Die Diskussion fand im Haus der Europäischen Union statt.

Foto: ELSA/Ania Wyrobek

Das Podium von links nach rechts: Florian Schweitzer (Greenpeace), Günther Horvath (Freshfields Bruckhaus Deringer), August Reinisch (Universität Wien), Winfried Pöcherstorfer (Wirtschaftskammer), Manfred Schekulin (Wirtschaftsministerium), Alexandra Strickner (Attac), Valentin Wedl (Arbeiterkammer), Anne-Karin Grill (Moderation).

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Winfried Pöcherstorfer von der Wirtschaftskammer (Mitte) sprach sich für einen Investorenschutz im Freihandelsabkommen TTIP aus. Er biete Unternehmen im Ausland Sicherheit.

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Wien - Bei einer Diskussion zur Rolle von Schiedsgerichten im Freihandelsabkommen zwischen EU und USA zeigte sich am Mittwochabend deutlich, woran sich Kritiker und Befürworter in der Debatte scheiden. Während Erstere Misstrauen gegenüber großen Konzernen hegen, die sich mit viel Geld und Einfluss Gesetze zurechtbiegen, fürchten Letztere Staaten, deren Rechtssysteme eigene Unternehmen bevorzugen und Verfahren in die Länge ziehen.

Schiedsgerichte, Teil des ISDS (Investor-State Dispute Settlement), dienen in internationalen Abkommen Unternehmen dazu, im Falle einer Diskriminierung Schadenersatz einklagen zu können. Derzeit läuft eine öffentliche Anhörung zu dem Thema, die die EU-Kommission initiiert hat. Kanzler Werner Faymann (SPÖ) schrieb laut Greenpeace in einem Brief an die Organisation, dass Investorenschutz im Abkommen "nicht erforderlich" sei. In Deutschland hat sich Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) dagegen ausgesprochen.

Zur Diskussion zum Thema lud ELSA, eine Organisation europäischer Jusstudenten. Die NGO-Szene, vertreten durch Attac und Greenpeace, stellte gleich zu Beginn die Sinnfrage: wozu überhaupt? "US-Firmen haben 2011 zwei Billionen in Europa investiert, EU-Firmen 1,5 Billionen in den USA", sagte Alexandra Strickner von Attac. "Für Firmen gibt es anscheinend auch jetzt schon ein ganz annehmbares Umfeld für Investitionen." Schnell auf ihre Seite schlug sich Valentin Wedl von der Arbeiterkammer: "Ich will einen US-Investor sehen, der sein Geld nicht in Österreich investiert, weil es kein ISDS gibt."

Waffengleichheit

Den Konterpart nahmen Wirtschaftskammer und -ministerium ein. Ihr Argument: Schiedsgerichte würden für Waffengleichheit sorgen, ausländische Unternehmen würden sonst oft den Kürzeren ziehen. Alleine die Existenz von Schiedsgerichten könne also dazu führen, dass sich beide Parteien an einen Tisch setzen und eine Lösung finden.

Günther Horvath, Partner bei der Wirtschaftskanzlei Freshfields, sah außerdem Kostenvorteile für Unternehmen. "Wenn eine kleine Firma vor ein normales Gericht geht, ist sie bankrott, bevor es ein Urteil gibt", so Horvath. Es gehe nicht nur um große Konzerne, sondern auch um viele kleine und mittlere Unternehmen. Er nannte das Beispiel eines steirischen Traktorherstellers, der in Pennsylvania produziert hatte und plötzlich mit einer 20-prozentigen Sondersteuer konfrontiert wurde.

Florian Schweitzer von Greenpeace sah das anders: "Sie kennen Ihre Stundenlöhne. Im Schnitt kostet ein Schiedsverfahren acht Millionen Euro für die Beteiligten." Kein kleines Unternehmen könne sich das leisten, meistens gehe es um Milliardeninvestitionen. Horvath bestritt das, die Gebühren eines Schiedsrichters seien mit 3.000 Dollar am Tag begrenzt. Das sei nicht wenig, aber deutlich weniger als die Beträge, die herumschwirren würden.

