusconi seine "feste Entschlossenheit, den Terrorismus zu bekämpfen".

Außenminister Franco Frattini, der am Freitag im Parlament über den Fall Baldonis berichtete, bestritt, dass Rom seine Truppen aus dem Irak zurückziehen könne. "Wir sind im Irak, weil uns dazu die Übergangsregierung im Irak und die Vereinten Nationen dazu aufgefordert haben. Wir beteiligen uns im Irak - wie in Afghanistan und im Kosovo - an einer Friedensmission zu Gunsten der Bevölkerung. Wir sind jederzeit zum Abzug bereit, wenn uns die Regierung Allawi dazu auffordern sollte", betonte Frattini. Die Opposition drängte dagegen auf einen sofortigen Abzug der rund 3.000 italienischen Soldaten, die seit über einem Jahr im Südirak stationiert sind.

"Sie haben Enzo sich selbst überlassen"

Der Chefredakteur von "Il Diario", Enrico Deaglio, kritisierte das römische Außenministerium und das italienische Rote Kreuz in Bagdad. "Sie haben Enzo sich selbst überlassen", meinte Deaglio, dem zufolge die Verantwortlichen des Roten Kreuzes nach der Entführung des Reporters nicht sofort Alarm geschlagen hatten. Er kritisierte auch Außenminister Frattini, der noch am Donnerstag Optimismus versprüht hatte. Die Vorwürfe wies der Leiter des italienischen Roten Kreuzes im Irak, Maurizio Scelli, entschieden zurück. "Wir haben alles getan, um dem Reporter das Leben zu retten", sagte er. Scelli versprach seinen vollen Einsatz, damit Baldonis Leiche nach Italien zurückgeführt werde.

Rätsel um Hintergründe der Hinrichtung

In Italien rätselt man inzwischen über die Hintergründe der Hinrichtung. Die Mailänder Tageszeitung "Corriere della Sera" (Freitag-Ausgabe) spekulierte, dass Baldoni kurz nach seiner Entführung vergangene Woche und nicht nach Ablauf des Ultimatums am Donnerstagnachmittag ermordet worden sein könnte. Die Tageszeitung vermutet, dass das Video, mit dem Baldonis Entführer am Dienstag der italienischen Regierung ein Ultimatum gestellt hatten, mit Aufnahmen montiert worden sei, die der Reporter von sich selbst gedreht hatte. Der Journalist könnte bereits vergangene Woche mit seinem palästinensischen Dolmetscher ermordet worden sein, dessen Leiche unweit der südirakischen Stadt Najaf gefunden worden war. (APA)