Mächtige Staaten

"Natürlich kann es auch eine Welt ohne ISDS geben", sagte August Reinisch, Vizedekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien. Es gebe aber mächtige Staaten, die ihre Unternehmen schützen würden. "Die sind nicht nur nett und diplomatisch." Schiedsgerichte würden Handelsstreitigkeiten entpolitisieren und dafür sorgen, dass sich Investoren und Staaten in einem ordentlichen Rahmen treffen könnten. Immerhin könnten beide Seiten gemeinsam den Richter bestimmen.

Manfred Schekulin vom Wirtschaftsministerium sieht darüber hinaus ein Problem in der Unparteilichkeit von Richtern, wenn ausländische Unternehmen durch Steuergeld finanzierte Entschädigungen fordern. "Ein US-Richter schwört darauf, die Interessen der USA zu vertreten", so Schekulin. In vielen Prozessen würden darüber hinaus Geschworene zum Einsatz kommen, die im Zweifelsfall der eigenen Regierung eher trauen würden.

"Dann geht es uns gut"

Die NGOs und die Arbeiterkammer kritisierten die Intransparenz von Schiedsgerichten, Urteile von diesen können nämlich nicht öffentlich eingesehen werden. Außerdem fehle die Möglichkeit, gegen Urteile zu berufen. Florian Schweitzer von Greenpeace sah darüber hinaus in den Teilzeitrichtern der Schiedsgerichte ein Problem. Der dauernde Hütewechsel würde die Unabhängigkeit der Beteiligten untergraben.

Anwalt Horvath, dessen Kanzlei immer wieder sowohl Unternehmen als auch Staaten vor Schiedsgerichten vertritt, relativierte: Eine Reform des ISDS sei im Gange, diese solle auch zu mehr Transparenz führen. Urteile sollten natürlich öffentlich sein, es seien aber eher Staaten als Unternehmen dagegen, das zu publizieren. Die Verfahren könnte man seiner Meinung nach auch im Internet streamen. Dass man nicht gegen Urteile berufen könne, sei Teil der Idee eines Schiedsgerichts, Verfahren zu beschleunigen. Und: "Wenn Teilzeitrichter das einzige Problem sind, dann geht es uns gut."

Valentin Wedl von der Arbeiterkammer überzeugte das nicht: Es gebe jetzt schon konkrete Fälle, in denen Klagen von Investoren die Demokratie aushöhlen würden. Vattenfall sei so ein Fall, der schwedische Stromkonzern klagt derzeit Deutschland auf Schadenersatz für das frühzeitige Abschalten seiner Atommeiler. "Die Anwälte sind die, die immer profitieren", sagte Wedl. "Wenn Sie also profitable Möglichkeiten suchen, gehen Sie zu Schiedsgerichten", lud Wedl das Publikum ein, das aus vielen Anwälten und Jusstudenten bestand.

Trojanisches Pferd

Alexandra Strickner von Attac sieht in der ganzen Debatte ein Versäumnis: Es gehe immer um Investoren, nie aber um Menschenrechte. Wenn jemand Menschenrechte durch Konzerne verletzt sehe, könne er auch nirgends hingehen, um dagegen zu klagen. Arbeiterkammer-Vertreter Wedl plädierte dafür, dass endlich Schluss sein müsse, dass der Steuerzahler für Risiken von Unternehmen aufkomme. Ein Vorschlag von Greenpeace war, Unternehmen sollten sich doch gegen mögliche Enteignungen privat versichern, das wäre eine marktwirtschaftliche Lösung.

Horvath hielt davon nichts, schlussendlich würden die Kosten so oder so übergewälzt werden: Die Menschen würden entweder mit Steuern oder sonst eben mit höheren Preisen bezahlen. Die Vorwürfe gegen ISDS sieht er als trojanisches Pferd, viele Argumente hätten mit der Thematik in Wahrheit wenig zu tun. (Andreas Sator, derStandard.at, 17.4.2014)